Großbritannien 2009 · 100 min. · FSK: ab 0 Regie: Lone Scherfig Drehbuch: Nick Hornby Kamera: John de Borman Darsteller: Carey Mulligan, Peter Sarsgaard, Olivia Williams, Alfred Molina, Cara Seymour u.a. |
||
Aufstehen, weitergehen! |
Die Gnade der späten Geburt – dieser Begriff hat für Frauen eine zweite Facette. Er heißt für uns (Frauen): Je später desto besser. Nachvollziehen einmal mehr in dem wahrhaft rundum gelungenen Film An Education.
Die Handlung kurz umrissen: In einem Vorort von London der frühen 60er wächst die hoffnungsvolle Jenny (Carey Mulligan) heran. Hübsch ist sie und auch noch klug, weshalb der Vater (Alfred Molina, wann dürfen wie ihn einmal als Hercule Poirot erleben), den eng geschnürten Gürtel locker macht und bereit ist, die Tochter zum Literaturstudium nach Oxford zu schicken. Doch kommt es anders als gedacht: Ein charmanter Mittdreißiger entdeckt das Mädchen im Regen an einer Bushaltestelle – und so weiter.
Die Geschichte ist charmant erzählt, verläuft erwartungsgemäß dramatisch und mündet in den vorgezeichneten, aber wünschenswerten Lebensweg dieser Heldin – aber davon soll für all jene, die den Film noch nicht gesehen haben, nicht zu viel verraten werden.
Unsere Heldin hat die Kurve jedenfalls gerade noch so gekriegt. Obwohl die Bildungsoption, unter anderem verkörpert von einer hinreißend bigotten Emma Thompson, noch sehr gegenwärtig und wenig verlockend ist. »Sie sollten sich wirklich überlegen, was sie ihren Schülerinnen antworten«, sagt Jenny in einer Schlüsselszene. Die Frage dazu lautet: Wozu? Wozu eine Ausbildung in Oxford, wenn man denn doch dazu verdammt ist, dumpfbackige Schülerinnen zu unterrichten. Alfred Molina ist jedenfalls, wie seine Tochter, geblendet von dem Filou, nur allzu gern bereit, die Minderjährige zu verheiraten, wie es scheint, gut zu verheiraten, denn das war ja, so zeigt, sich ohnehin das eigentliche Ziel des Oxfordstudiums.
Zurück zur Gnade der späten Geburt: Frauen Anfang der 60er hatten noch kaum weibliche Rollenmodelle, die ihnen eine intellektuelle Karriere nahegelegt haben. Im Film gibt es da immerhin noch die (ebenfalls recht junge) Lehrerin, die letztlich doch ein bescheidenes aber selbstbestimmtes Leben lebt – mit Paperbacks statt gebundenen Bücher und Kunstpostkarten statt Gemälden. Für Jenny ein immerhin erstrebenswerter Gegenentwurf. Zum dubiosen halbkriminellen Glamourleben ihres Liebhabers ebenso wie zur tristen Spießerexistenz ihrer Eltern.
Die vielleicht berührendste Szene des Films ist die, in der sich der Vater der niedergeschmetterten Tochter durch die geschlossene Tür offenbart. Er habe sein Lebtag Angst gehabt, gesteht er, mit Tee und Plätzchen in den Händen, dem kolportierten Allheilmittel der Briten für Katastrohen aller Art. Und eben das habe er seiner Tochter ersparen wollen: Die allgegenwärtiger Angst, die, so möchte ich unterstellen, aus dem Horror zweier Weltkriege gekrochen ist. Jenny soll davon frei sein und wird dafür von ihrem Vater eingesperrt in einen Kokon bürgerlicher Etikette.
Jenny hat letztlich Glück – und vor allem genug Mut – gehabt und ist ausgeschert aus der bürgerlichen Vorstellung vom Leben als Frau. Denn der Film basiert auf der Biographie der englischen Journalistin Lynn Barber. Auch sie trifft die Gnade der späten Geburt. Sie hat die Chance gehabt, ihren eigenen Weg zu gehen. Und sie hat sie offenbar genutzt. Anfang der 60er.
Manchmal frage ich mich ein halbes Jahrhundert später, was mache ich eigentlich aus der Freiheit, die ich habe.