USA 2000 · 122 min. · FSK: ab 12 Regie: Robert Altman Drehbuch: Anne Rapp Kamera: Jan Kiesser Darsteller: Richard Gere, Helen Hunt, Farrah Fawcett, Laura Dern u.a. |
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Dr. T |
Sie haben gekämpft für diese Zivilisation: Haben sie den Indianern abgerungen und Mexiko, der Wüste, der unbarmherzigen Natur. Jetzt ist das in Texas (Dr. Ts Heimatstaat, mit dem er nicht zufällig die Initiale teilt) alles Geschichte, ferne – und doch stets präsente – Vergangenheit. Und so langsam keimt der Verdacht, dass man auch von Wohlstand, Liebe, Familie, Höflichkeit, Zivilisation zu viel haben kann.
Wie Dr. Ts Frau Kate (Farrah Fawcett), die mitten in der
noblen Shopping Mall all das und ihre Kleidung abstreift und nackt in den Brunnen steigt: »Hestia-Komplex« heißt die Diagnose – Regression in ein kindliches Stadium, weil das Leben vor lauter Annehmlichkeiten nichts anderes zu tun mehr bietet.
Dr. Ts Vorfahren, die Pioniere und Cowboys, sind da losgezogen, haben die Frontier überschritten, in der »Wildnis« alles an Gewalt entladen, was sich bedrohlich angestaut hat, und wieder ein Stück amerikanischen Raum urbar gemacht für mehr Zivilisation. Aber die Frontier gibt’s nicht mehr; wir sind in Dallas, wo auch der letzte Traum der »New Frontier« 1963 mit einer (?) Kugel in JFKs Schädel zerplatzte. (Dr. Ts Tochter Connie (Tara Reid) hält die Erinnerung daran als
Tour-Guide für ein Museum der Verschwörungstheorien wach).
Dr. T und seine Freunde packen noch immer regelmäßig die Gewehre und fahren in die Landschaft, aber sie schießen nur noch auf Tontauben – nicht einmal echte Enten wollen sich als Ziele blicken lassen, wenn die Männer in Tarnkleidung auf Jagd gehen. Und Dr. Ts Gewehr trägt den Namen einer Frau...
Der Raum um Dr. T wird immer enger für die Männer: Immer mehr bisher vergessene Frauen tauchen aus der Geschichte auf (auch die griechische Göttin Hestia ist letztlich so eine), weibliche Pioniere, die den historischen Männer-Helden Konkurrenz machen und deren Namen jetzt auch den Stadtkörper zu übernehmen drohen – Dr. T wird eingespannt dafür zu kämpfen, dass eine der Schlagadern der Stadt, ein Freeway, nach einer Frau benannt wird. In der gynäkologischen Praxis von Dr.
T heißen die Behandlungszimmer schon lang nach großen Texanerinnen. Und im Wartezimmer tobt Tag für Tag eine ganze Horde echter Frauen, die der Doktor und seine (ausschließlich weibliche) Belegschaft kaum noch unter Kontrolle zu bringen, einzudämmen wissen.
Es ist texanischer Geldadel (von Robert Altman perfekt scharf, aber ohne Häme gezeichnet); harte Frauen hinter betongleichen Schichten von Makeup und Haarspray, in Designermode, wie sie so stilvoll geschmacklos nur wirklich
Reiche sich leisten können. Fassaden, die allerhand Neurosen verbergen, hinter denen auch der Alkoholismus von Dr. Ts Schwägerin Peggy (Laura Dern) sich als harmlose Freude an diversen Gläschen Champagner zivilisiert verbergen läßt.
Über alle Maßen zivilisiert auch Dr. Ts Umgang mit seinen Patientinnen – unter dem Schutzschild professioneller und sozialer Konvention und distanziert durch allerlei Apparatur und Werkzeug verlieren seine Berührungen an intimster Stelle jegliche Intimität, jeglichen Gedanken an Sinnlichkeit oder Körperlichkeit. Die findet Dr. T privat erst wieder, als sich ihm eine Frau auf Männerterritorium nähert – die Golflehrerin Bree (Helen Hunt). Die ist so ganz anders
als die Frauen, die Dr. T kennt, ist weiblich auf eine ganz andere – und deshalb für Dr. T so gefährlich attraktive – Weise. Wovon er keine Ahnung hat ist, wie viel weiter als er Bree ihre Freiheit sieht.
Die alte Ordnung versucht derweilen noch immer, sich fortzupflanzen: Dr. Ts Tochter Dee Dee (Kate Hudson) steht kurz vor der Hochzeit, ist Cheerleaderin, ein blondes all-american girl. Scheint es. Denn auch sie entpuppt sich, je näher das hysterische Treiben auf den
großen Tag der Hochzeit zusteuert, nach und nach auf sympathische Weise als Wegbereiterin einer Gesellschaft, die die Männer nicht mehr braucht.
Man(n) müsste das alles hinfortwaschen, diese Zivilisation am Rande des Nervenzusammenbruchs, in einer Sintflut – Wasser ist in der Welt dieses Film ja wichtig und reichlich genug. Den Ausweg finden jenseits der Grenze: south of the border von Texas, wo die Film-Cowboys schon immer ihren (mal utopischen, mal apokalyptischen) Freiraum gefunden haben; jenseits der Grenze von Realität und Wahrscheinlichkeit. Wo es wieder Weite gibt, wo man die Sprache neu erfinden kann und die Werkzeuge. Wo das Wunder des Lebens ganz blutig und stinkend und hautnah beginnt. Und Dr. T dann doch noch die Hoffnung für ihn und seinesgleichen in Händen halten darf...