Italien 2010 · 97 min. Regie: Sabina Guzzanti Drehbuch: Sabina Guzzanti Kamera: Mario Amura, Clarissa Cappellani Darsteller: Clelio Benevento |
Die Beziehung zwischen Dokumentarfilmern und Michael Moore muss die Form einer Hass-Liebe angenommen haben.
Einerseits hat Moores Bowling for Columbine die Dokumentation aus ihrem Schattendasein im Abendprogramm dritter Kanäle befreit und zurück auf die Leinwände gebracht.
Andererseits wird oft beklagt, dass Moore die ungeschriebenen Gesetze des Genres sehr zu seinem Zweck
dehne und somit die Seriösität seiner Dokumentationen zugunsten einer größeren Publikumswirksamkeit zurückstellt. Was also tun: Eine kleine, sachliche Dokumentation drehen – oder mit Einbußen bei der Vertrauenswürdigkeit rechnend ein größeres Publikum erreichen?
Draquila schlägt hier einen Weg ein, den ich bei ähnlicher Thematik so noch nicht gesehen habe. Es handelt sich um eine Dokumentation über die Art und Weise, wie die »Protezione Italia« nach dem verherenden Erdbeben von L’Aquila mit der Katastrophe umging, wie Gesetze umgangen wurden, um die Situation möglichst effizient als Publicityevent zugunsten der Regierung zu nutzen.
Sabina Guzzanti, in Italien bekannt als Komikerin, die sich gerne
politischer und solzialkritischer Themen annimmt, stellt sich gleich zu Beginn als Silvio Berlusconi maskiert vor Opfer des Bebens, Fernsehkameras und Anhänger, um eine satirische Rede als und auf den italienischen Premier zu halten.
Jeglicher Tarnmantel implizierter Objektivität ist so sofort abgestreift. Und die Fronten derart eindeutig zu klären, stellt sich als die beste Methode heraus, das Vertrauen des Publikums für sich zu gewinnen. Wird einem von Anfang an gesagt, welche Stellung die Filmemacher gegenüber der Thematik einnehmen, fällt es später viel einfacher, über das Thema des Films selbst und nicht die Inszenierung desselben im Film zu diskutieren. Denn die Angst ist geringer, man könne als bloßes Opfer bunter Bildermanipulation gelten. Hier hilft, dass Guzzanti nicht rigoros alle Gegenstimmen unter den Teppich kehrt oder sie als lächerlich darstellt. Auf den ersten Blick überraschend, sind es doch ausgerechnet die Opfer des Erdbebens, die am häufigsten nichts als Lob für den Premierminister übrig haben.
Ganz kommentarlos wird der Widerspruch dann auch nicht hingenommen. Vielmehr dient der Enthusiasmus des Volkes Guzzanti als Beweis für die allumfassende Marketingmaschine, mit der Berlusconis Regierung die italienischen Menschen beeinflusst.
Guzzanti gelingt es, die undurchsichtigen Abläufe und Verkettungen unter Zuhilfenahme des Mooreschen Stilmittels, Fakten und Daten mit Cartoons zu animieren, nachvollziehbar und überzeugend darzustellen, ohne jemals ihre
Sicht auf die Dinge als einzig zulässige Wahrheit zu verkaufen.
Letztendlich ist der Film wohl eher an Italiener selbst gerichtet, wie auch Michael Moore mit seinen Filmen versucht, hauptsächlich seine eigenen Landsleute zu mobilisieren. Er soll als eine Art liberales Alternativprogramm zum ebenso voreingenommenen Fernsehprogramm im Land dienen. Doch auch als deutscher Zuschauer kann man sich hier gut unterhalten fühlen. Und vielleicht braucht man ja überhaupt endlich ein neues Wort für diese spezielle Art der sensationsorientierten Dokumentation, die eher kabarettistisches Informationsprogramm ist.