USA 2018 · 94 min. · FSK: ab 6 Regie: David Lowery Drehbuch: David Lowery Kamera: Joe Anderson Darsteller: Robert Redford, Casey Affleck, Sissy Spacek, Danny Glover, Tika Sumpter, Tom Waits u.a. |
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Peng – was für ein Abschied! |
Als Robert Redford im Herbst 2018 bekannt gab, dass seine letzte Filmrolle die des Forrest Tucker in Robert Lowerys Ein Gauner & Gentleman sein würde, war die Irritation groß. Denn letztlich sind Schauspieler dann ja doch jene Menschen, die der Unsterblichkeit am nächsten kommen, überleben viele ihrer Rollen doch nicht nur den Schauspieler selbst, sondern sogar die folgenden Generationen an Zuschauern. Redfords Schlussstrich glich deshalb einem fast schon unerhörten Eingeständnis der eigenen Sterblichkeit.
Doch Lowerys Film macht dieses Eingeständnis wieder wett. Denn die hier erzählte Geschichte um einen Bankräuber, der sein ganzes Leben Banken ausgeraubt hat und auch im Alter nicht davon lassen kann, könnte nicht besser auf Redford zugeschrieben sein, könnte keine bessere Analogie dafür sein, was Redford seit seinen Anfängen bis heute als Schauspieler, Regisseur, Produzent und auch als Filmaktivist (man denke nur an seinen Kampf für den amerikanischen Independent Film und seine Mitarbeit am Sundance Filmfestival) geleistet hat.
Passend zu dieser liebevollen Hommage hat Lowery, dessen letzter Film A Ghost Story sich in eher experimentell-poetischen Bahnen bewegte, einen Film gedreht, der ganz im Zeichen der Zeit seiner Handlung steht, den frühen 1980er Jahren, als der real existierende Forrest Tucker seine letzten Banken überfiel; mal allein, dann wieder mit ein paar Kollegen. Lowery webt in seine Handlung eine zarte Liebesgeschichte mit der verwitweten Jewel (Sissy Spacek) ein und etabliert einen Gegner auf Seiten der Polizei (Casey Affleck als John Hunt), der der Geschichte ihre Dynamik verleiht und auch die in den letzten Jahrzehnten in Filmen wie Michael Manns Heat immer thematisierte charakterliche Nähe von Jäger und Gejagtem, Polizisten und Kriminellen humorvoll reproduziert.
Diese komödiantische Leichtigkeit und fast nebensächliche Inhaltlichkeit, die immer wieder an frühe Gauner- und Gangster-Komödien mit Redford wie Butch Cassidy and the Sundance Kid oder Der Clou erinnert, wird auch in Ansätzen in die Liebesgeschichte mit eingebunden, erhält aber durch die subtil Alter und Sehnsucht verkörpernde Sissy Spacek eine melancholische Note, die dem Film gut tut, weil sie ein wenig das hinterfragt, was Forrest Tucker nicht bereit ist, zu hinterfragen: warum er sich überhaupt einem Lebenszyklus aus Gefängnisaus- und Bankeinbrüchen verschrieben hat. Die hervorragend geschriebenen Dialoge zwischen Jewel und Redfords Alter Ego Forrest Tucker bilden dabei ein faszinierendes Gleichgewicht zu den Dialogen des anderen Ehepaars im Film, seines Jägers John Hunt, der sich mit seiner Frau Maureen (Tika Sumpter) einer ähnlichen Einsamkeit in Paarsamkeit ausgesetzt sieht und ähnlich hilflos agiert, wenn die eigene Frau Forderungen stellt.
Ist die doppelte Paarbeziehung der Anker, der die Generationen im Film verbindet, so sind es die in den Film montierten Sequenzen und Fotos aus alten Redford-Filmen – wie etwa Arthur Penns The Chase (1966) – der Anker zu Redfords eigener Lebenslinie. Und sieht man sich diese Fotos und Sequenzen – wie schnell sie auch wieder verschwinden – an, und sieht gleich im nächsten Moment den über achtzigjährigen Redford mit seinen fragilen Streichholzbeinen die nächste Bank ansteuern, dann wird augenblicklich klar, was bleiben wird von diesem großen Schauspieler, genau dann, wenn Lowerys Kamera ihn eingeholt und umrundet hat und sein Gesicht sucht – dann, genau dann ist da dieses Lachen, das in seiner Penetranz auch nerven kann, ja ganze Filme kaputtgelacht hat, aber dann doch so einzigartig war, dass auch das niemanden gestört hat, weil es eins zu sein scheint mit Redfords Gesicht und alles Alter und alle Pein abstreift, als wäre das Leben tatsächlich nicht endlich.
»I remember I sat down with him once and I said, 'Forrest, surely there’s an easier way for somebody in your position to make a living.' And he looked at me and he said, 'Brother, I’m not talking about making a living. I’m just talking about… living.'«
aus: The Old Man & the Gun»The outlaw, in the American imagination, is a subject of romance – a 'good' bad man, he is typically a master of escape, a crack shot, a ladies' man.«
David Grann, »The New Yorker«
82 ist das neue 50 – und das Kavaliersdelikt ist die neue Moral. Dieser Eindruck bleibt haften, nachdem man sich den neuesten Film mit Robert Redford in der Hauptrolle angesehen hat: The Old Man & the Gun, »Der alte Mann und die Knarre« – so heißt er im Original.
Aber weil das dem deutschen Verleih offenbar moralisch nicht eindeutig genug war, hat er den Film ins Eindeutige umgetauft: Ein Gauner & Gentleman – die Knarre ist weg für uns Volk der Pazifisten und ansonsten wissen wir nun wirklich, woran wir sind. Wobei »Gauner« eigentlich eine grobe Untertreibung ist. Es mag ja sympathisch sein, Banken auszurauben, aber diese von Robert Redford gespielte Figur namens Forrest Tucker ist genau das: Ein Bankräuber. Und zwar ein ziemlich erfolgreicher.
Vor allem aber ist er ein unglaublich netter Bankräuber. Alle, die von ihm ausgeraubt werden, äußern sich danach nur in den allerhöchsten Tönen: Die Ausgeraubten wissen zwar nicht mehr, ob der Mann eine Waffe dabei hatte oder nicht. Aber sie wissen, dass er höflich war und zuvorkommend. Ein Charmebolzen.
82 Jahre ist Robert Redford, aber man sieht es ihm nicht an: Wie ein elastischer Mittsiebziger, eine jugendliche Ausgabe von Clint Eastwood, federt er durch diesen Film. Er knutscht mit Sissy Spacek, zwinkert einer hübschen Bankangestellten zu, die seine Urenkelin sein könnte und die er leider, leider gerade überfällt, ausgerechnet an ihrem ersten Tag im Job.
Er hat auch das Flirten nicht verlernt. Auf der Flucht nach einem Überfall hilft er – eben ganz Gentleman – einer Frau, die eine Wagenpanne hat. Danach lädt er dann die eben kennengelernte Farmbesitzerin Jewel (Sissy Spacek) zum Kaffeetrinken ein. Was wir wissen, aber sie nicht weiß: Tatsächlich war das vor allem ein perfekter Trick, um die ihn verfolgende Polizei loszuwerden. Denn während er offen inkompetent hinter der Motorhaube am Automotor herumfummelt, fährt die Blaulichtarmada an ihm vorbei.
Die Szenen, in denen Redford und Spacek anbandeln, sind besondere Perlen dieses Films. Dagegen die Geschichte? Sie ist an diesem Film wirklich das Nebensächlichste. Denn Ein Gauner & Gentleman ist das perfekte Beispiel für das, was man in Amerika »Star-Vehikel« nennt: Ein ganz unverstellter Anlass, um einen ungemein beliebten Schauspieler wie Redford möglichst problemlos in Szene zu setzen, und ihm viel Gelegenheit zu geben, einfach im Bild zu sein, und sich von seinen besten Seiten zu zeigen. Derer hat Robert Redford viele. Ein schöner Mann, der schöne Dinge tut.
Zum Beispiel Banken überfallen. Denn auch der Bankraub ist im Kino vor allem zur Choreographie da, zur coolen Bewegung von Blicken und Körpern durch den Raum, die in ihrem Selbstzweck etwas Tänzerisches hat.
Die Uhr tickt dazu wie ein Metronom. Nur nicht aus dem Rhythmus kommen.
Während alldem wird Tucker von John Hunt gejagt, einem Detektiv, der von ihm, seinem Mut und seiner handwerklichen Perfektion fasziniert ist. So entwickelt sich ein durchaus ehrenhafter Zweikampf zwischen Polizist und Räuber, der auch der Zweikampf zweier Generationen, aber auch eines sehr ähnlichen Modells von Männlichkeit ist. Casey Affleck spielt das Gegenüber – einen Polizisten der von dem Alltag seiner Arbeit gelangweilt ist, und sein eigentliches (Jäger-)Handwerk aber genauso liebt, wie Tucker seins.
Auch eine Liebesbeziehung: Im letzten Gespräch der beiden, einem Telefonat, fragt John Hunt ehrlich besorgt: »Are you alright?«. Seine Antwort: »I am about to be.«
Dieser Detektiv ist eine interessante Figur, die einen eigenen Film verdient hätte. Nicht nur, weil dies eines der allzu seltenen Beispiele ist, in der wir in einem US-Film ein gemischtrassiges Paar sehen, und dies auch noch ganz selbstverständlich einfach im Alltag gezeigt, aber an keiner Stelle thematisiert wird.
Zugrunde liegt alldem übrigens tatsächlich die wahre Geschichte eines Mannes, der noch im Alter von 70 Jahren aus dem Hochsicherheitsgefängnis von San Quentin geflohen ist und mit einer beispiellosen Reihe von Überfällen die Öffentlichkeit in Bann gezogen hat. Der »New Yorker« hat sie in einer schönen Reportage erzählt, und damit dem Film seinen Titel geliefert.
Was Robert Redford und die von ihm gespielte Filmfigur auszeichnet, ist etwas Vergessenes, dennoch sehr Zeitloses, das nichts mit Old-School zu tun hat und Verhalten von Gestern: Eleganz und Lässigkeit.
Man kann sich hier im Netz die ersten Minuten des Films – leicht gekürzt – im Originalton anschauen – mit der großartigen jazzig-minimalistischen Titelmusik, die einem Steve-McQueen-Film entstammen könnte.
Schon ziemlich früh verweist Tucker/Redford hier gegenüber Jewel auf seinen Stil. Er verweigert den Beweis dafür, dass er wirklich ein Bankräuber ist: »Not
because I can’t, But because it’s just not my style.« – »Your style. You have style? Tell me what that is then...« – »Ok. Let’s take this place [Die Kaffeebar]. This place is not my style. ... And you find yourself a spot. You wait and you watch. It might take hours, it might take couple days even. But you wait. It’s got to be alright, the timing got to be alright. And when it does feel alright, you make your move.«
Es ist solche Freude am Handwerk, die auch diesen Film selbst bestimmt, der tatsächlich so wirkt wie jenes elegante Kino aus den 60er, 70er Jahren, als Redfords Karriere begann, Filme wie sie heute nicht mehr gemacht werden, weil sich die Welt und Hollywood verändert hat.
Ein bisschen Seniorenkino ist das alles auch, so ehrlich muss man sein. Sehr langsam erzählt, voller Nostalgie, vor allem für die 80er Jahre. Es passiert nicht viel, und das auch noch langsam. Ist aber auch egal, denn immerhin schaut man Redford bei der Arbeit zu. Was will man mehr?
Toxische Männlichkeit? Von derlei Modedebatten ist das Gemüt und das Antlitz dieses Mannes komplett verschont. Wenn einer für untoxische Männlichkeit steht, dann er. So ist dieser Film eher der Gegenentwurf zu einer toxischen Realität.
Es gibt also noch Hoffnung für alle Männer: Robert Redford, Symbol für dauerhaften Erfolg und ewige Jugend, spielt am liebsten solche Rollen, in denen die Figur mit seinem persönlichen Starimage verschmilzt. Der perfekte Auftritt für einen Held unserer Zeit: Ein guter Gangster.
Dieser Mann kann einfach alles. Wahrscheinlich wird er Hundert und hält noch die Erderwärmung auf.