Elysium

USA 2013 · 110 min. · FSK: ab 16
Regie: Neill Blomkamp
Drehbuch:
Kamera: Trent Opaloch
Darsteller: Matt Damon, Jodie Foster, William Fichtner, Diego Luna, Sharlto Copley u.a.
Irrster Punk

Moxyland, abgebrannt

Nur auf den ersten Blick verwun­dert es, dass der bislang faszi­nie­rendste, intel­li­gen­teste und aufre­gendste Block­buster des Jahres von einem Regisseur gedreht worden ist, der die ersten achtzehn Jahre seines Lebens in Südafrika sozia­li­siert worden ist. Denn schon ein zweiter Blick macht klar, dass daran nichts Verwun­der­li­ches ist, dass Südafrika nicht erst seit dem Ende der Apartheid eine der künst­le­risch krea­tivsten Nationen ist. Allein schon die Literatur. Ange­fangen bei »Hoch­li­te­ratur« wie die des Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­gers J.M. Coetzee oder der großen Marlene van Niekerk mit ihren Meis­ter­werken »Triomf« [1] und »Agaat« [2] bis zu modernen Varianten wie dem wuchtigen Schwu­len­roman »Men of the South« [3] von Zukiswa Wanner oder die Genre-Werke der SF-Autorin Lauren Beukes, deren letzter Roman »The Shining Girls« [4] gerade von der Produk­ti­ons­ge­sell­schaft von Leonardo DiCaprio zur filmi­schen Verwer­tung akqui­riert wurde. Doch schon frühere Bücher von Beukes sind sprach­lich wie inhalt­lich atem­be­rau­bend und voll düsterer Zukunfts­vi­sionen, die sich bereits in Teile des kollek­tiven Unter­be­wussten einge­graben haben dürften. Viel­leicht auch in jenes des eingangs erwähnten Regis­seurs Neill Blomkamp, dessen District 9 der erste große Jahr­hun­dert­wurf eines Science-Fiction-Films gewesen ist, der zeigte, was Science Fiction im Kontext gegen­wär­tiger globaler sozialer Kata­stro­phen leisten kann.

Blomkamps zweiter SF-Großfilm, Elysium, erinnert in seinen Cyborg-Visionen und der Beschrei­bung einer zukünf­tigen Gesell­schaft stark an Passagen aus Lauren van Beukes ersten Roman »Moxyland« [4], doch wählt Blomkamp nicht das filmische Äqui­va­lent sprach­li­cher und inhalt­li­cher Expe­ri­men­tier­freu­dig­keit, für die sich Beukes in ihrem Roman entschieden hatte. Blomkamp geht den geraden Weg, den Block­bus­terweg – und tut gut daran.

Der gerade Weg ist für Blomkamp nach District 9 erneut einer der verbrannten Erde, ein Dystopia des Elends, Alltag in Teilen Südafrikas und an Blomkamps Drehorten in Mexiko. Aber anders als in seinem Vorgän­ger­film bedarf es dieses Mal keiner Außer­ir­di­schen, um die fest­ge­fügten Hier­ar­chien von Arm und Reich, Fremd und Heimisch zu dekon­stru­ieren. Blomkamp bedient sich statt­dessen reichlich aus unserer Gegenwart, um das Jahr 2154 zu porträ­tieren. So wie heute ist die Welt zwei­ge­teilt, doch sind es heut­zu­tage kaum seetüch­tige Boote, mit denen die Flücht­linge aus Nord­afrika nach Europa gelangen wollen, sind es bei Blomkamp rampo­nierte, von Schleu­ser­banden gekaperte Raum­schiffe, die gegen Bezahlung versuchen, Flücht­linge in ein Habitat in der Erdum­lauf­bahn zu bringen, das allein denen vorbe­halten ist, die es sich leisten können, dort zu leben, dem Elysium. Die alte Dicho­tomie in einer neuen Dimension. Ähnlich wie heute, gelingt es den wenigsten, ihr Ziel zu erreichen, doch anders als heute ist einer der Haupt­gründe für die Flucht weniger das völlig unrea­lis­ti­sche Sess­haft­werden in der gläsernen Welt Elysiums als die Chance auf die perfekte medi­zi­ni­sche Behand­lung, die auf der Erde kaum mehr gewähr­leistet ist.

Blomkamp operiert in diesem Setting mit einem gelun­genen perso­nellen Trium­virat. Dem Underdog Max (Matt Damon), der aus strikt persön­li­chen Gründen das außer­ir­di­sche Habitat erreichen will und seinen beiden Gegen­spie­lern, der Vertei­di­gungs­mi­nis­terin des Habitats (Jodie Foster) und ihrem ausfüh­renden Organ, dem Agenten C.M. Kruger, der durch Sharlto Copley genüss­lich verkör­pert wird, einem alten südafri­ka­ni­schen Jugend­freund Blomkamps, der bereits in District 9 die komplexe Rolle des apoli­ti­schen Böse­wichts mit burischen Wurzeln gegeben hat.

Blomkamp verwei­gert sich aller­dings dieses Mal dem Humor, den District 9 letztlich zu einer unge­wöhn­li­chen, fast grotesken Komödie werden ließ. Elysium ist eine bitter­ernste Geschichte über die dispa­raten und mitunter kaum erträg­li­chen Zustände unserer Gegenwart und reiht sich damit in die rezente Reihe von ebenfalls bril­lanten, poli­ti­schen »Wider­stands­filmen« wie Kinds­köpfe 2, The East und The Company You Keep – Die Akte Grant ein. Dabei gelingt Blomkamp aller­dings der »weltigste« Film. Konz­en­trieren sich Adam Sandler, Zal Batman­glij und Robert Redford aller­dings stark auf Zustände in den USA (auch wenn sie durchaus woanders ange­sie­delt sein könnten), ist Blomkamps Elysium tatsäch­lich ein Film über die Welt von Morgen, in der es keine Nationen und Konti­nente mehr gibt, sondern tatsäch­lich nur noch zwei Entitäten. Reich und Arm.

Das mag sich für einen Moment etwas simpel und gerade bezogen auf die Boat-People von heute etwas über­stra­pa­ziert anhören, eine aufge­bauschte Nachricht, die man schon zu oft gesehen hat, der jeder über­drüssig ist. Doch was Blomkamp in seinem tief­grün­digen Action-Spektakel daraus macht, ist nicht nur konden­sierte südafri­ka­ni­sche Krea­ti­vität, knallige Realität voller Kitsch und Pathos, sondern schlichtweg auch der irrste Punk.

[1] Marlene van Niekerk, Triomf. Jonathan Ball Publis­hers SA, 2011.
[2] Marlene van Niekerk, Agaat. Tin House Books, 2010.
[3] Zukiswa Wanner, Men of the South. Kindle Edition, 2009.
[4] Lauren Beukes, The Shining Girls. HarperCol­lins 2013.
[5] Lauren Beukes, Moxyland. Angry Robot, 2011.

Tochter nach Elysium

Edelmann & Willmann sind sich einig

»Sind sie es leid, auf einem Berg von Abfall aufzu­wa­chen? Fragen Sie sich schon lange, ob Sie Ihr Job als Autodieb wirklich auslastet? Fühlen Sie sich zu Höherem berufen? Lassen Sie die Krücken Ihrer boden­s­tän­digen Existenz zurück! Steigen Sie mit uns auf und verkehren Sie in besseren Kreisen! Kommen Sie in den Himmel – so oder so!
Die Statistik sagt: Irgend­wann muss es klappen. Was haben sie zu verlieren?«

So ähnlich muss sich der Werbe­flyer des Menschen­schmugg­ler­rings lesen, der die geknech­teten Massen von der geschun­denen Erde in das abge­ho­bene Refugium der Reichen einzu­schleusen verspricht. Er ist nur bedingt erfolg­reich: bisher wurden anschei­nend alle seine Raum­fähren vor Erreichen des Ziels vom elysi­schen Gren­z­schutz abge­schossen.
Zweifel an Nach­hal­tig­keit dieses Geschäfts­mo­dells sind erlaubt. Seine Kunden sind die Ärmsten der Armen, davon gibt es auf der über­be­völ­kerten Erde mehr als genug. An Nachfrage mangelt es folglich nicht. Aber dass der »Reise­leiter« bei seiner Kalku­la­tion nicht ins Stutzen kommt, wenn jede Fuhre mit einem guten Dutzend Flücht­lingen im Total­schaden endet und er ein neues Raum­schiff mit Crew braucht...
Und warum überhaupt das Risiko des Eindrin­gens durch die Hintertür, wenn er den Leuten mittels ID-Fälschung ohnehin schon erschli­chen hat, was sie suchen: »Staats­an­gehö­rig­keit« und Bürger­rechte in Elysium? Warum nicht einfach ein Rundum-Sorglos-Paket aus guter Kleidung und einem regulären Einrei­se­ti­cket?

Doch woher sollte ein kleines, krimi­nelles Privat­un­ter­nehmen es auch besser wissen – wenn selbst die offi­zi­ellen Orga­ni­sa­tionen nicht effi­zi­enter wirt­schaften? Den Armen bürdet man im Krank­heits­fall lang­wie­rige, kosten­in­ten­sive und wirkungs­lose Therapien auf – nur um sie nicht in den Genuss der sekun­den­schnellen Total­hei­lungs­ver­fahren kommen zu lassen, die den Reichen zur Verfügung steht.

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Elysium gibt sich zunächst wie ein sozi­al­kri­ti­scher Science-Fiction-Film der 1960er und ‘70er – ein Film wie Soylent Green, Planet of the Apes, Logan’s Run, Fahren­heit 451. Er übersetzt aktuelle Entwick­lungen in eine dysto­pi­sche Zukunfts­vi­sion. Die 99,9 Prozent leben auf der Erde im Elend – das wie direkt aus einer heutigen Favela-Reportage bebildert scheint: Gedreht wurde auf einer der größten Müll­halden der Welt. (Quasi dem noch weiter herun­ter­ge­kom­menen Set von District 9.) Die oberen Zehn­tau­send haben sich, wenig wehmütig, in den Orbit verab­schiedet, von wo aus betrachtet der Planet noch etwas von seinem einstigen, blauen Charme behalten konnte. Ihre neue Heimat »Elysium« ist eine Art galak­ti­sches Riesenrad, ein soge­nannter »Stanford Torus« (Quelle: »Was ist was: Planeten und Raumfahrt«), in dessen Innen­mantel man es sich dank der Rota­ti­ons­schwer­kraft häuslich einge­richtet hat. Es ist die ulti­ma­tive »Gated Community«, ein Worst-of des Geschmacks der Geldigen von Santa Monica über Dubai und Miami bis Kapstadt. Sonnen­ge­bleicht-staubiges Beige gegen klini­sches Weiß mit Swim­ming­pool­blau und Palmen­grün.

Den wahren Klas­sen­un­ter­schied verortet der Film aber nicht in den Behau­sungen und Kontos­tänden – sondern in den Körpern. Der Reichtum erkauft das Recht auf den bedin­gungs­losen Erhalt des eigenen Leibs. In für den einfachen Haus­ge­brauch konzi­pierten Medi-Betten wird alles von einge­wach­senen Zehen­nä­geln und grippalen Infekten über wegge­schos­sene Visagen bis zum Krebs binnen Augen­bli­cken problem- und restlos geheilt – bei der Gesichts­re­kon­struk­tion sogar inklusive der indi­vi­du­ellen Bartmode.
Die Armen hingegen werden noch tradi­tio­nell krank – und bleiben es zumeist. Wenn die Gesund­heits­büro­kratie es zulässt, können sie ihr Glück in über­füllten, schlecht ausge­stat­teten Kran­ken­häu­sern versuchen. (Viel­leicht ist das ganze System ja nur eine Verschwö­rung, um die durch den tech­ni­schen Fort­schritt eigent­lich über­flüssig gewor­denen Mediziner wenigs­tens noch in der schwin­denden, irdischen Mittel­schicht zu halten.)
Im Grunde ist ELYSIUM der filmische Beitrag zur Debatte um »Obamacare« – die albtraum­hafte Zuspit­zung einer Welt, in der sich die repu­bli­ka­ni­sche Verwei­ge­rung eines »sozia­lis­ti­schen« Gesund­heits­sys­tems durch­ge­setzt hat.

Man trägt den Unter­schied buchs­täb­lich auf den Leib geschrieben: Wenn man so gut wie unver­wundbar ist, werden Narben zu einem mit Kalkül einge­set­zten Statement, zu einem Luxusgut. Die High Society trägt als Körper­schmuck filigrane Scarrings im Gesicht; ungeniert verkündet man beispiels­weise den eigenen Stand – »Riché« (sic!).
Die Unter-Menschen zieren sich noch ganz tradi­tio­nell, fast stam­mes­artig mit großflächigen Täto­wie­rungen. Einer­seits ist das ein Fest­halten der, Fest­halten an der eigenen Lebens­ge­schichte. Ande­rer­seits ist es ein einschüch­ternder Schutz- und Abwehr­panzer.
Und wo dieser nicht genügt und die medi­zin­tech­ni­schen Möglich­keiten einge­schränkt sind, wird man zum Do-it-yourself-Androiden: Der unfrei­wil­lige Held des Films, der Fabrik­ar­beiter Max (Matt Damon) lässt sich ein uner­probtes, hand­ver­lö­tetes Exos­ke­lett an die Knochen schrauben. Das ist ein Faible von Regisseur Neill Blomkamp – schon in District 9 warf sich der Prot­ago­nist in Schale, um mit gestähltem Rücken gegen die Klas­sen­feinde ins Feld zu ziehen. Und nicht nur darin gleichen sich die Filme, sowie in der Zwei-Welten-Thematik und dem Slum-Setting. Sondern auch darin, dass sich die poli­ti­sche Aussage eigent­lich schon in der Expo­si­tion in ihrer ganzen Komple­xität erschöpft, und Blomkamp in der zweiten Hälfte freudig schöne Feuer­funken entfacht: Aus Science Fiction als Metapher, als Zerr­spiegel der realen Gegenwart, wird Science Fiction als Spektakel, als Action­film.
Der Wert eines Körpers bemisst sich da vor allem daran, wie dekorativ und explosiv man ihn auf der Leinwand in seine Einz­el­teile zerlegen kann.

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Man darf nur nicht so genau hinschauen. Dann ist selbst die Erde noch schön. Diese faule Weisheit wird dem Waisen­kind Max von einer fürsorg­li­chen Nonne mit auf den Lebensweg gegeben.
Ähnliches gilt für Elysium selbst: Vieles macht solange Freude, bis man zu eingehend darüber nachdenkt. Eben die erwähnten Geschäfts­mo­delle des Menschen­schmugg­lers und der Erdaus­beuter – das ist kein Bild eines bösen Kapi­ta­lismus, sondern eines schlechten, unfähigen Kapi­ta­lismus'. Die Verschwö­rung auf Elysium, die den Präsi­denten quasi per Namen­sän­de­rung in der Compu­ter­da­ten­bank austau­schen will und hofft, dass das Volk sich da nicht weiter wundert, ist genauso unaus­ge­goren wie der Plan der Rebellen einer Total­ein­bür­ge­rung der gesamten Erdbe­völ­ke­rung mittels der einfachen Änderung einer Programmz­eile im System des Wolken­ku­ckucks­heims – die natürlich nie jemand rück­gängig machen würde... Die Beweg­gründe der Charak­tere halten selten einer näheren Begut­ach­tung stand – bei Sharlto Copleys zum Renegaten werdenden Auftrags­killer hat man sich wenigs­tens zu einem simplen »Na ja, der spinnt!« entschieden. Und am Ende beweist sich, dass man in Elysium die Resourcen ungenutzt bereit stehen gehabt hätte, die Erdbe­völ­ke­rung innerhalb von ein paar Tagen von allen Wehweh­chen zu befreien – und damit jedem Aufruhr von vorn­herein die Grundlage zu entziehen. Aber man hat es nicht getan, weil: »Äller­bätsch!«

Der Film müht sich immerhin, seinem Prot­ago­nisten hoch­e­mo­tio­nale Beweg­gründe zu geben. Erst handelt auch er letztlich nicht weniger im reinen Eigen­in­ter­esse als die Reichen: Bei einem Arbeits­un­fall radio­aktiv verstrahlt, will er nur sich allein nach Elyisum einschleusen. Dann trifft er seinen Schwarm aus Kinder­tagen wieder. Die, wie die Handlung halt so spielt, eine unheilbar krebs­kranke Tochter hat – einzige Hoffnung: ein Medi-Bett auf Eylsium.
Und das Kind erzählt ihm eine Fabel über eine Welt, in der nur die großen Tiere die süßesten Früchte fressen. Und sich das kleine Erdmänn­chen vergeb­lich streckt und reckt nach den schmack­haften Happen. Und Max nicht versteht, was das Nilpferd davon hätte, dem possier­li­chen Nager selbstlos bei- und unter­zu­stehen.
Aber in den letzten Minuten des Films wird ihm klar, was der wahre Antrieb einer mensch­li­chen Gesell­schaft sein, auf welchem großen Grund­prinzip alles Zusam­men­leben basieren sollte:
»Das Nilpferd wollte nur einen Freund.«