USA 2006 · 127 min. · FSK: ab 12 Regie: Tony Scott Drehbuch: Bill Marsilii, Terry Rossio Kamera: Paul Cameron Darsteller: Denzel Washington, Paula Patton, Val Kilmer, James Caviezel, Adam Goldberg u.a. |
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Sehnsucht nach Unschuld: Denzel Washington als zeitreisender Ermittler |
Zurück ins Reich der Toten geht es für Denzel Washington in diesem Terrorthriller, einem Märchen für Erwachsene, das Kriminalstory und Science-Fiction mit jenem Element mischt, das man im Englischen unübersetzbar »Mumbo-Jumbo« nennt. Das passt ganz gut zu New Orleans, jener Stadt, die im Kino seit jeher als Ort der Toten inszeniert wird, des Voodoo, und einer Melange aus Französischem und Schwarzafrikanischem – beides schwer verdächtig. Um ins Totenreich zu reisen, braucht es erstmal viele Tote, aber das ist Produzent Jerry Bruckheimer noch nie schwer gefallen, also nach einer Viertelstunde erledigt. Und diesmal darf sogar Denzel Washington sterben – denn nur wer tot ist, kann wiederauferstehen.
»Oh when the Saints go marchin' in« – zu diesem bekannten Lied über Heilige inszeniert der Film in einer knapp zehnminütigen, dialogfreien Eröffnungssequenz die Momente vor einem Attentat. Die in leichter Zeitlupe gehalten Bilder sind allzu »harmonisch«, kleine Kamerablicke und andere visuelle Bedrohungszeichen allzu deutlich gesetzt, als dass jedem erfahrenen Zuschauer nicht sofort klar wäre, das alles nur Vorschein einer kommenden Katastrophe sein kann. Es folgt eine für Regisseur Tony Scott und seinen Produzenten Jerry Bruckheimer typische Pyromanen-Ästhetik des Schreckens: Attentat, die Explosion, durch den sich ausbreitenden Feuerball wirbelnde Körper, zerfetzte Leichen und Verwundete, die Tränen der Überlebenden – und das alles in Zeitlupe. Nach einem Schnitt taucht der Held auf, den Denzel Washington verkörpert, auch er ein Heiliger, des Kinos diesmal, und die eigentliche Geschichte beginnt
True Romance – alle Filme Tony Scotts könnten so heißen. Nicht immer aber hat der seit fast drei Jahrzehnten in Hollywood verhaftete Brite ein so gutes Drehbuch zur Verfügung wie bei seinem gelungensten, nach wie vor unterschätzten, gleichnamigen Film von 1993, dessen Drehbuch von Quentin Tarantino stammt.
Am besten ist Scott dann, wenn ein Script nicht allzu plotlastig ist, sondern eher eine Oberfläche formt, einen Raum für Atmosphäre und Lebensgefühl, im dem sich Scott dann ungehindert austoben und seiner visuellen Phantasie und unbestrittenen Inszenierungskunst freien Lauf lassen kann. In True Romance und Spy Game gelang ihm das exzellent, in Enemy of the State und zuletzt in dem von der Mehrheit der Kritik vorschnell verworfenen, überhitzten Domino immer noch recht gut, in anderen Filmen wie Man on Fire und The Fan aber schnürte das Korsett der Handlung dem Regisseur vorschnell die Luft ab. Auch Déjà vu ist von dieser Gefahr nicht völlig frei.
Scotts neuester Film, einmal mehr ebenso virtuoses wie naives Spektakelkino, erzählt von einer erzwungenen, überaus außergewöhnlichen Reise in die Vergangenheit: Die Liebe eines Lebenden zu einer Toten ist ein bekanntes Motiv der Romantik, das auch im Kino schon öfters zu Ehren kam, am besten und bekanntesten neben Hitchcocks Vertigo in Otto Premingers Film Noir Laura. Dort verliebt sich ein Polizist, während er dabei ist, einen Mordfall aufzuklären, in das Opfer, das ihm nur aus Erzählungen der Überlebenden, und durch ein wunderschönes Gemälde bekannt ist.
Ähnlich ergeht es nun in Déjà vu Doug Carlin, dem Agenten einer Polizeisondereinheit, von Denzel Washington routiniert gespielt. Er ist nach einem verheerenden Bombenanschlag auf eine Ausflugsfähre, die vor allem mit US-Marinesoldaten und ihren Angehörigen besetzt war, und bei dem über 500 Menschen starben, mit den Ermittlungen betraut. Dabei stößt er auf eine besondere Tote: Zuerst scheint Claire Kuchever nur eines von vielen Bombenopfern zu sein. Doch die trotz entsetzlicher Verletzungen auch auf dem Autopsietisch immer noch schöne Leiche hat einen wesentlichen Schönheitsfehler: Claire starb vor der Explosion. Im Zuge seiner Ermittlungen wird schnell klar, dass die Aufklärung des Attentats nur über die Lösung des Rätsels dieser Frauenleiche gelingen kann: »If you solve her case, you solve the big case.«
Wesentlich erleichtert, und zugleich enorm verkompliziert wird die Lage, als Carlin zu einer FBI-Sondereinheit abgestellt wird, die über eine hochavancierte Geheimtechnologie verfügt: Per Computer und dem Programm »Snow White« – hat apple gesponsort? – kann ein dreidimensionales Abbild der Zeit vor exakt vier Tagen und sechs Stunden erzeugt werden. Mit dieser Hilfe – und in virtuos inszenierten, in der Bildgestaltung allerdings stark an Scotts Enemy of the State erinnernden Sequenzen – können sich die Ermittler einerseits frei im Vergangenheitsraum, andererseits unfrei auf der Zeitschiene bewegen, und dabei auch Claires Leben wenige Tage vor ihrem Tod verfolgen.
Und weil diese daheim vorzugsweise in verführerischer Unterwäsche herumläuft oder gar nackt im Bad steht, interessieren Ermittler/Zuschauer sich bald kaum noch für die 500 Toten, sondern allein noch für die eine attraktive junge Frau. Im Unterschied zum hierin weit gebrocheneren Enemy of the State, einem Prä-9/11-Film, sind der Überwachungsstaat und das Eindringen in die letzte Intimität des Privatlebens, selbst der schiere Voyeurismus des Geschehens hier nun völlig und naiv positiv besetzt – es geht ja schließlich um »den Krieg gegen Terror«, da scheint offenbar alles gerechtfertigt. Zumal, als sich bald herausstellt, dass Carlin »mit der Vergangenheit kommunizieren«, und sogar leibhaftig in die Stunden vor dem Attentat zurückreisen kann. Wenn er also dessen Urheber rechtzeitig findet, könnte er das Attentat verhindern und vor allem Claire retten
Mit dem Aberwitz dieser mit Ungereimtheiten, pseudowissenschaftlichen Behauptungen und absurden Hypothesen aufgeladenen Story – Drehbuchautor ist Terri Rossio, der an Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl mitgeschrieben hat und an The Mask of Zorro, beides vor allem
ironisch-reflexive Film, was sich von Déjà vu beim besten Willen nicht behaupten lässt – sollte man sich nicht länger abgeben, als mit Fragen nach der Plausibilität von Star Trek-Filmen. Um Plausibilität kann und muss es auch nicht gehen – nicht ohne Grund wird Déjà vu als »Mystery«-Thriller vermarktet und tatsächlich handelt es sich hier in erster Linie um wissenschaftlich verbrämte Esoterik in Form
eines Mainstream-Thrillers. Man hat die Voraussetzungen des Spiels zu akzeptieren. Déjà vu ist Action pur, laut und dynamisch, elegant inszeniert und so schnell geschnitten, dass man erst nach Kinoschluss zum Nachdenken kommt – und das sollte man dann besser bald wieder lassen.
Schwerer fällt allerdings schon ins Gewicht, dass dieser Film sich auch an seine selbstgesetzte Logik nicht hält – warum informiert der in die Vergangenheit
zurückgereiste Carlin dort nicht einfach seine Kollegen über die drohende Gefahr, was er mithilfe seines Zukunftswissens leicht und glaubwürdig könnte, sondern riskiert eine Wiederholung des Attentats? So stellt sich beim Zuschauer jener Widerwille ein, der typisch ist, wenn man sich reiner Willkür ausgesetzt fühlt. Der Film tut einfach, was er möchte, und die Idee eines »deus ex machina« erhält ganz ungeahnte Bedeutung, als der eben – »I heard, you are a patriot. Patriotism
requires sacrifice.« – im Vaterlandsdienst endgültig verstorbene Denzel Washington wiederaufersteht, unkaputtbar wie zuvor nur Jesus und Bruce »Unbreakable« Willis. Das ermöglicht unserem Helden zwar, sich nicht Laura-haft nur ins voyeuristische Abbild sondern erinnerungslos »unschuldig«
in die reale, nun doch überlebende Claire zu verlieben – es verletzt aber auch den unausgesprochen Vertrag mit dem Zuschauer, nach dem dieser nicht vollends an der Nase herumgeführt werden darf. Schade nur, dass es noch keine Gerichte gibt, wo sich derartiges Einklagen ließe – Hollywood hätte gerade in den letzten Jahren eine Menge zu prozessieren.
Da der Ort der Handlung die Stadt New Orleans ist, in der erstmals seit den Verheerungen durch den Hurrikan »Katrina« wieder gedreht wurde, erzählt der Film noch mindestens eine zweite Geschichte: Unausgesprochen, mitunter aber auch direkt angedeutet, stehen die vergangenen realen Katastrophen – »Katrina«, »9/11« und das Attentat von Oklahoma durch rechtsextremistische US-Terroristen – im Zentrum. Déjà vu dreht sich im Kern um nichts anderes, als um die Sehnsucht, diese Katastrophen ungeschehen zu machen, um den Tagtraum, die Uhr zurückzudrehen bis zu einem Ausgangspunkt in Unschuld, an dem alles gut und richtig ist – ein Kinderwunsch, wie er uns oft im Kino begegnet. So verständlich er gerade in diesem Fall ist, so verräterisch ist er für das kollektive Unbewusste der US-Gesellschaft, für eine immer noch unverarbeitete Traumatisierung, die ihre Spuren auch im Mainstreamkino hinterlässt. Und Tony Scott zeigt sich mit diesem Märchen für Erwachsene einmal mehr als wahrer, wenn auch etwas grober Romantiker.