Großbritannien 2014 · 109 min. · FSK: ab 16 Regie: Peter Strickland Drehbuch: Peter Strickland Kamera: Nic Knowland Darsteller: Sidse Babett Knudsen, Chiara D'Anna, Monica Swinn, Eugenia Caruso, Fatma Mohamed u.a. |
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Schön, subtil & vielschichtig |
Der englische Filmemacher Peter Strickland ist ein großer Liebhaber des Genrekinos der späten 1960er bis zu den frühen 1980er Jahren. Dabei liegt es dem britischen Auteur denkbar fern, diese vergangenen Zeiten im Sinne der weiterhin grassierenden Remake- und Retrowelle einfach bloß zu reanimieren. Strickland durchdringt jedes Genre, dem seine aktuelle Aufmerksamkeit gilt, bis zu dessen Kern, um in einem nächsten Schritt das Ganze zu etwas komplett Neuem umzuformen, in dem der alte Kern zugleich – von Strickland mit großer Liebe betrachtet – deutlich sichtbar erhalten bleibt.
Stricklands Debütfilm Katalin Varga (2009) war ein Re-Do des amerikanischen Rape-and-Revenge-Thrillers vom Schlage eines The Last House On The Left (1972) oder I Spit On Your Grave (1978). Der Engländer lässt das perfide Exploitation-Genre um moderne gesellschaftliche Degenerationserscheinungen in der archaischen Welt der Karpaten wiederauferstehen. Rache muss auch hier unbedingt ausgeübt werden und trotzdem ist bei Strickland alles ganz anders. Als nächstes folgte mit Berberian Sound Studio (2012) Stricklands Auseinandersetzung mit dem italienischen Genrefilm. Gezeigt wird ein italienisches Tonstudio, in dem ein Horrorfilm vertont wird, den es die gesamte Zeit über nur in Form des verlesenen Skripts und der entsprechenden Töne zu erleben gibt. Der Film selbst beginnt wie ein Giallo, in welchem ein nach Italien gereister englischer Tontechniker sein blaues Wunder erlebt. Im Verlaufe der Handlung überschreitet der Film jedoch diese Genregrenzen, um bisher unbekanntes surreales Terrain zu betreten.
Diesem Prinzip von Wiederaufnahme und gleichzeitiger tiefgreifender Umgestaltung bleibt Strickland auch in seinem dritten Film The Duke of Burgundy treu. Diesmal dient dem Filmemacher nach eigener Aussage der europäische Sexploitationfilm von der Art des jungen Jess Franco (Vampiros Lesbos, 1971) als Ausgangspunkt. Die Handlung kreist um ein lesbisches Paar, das zu einer unbestimmten Zeit in einer alten Villa irgendwo in Mitteleuropa Rollenspiele von Dominanz und Unterwerfung spielt. Den dominanten Part hat Cynthia (Sidse Babett Knudsen) inne, die Mittvierzigerin und Schmetterlingsforscherin ist. Ihr stets als Magd und als sexuelle Gespielin zu Diensten ist die jüngere Evelyn (Chiara D’Anna). Cynthias Dominanz erscheint allumfassend: Ihr gehört das schlossartige Anwesen, in dem sie sich mit Evelyn trifft und sie ist diejenige, die auf wissenschaftlichen Konferenzen auf der Bühne steht, während Evelyn schüchtern vom Publikum aus zuhört.
Sehr schnell zeigt sich jedoch, dass diese Beziehung nicht nur eine sehr liebevolle ist, sondern dass die wahren Dominanzverhältnisse genau umgekehrt zu den Rollenspielen der beiden sind. In Wahrheit ist Evelyn die treibende Kraft, die ihre Geliebte immer wieder freundlich ermahnt, wenn jene ihre Rolle nicht überzeugend genug spielt. Auch ansonsten ist Evelyn keineswegs so unbedarft, wie es zunächst erscheinen mag. Sehr schnell kann sie beispielsweise einer wissenschaftlichen Rednerin durch gezielte Fragen deren Grenzen aufzeigen. Sie kennt sich bestens aus, auf dem Forschungsgebiet ihrer Freundin. Sie weiß auch, dass der The Duke of Burgundy eine Schmetterlingsart ist.
Die immer wieder auffällig ins Bild gesetzten abgebildeten, lebenden und aufgespießten Falter erscheinen im Film zunächst als reiner Selbstzweck in Gestalt eines visuellen Überschwangs, der Stricklands Verweigerung zeigt, sich bei seiner Inszenierung auf die eher schlichte narrative Ebene seiner Geschichte zu beschränken. Darüber hinaus ist der aus einer hässlichen Raupe heraus sich entwickelnde oftmals betörend schöne Schmetterling das bekannteste Symbol für den Prozess der Metamorphose. In The Duke of Burgundy sind Cynthia und Evelyn in dem harten Kokon ihrer in sich stetig wiederholenden Ritualen erstarrten Beziehung gefangen. Die sichtbare Entsprechung beider Ebenen zeigt sich in Gestalt der Truhe, in die Cynthia Evelyn nachts immer öfter einschließen soll. Mit Evelyn in der Truhe werden zwar deren submissive Wünsche befriedigt, nicht jedoch Cynthias Verlangen nach körperlicher Nähe.
Auf diese Weise offenbart The Duke of Burgundy wie kompliziert eine BDSM-Beziehung aufgrund verschiedener nicht einfach auszubalancierender Gefühlsebenen in der Realität tatsächlich sein kann. An diesem Punkt zeigt sich, dass Strickland die von ihm gewählte Form des Euro-Sleaze eindeutig transzendiert, hin zu einem Punkt, an dem er sich als der Sperrspitze heutiger Filmschaffender zugehörig erweist. Während es bei Stricklands filmischen Vorbildern zu The Duke of Burgundy in erster Linie darum ging, mittels oft abstruser Plots möglichst viele Szenen mit jungen, schönen, nackten Frauen in Szenarien von traumartig-schwülstiger Erotik zu präsentieren, verfolgt der zurückhaltende Engländer eine denkbar konträre Agenda.
Dies beginnt bereits bei der Auswahl von Sidse Babett Knudsen für die Rolle von Cynthia, die eine schöne Frau, aber eben auch sichtlich eine Frau von mittleren Jahren ist. Strickland präsentiert ebenfalls viele der für das Genre zentralen erotischen Liebesszenen zwischen zwei Frauen. Statt einer plumpen Fleischbeschau, zeigt der Filmemacher jedoch die starke erotische Wirkung, die schöne Korsetts und Unterwäsche haben können.
Es gibt in The Duke of Burgundy zwar einen ganz besonders in Szene gesetzten Zoom auf das vermeintlich entblößte Geschlecht der mit leicht gespreizten Beinen in sexy Wäsche auf einem Sessel sitzenden Cynthia. Aber anstatt in einer Nahaufnahme der Vagina von pornografischer Deutlichkeit zu gipfeln, blickt die Kamera bei Strickman in ein
undurchdringliches Dunkel, in dem sich eine ganze phantastische Welt schwirrender Schmetterlinge entfaltet. Diese
Bildfolge unübertrefflicher Poesie und Schönheit mündet in fast abstrakten rhythmisch schlagenden Falterflügeln, die The Duke of Burgundy in die Sphäre reiner Kunst tragen. Nirgendwo wird deutlicher, als an dieser für die reine Narration vollkommen überflüssigen, aber immens virtuosen und vor Vitalität überquellenden Sequenz, dass sich Strickland aus der Enge des Genre-Kokons befreit und in eine Dimension reiner, unbegrenzter Kreativität
entschwebt.
In The Duke of Burgundy verschmelzen all die bekannten Zutaten des 70er-Euro-Sleaze, wie die betörende Lalala-Musik, die warmen Farben, die Bildüberblendungen und der allgegenwärtige Weichzeichner mit einem geradezu mystischen Blätterrauschen, dem geheimnisvollen Schmetterlingslockrufen vom Tonband und der fetischistischen Erotik von weiblichen Körpern in schwarzen Dessous zu einem größeren Ganzen, das die Magie aus dem Reich der Mythen in die scheinbar profane Welt des Alltags hineinträgt.
In Anbetracht der außerordentlichen Schönheit, Subtilität und Vielschichtigkeit von The Duke of Burgundy wird die Lächerlichkeit eines stumpfen Machwerks wie Fifty Shades of Grey (2015) in all seiner hirntoten Erbärmlichkeit erst so recht und überdeutlich sichtbar.