Frankreich/Schweiz 2001 · 97 min. Regie: Jean-Luc Godard Drehbuch: Jean-Luc Godard Kamera: Christophe Pollock Darsteller: Bruno Putzulu, Cécile Camp, Jean Davy, Françoise Verny u.a. |
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Video-Gemälde |
Inhalt (nach Godard): Eine Stimme aus dem Off spricht zu zwei verschiedenen jungen Frauen. Sie erklärt ihnen ihre Rolle in einem Projekt, um das es gehen wird. Das Projekt soll die vier Schlüsselmomente der Liebe beschreiben: die Begegnung, die körperliche Leidenschaft, das Streiten und die Trennung, das Wiederfinden. Und dies bei drei Paaren, bei den Jungen, den Erwachsenen, den Alten. Das Projekt ist ein Theaterstück oder ein Film, ein Roman oder eine Oper. Auf jeden Fall ist es das Projekt eines Autors. Die Stimme aus dem Off ist die Stimme des Autors (Edgar). Er ist immer von einem Diener (Philippe) begleitet, oder einer Person, die sich wie ein Diener verhält. Philippe packt in dem Pariser Appartement Gemälde aus.
Problematisch in dem Projekt ist das Paar der Erwachsenen. Sie sind schwierig zu beschreiben, ohne eine Geschichte zu erzählen. Und da ist eine junge Frau, anders als die anderen. Sie haben sich schon einmal vor zwei Jahren gesehen, als Edgar zufällig einem Gespräch beiwohnte, das die Großeltern der jungen Frau mit einigen Amerikanern führte. Als Edgar dem jungen Mädchen sagen will, dass das Projekt durchgeführt wird, erfährt er, dass sie tot ist.
Die beiden jungen Frauen, zu denen die Stimme aus dem Off spricht, sind wie in einem dokumentarischen Interview kadriert. Sie werden nicht als Figuren eines Spielfilms eingeführt, sondern als Gesichter, die über eine Rolle erfahren, und erst den Charakter einer Figur während des Spiels erhalten. Das Spiel: Sätze über die Liebe zwischen der einen jungen Frau, jetzt Églantine, und einem jungen Mann, Perceval. Églantine fasst mit ihren Händen die langen Haare im Nacken zusammen.
Die
Interviews am Anfang werden durch Schwarzbilder durchbrochen, die Stimme aus dem Off läuft weiter. Von Beginn des Filmes an ist der Film ganz auf der Tonspur. Vielleicht muss man sich das Ton-Bild-Verhältnis als eines denken, in welchem sich das Bild aus dem Off (seine Unsichtbarkeit) zum Ton (das, was immer On ist) fügt. Die Tonspur: Dichte Sätze, Zitate, oder Sätze, die erst durch den Zusatz eines Namens zu Zitaten werden. Hohe literarische Sprache. Verstehensfragmente entstehen,
verschwinden. Die Musik, die sich über die Worte legt, Sätze, die sich überlagen. Was passiert? Passiert etwas? Gibt es eine Geschichte? Sind es Zustände einer Geschichte? Die Frage nach dem Beginn und dem Ende, dem Erinnern an ein Damals. Nicht bewegen.
Die Kamerabilder sind statisch. In den Innenräumen die fast unbeweglichen Figuren des Films und des Autorenprojekts. Sie ähneln den Gemälden und Fotografien, die sie umgeben, und wie aus einer Erstarrung heraus beginnen sie zu sprechen. Der Außenraum bewegt sich, weniger die Figuren. Eine junge Frau sitzt auf einer Bank an einem stark befahrenen Boulevard. Sie blickt geradeaus. Ein Laster fährt im Hintergrund vorbei. Die Frau dreht den Kopf.
Inhalt (nach Godard): Zwei Jahre zuvor. Ein hoher amerikanischer Funktionär, der von Hollywood geschickt wurde, möchte von zwei ehemaligen Widerstandskämpfern der Résistance die Geschichte von ihrer Liebe und ihrem Kampf gegen die Nazis kaufen. Die Enkelin des Widerstandkämpfers soll den Vertrag prüfen.
Die Enkelin ist die junge Frau aus dem ersten Teil. Edgar ist zufällig da. Er kam, um einen Historiker zu besuchen, einen Freund des Großvaters der jungen Frau. Er spricht mit ihm über die Katholiken in der Résistancebewegung. Außerdem arbeitet er an einer Kantate für Simone Weil.
Alles spielt sich in zwei Tagen als Gespräch zwischen ihnen ab. Immer mehr stellt sich die Frage, ob eine amerikanische Superproduktion das Recht hat, sich der Legenden der Anderen zu bemächtigen.
Immer wieder sollte der Übergang von Teil 1 zu 2 gesehen werden. Der Film wechselt in das Video, verlässt die statischen Bilder des ersten Teils. Die Figuren kommen in Landschaften und Orten an, ent- und besteigen Autos, betreten Landhäuser. Der Beginn des Videos in flammenden Farben, wie eine die ganze Leinwand überspannende Landschaftsmalerei. Wie ein Gemälde aus dem ersten Teil, das plötzlich zu leben beginnt. Eine hohe Ozeanwelle bricht sich. Und dann die von der Abendsonne durchflutete Landstraße. Edgar, der zu Fuß geht. Das Geschäftsgebaren zwischen den Figuren, die schönen Menschen, die flotten Autos, ein Auto, das am Rand der Landstraße stehen bleibt, im warmen Licht der untergehenden Sonne, die prallen Interieurs: Erinnerungen an die nouvelle vague.
Der (böse) amerikanische Produzent: Le Mépris. Die Geschichtslosigkeit der Amerikaner, die sich der Geschichten und Geschichte der anderer bemächtigen (müssen). Das kulturell Defizitäre der Amerikaner, für das das amerikanische Kino insgesamt einsteht, benannte Godard zuletzt auch in einem Interview als Grund für den Irakkrieg. »Es ist offensichtlich kein Zufall, dass das amerikanische Kino alles vereinnahmt, dass es seit dem Ersten Weltkrieg das trojanische Pferd der Vereinigten Staaten ist Auf eine gewisse Weise ist es das amerikanische Kino, das in den Irak gegangen ist. Wissen Sie, weshalb die Amerikaner in den Irak gegangen sind? Das Unbewusste der Regierung weiß, dass es dort eine Zivilisation gibt, die sumerische Zivilisation. Und diese Leute, die keine Geschichte haben, nur 200 Jahre, suchen Nischen. Sie gehen also in den Irak, nicht wegen des Öls, sondern wegen der Sumerer.« (Les Inrockuptibles, N°440, 2004)
Godard möchte, dass seine Filme wie Literatur betrachtet werden. Die Wortdichte und Fragmentierung von Handlungszusammenhängen, das Unterdrücken der Geschichte im ersten, wunderbaren Teil, das Verhältnis des zweiten zum ersten Teil, wobei der erstere der dem späteren nachfolgend ist, das Verhältnis von Ton und Bild: All dies verlangt nach einer mehrfachen Filmlektüre. Oder, wie Godard bei der deutschen Filmpremiere beim Münchener Filmfest 2001 sagt: »Eigentlich sollte man den Leuten Eintrittskarten zu drei Vorführungen des Films verkaufen. Bei der ersten sollen sie nur auf den Ton hören, bei der zweiten sich auf das Bild konzentrieren. Beim dritten Mal soll der Film in seiner Komplexität erfasst werden.«