USA 2018 · 121 min. · FSK: ab 16 Regie: Antoine Fuqua Drehbuch: Richard Wenk Kamera: Oliver Wood Darsteller: Denzel Washington, Pedro Pascal, Bill Pullman, Melissa Leo, Jonathan Scarfe u.a. |
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Nicht nur in Gewalt- sondern auch in Erziehungsfragen talentiert. |
»Why were our only heroes nonviolent? I speak not of the morality of nonviolence, but of the sense that blacks are in especial need of this nonviolence.«
― Ta-Nehisi Coates, Between the World and Me»Aber das Glück kann nie kommen. Sind die Umstände endlich gefügig gemacht, so verlegt die Natur den Kampf von aussen nach innen und bringt allmählich in unserm Herzen eine Wandlung hervor, so dass es etwas anderes wünscht, als was ihm zuteil werden wird.«
― Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Wann gibt es das schon einmal? Dass man aus einer Blockbuster-Recht & Ordnung-Franchise-Fortsetzung rauskommt und mit anderen Besuchern des Films nicht über grandiose Tricktechnik und furiose Stunts oder moralische Bedenken spricht, sondern darüber rätselt, wie wohl der Titel des dritten Buches lauten mag, das in Antoine Fuquas The Equalizer 2 zu kurz eingeblendet wird, um den Titel wirklich zu erkennen?
Aber nicht nur dieser kleine, feine Moment macht Fuquas Film zu der Überraschung, die Mission: Impossible 6 – Fallout nicht war. Zwar ist es auch in The Equalizer 2 ein Ü50, nein, sogar schon ein Ü60, der sich um die Rettung menschlicher Moral kümmert, und zwar niemand anders als Denzel Washington, der erst vor zwei Jahren mit Fences einen Film als Regisseur ablieferte, der ebenfalls moralische Abgründe, Ungerechtigkeiten und das »Schwarzsein« in den USA thematisierte. Schon allein darüber ließe sich natürlich ein Exkurs eröffnen, warum es gerade die älteren Generationen sind, denen die Rettung der Moral im gegenwärtigen Blockbusterkino vorbehalten ist.
Aber noch interessanter ist es vielleicht einen Blick auf die Rettungsinitiativen selbst zu werfen. Ethan Hawke in Mission: Impossible 6 – Fallout 6 hat wenigstens noch Gut und Böse, um sich abzugrenzen und letztlich auf das einzige zu vertrauen, was ihm bleibt, seinen Körper, bar jeder Religion und Politik und dadurch völlig unkorrumpierbar und gewissermaßen die Essenz des Diktats der Körperlichkeit, was ja auch eine der vielen widersprüchlichen Errungenschaften 1968er-Denkens ist.
Doch Robert McCall (Denzel Washington) hat nicht einmal das. Schon im ersten Teil versuchte er sein Leben als Geheimagent zu vergessen, ein Versprechen, das er seiner sterbenden Frau gegeben hatte. Im zweiten Teil intensiviert McCall seine Trauerarbeit noch einmal; er hat die Stadt gewechselt, er lebt nun in Massachusetts und fährt für den Uber-Konkurrenten Lyft. Wittert er auf seinen Schichten eine Ungerechtigkeit, beseitigt er sie. Mal spontan, dann und wann auch mit Weitblick. Und es ist auch nicht immer Gewalt, die notwendig ist, nicht immer Rache, die Handeln erfordert. Und es sind auch diese ruhigen, für einen Film dieser Art, ungewöhnlichen Exkurse, die überraschen und die auch darauf hinweisen, dass The Equalizer 2 nicht nur mit spröder Oberflächen-Action operiert, sondern auch mit einem zarten Netz aus Subtexten spielt.
Seine Freundin Susan (Melissa Leo) vermittelt McCall auch Aufträge außerhalb seines alltäglichen Umfelds, so dass er gleich in der Eingangssequenz die Türkei im Zug durchqueren muss, um geradezubiegen, was gerade gehört. Hier liest McCall dann auch sein erstes Buch, Ta-Nehisi Coates Between the World and Me und schon hier wird deutlich, dass der zweite Teil dieses Franchises nicht nur ein zweiter Teil ist, sondern gewissermaßen ein „Lese-Entwicklungsroman“. Denn war es im ersten Teil noch Hemingways Der alte Mann und das Meer, ein dezidiert weißer, amerikanischer Autor, den McCall las, so ist es nun Coates, dessen Buch, vor drei Jahren erschienen, für ein provokantes, reformiertes Ringen um ein neues „schwarzes“ Selbstbewusstsein steht. Und es ist schon fast von subtiler Ironie, McCall gerade Coates lesen zu lassen und umgehend zu erleben, dass wir hier tatsächlich nicht das Rollenmodell des pazifistischen Schwarzen vorgeführt bekommen. Sondern eines, der für Moral alles tut, und sei es, archaische Gewalt anzuwenden.
Aber Coates schreibt in seinem Buch ja auch von der elendigen Qual, der leidigen Erwartungshaltung, als Schwarzer in Amerika immer doppelt gut sein zu müssen, um als Schwarzer anerkannt zu werden. Und als ob McCall die Personifizierung dieses Gedankens ist, wird schon im nächsten Moment exemplarisch gezeigt, dass McCall nicht nur Gewalt perfekt beherrscht, sondern auch in Erziehungsfragen nicht zu unterschätzen ist. Er nimmt sich des im gleichen Mietshaus wohnenden Miles (Ashton Sanders, zuletzt in Moonlight) an, und bewegt den Jugendlichen nicht nur dazu, seiner künstlerischen Begabung mehr Raum zu geben und sich von bösen Jungs und Gewalt abzugrenzen, sondern auch, ja wirklich, ganz und gar altmodisch, Bücher zu lesen, die auf Papier gedruckt sind!
McCall lebt dieses Ideal konsequent vor, denn inzwischen ist er beim zweiten in dieser Fortsetzung zitierten Buch angelangt, Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, wobei schwer zu dechiffrieren ist, welchen Band er da in Händen hält, wenn er abends in seinem Sessel sitzt und liest. Aber mit Proust setzt – zu Recht – auch die Ernüchterung ein, denn McCall muss feststellen, dass alles vergänglich ist, selbst ältesten Kollegen nicht zu trauen ist, und im Grunde der amerikanischen Polizei an sich nicht, denn was soll man von Ex-Polizisten und Freunden halten, die die Moral von Gut und Böse einfach umschreiben und sagen: »Es gibt keine Guten oder Bösen mehr, sondern nur noch Bedauernswerte.«
Damit sind wir aber nicht nur bei Proust, sondern in einem interessanten Bogenschlag auch wieder bei Coates, der schrieb: »The truth is that the police reflect America in all of its will and fear, and whatever we might make of this country’s criminal justice policy, it cannot be said that it was imposed by a repressive minority.« Doch dass auch die noch so unterdrückteste Minderheit irgendwann genug hat und sich wehrt, und sei es halt im Doppelpack, mit einem Roman in der einen und einer Handfeuerwaffe in der anderen Hand, überrascht in Zeiten, in denen mehr und mehr Rechtssicherheit populistischen Ideen geopfert wird, dann doch mehr, als hinter das Geheimnis des dritten, unbekannten Buchs in Equalizer 2 zu kommen, das schließlich auch als Platzhalter für die noch ungeschriebene neue Zukunft der Schwarzen Amerikas stehen könnte. Ob es allerdings eine des Glücks ist, dürfte nach der Leere, die sich nach dem Sturm auftut, mehr als fragwürdig sein.
Gleich zu Anfang gönnt der Film sich und den Zuschauern eine kleine Erleichterung. Da klingelt Robert McCall, der von Denzel Washington verkörperte Gelegenheitstaxifahrer und Held dieses Films, im Appartement eines prototypischen Yuppies, eines geschniegelten Geldhais, der dort mit Freunden, mit viel Koks und Alkohol eine Party feiert. Zuvor haben sie eine junge Frau offenbar missbraucht und in McCalls Taxi gesetzt. Jetzt lässt dieser sie dafür blutig bezahlen. McCall ruft nicht die Polizei, vertraut nicht auf den Rechtsstaat, sondern nimmt stellvertretend für andere Opfer deren Recht in die eigene Hand, und prügelt die vier reichen Schnösel zusammen, bricht ihnen Knochen und zerstört ihre Handys, auf denen sie die Vergewaltigung zuvor gefilmt haben. Denn McCall ist der »Equalizer«. Das darin liegende Wort »Gleich« ist das zentrale Wort in diesem Film. Denn »The Equalizer«, das heißt in wörtlicher Übersetzung so viel »Der Gleichsteller«, »der Ausgleicher«, »der das Gleichgewicht wieder herstellende«. Darum geht es: Um Ausgleich für Gewalt durch Gewalt.
Der »Equalizer›, das war ursprünglich die Hauptfigur einer gleichnamigen 88 Folgen umfassenden Fernseh-Serie. Eine Figur aus der Zeit des Zusammenbruchs der Utopien, aus der Epoche der neokonservativen Gegenrevolte, nach Vietnam und Watergate, ein Bruder im Geiste solcher Figuren wie der des Polizisten Dirty Harry, der auf den amerikanischen Kinostraßen aufräumte, und der Männer wie Frauen, die auf der Leinwand Rot sahen. Ein Vorläufer der Wutbürger und empörten Spießer unserer Tage.‹«
2014 belebte der US-Regisseur Antoine Fuqua, einer der wenigen Schwarzen, die erfolgreich in Hollywood Regie führen, diese im Prinzip reaktionäre, gewaltverherrlichende Figur.
Indem auch in Fuquas nunmehr zweitem Equalizer-Kinofilm aus dem Weißen, der für die Mächtigen die Drecksarbeit macht, ein Schwarzer wird, der den Schwachen Amerikas Genugtuung verschafft, aktualisiert der Regisseur diese Figur, erweitert sie und gibt ihr zumindest
ansatzweise eine Wendung. Denn McCall wird von Denzel Washington gespielt, und ist schon dadurch plötzlich ein Vertreter der erniedrigten Klasse Amerikas, der Schwarzen. Er mutiert zum Anwalt der Underdogs, zu einem, der die Reichen und Mächtigen und Weißen bestraft, nicht mehr der, der ihre Drecksarbeit macht.
Bitte nicht missverstehen: Wird etwas besser, weil es ein Schwarzer tut? Keineswegs. Aber es verändert sich. Durch den Hautfarbenwechsel steht der Held plötzlich rein
äußerlich nicht mehr auf Seiten der Macht, sondern auf Seiten der Ohnmächtigen. In seinen Körper eingeschrieben ist plötzlich die Erfahrung von Erniedrigung, Sklaverei, Rassismus.
Wir sehen all das, wenn wir Denzel Washington sehen. Wir sehen seine all-american-Heldenfiguren, aber auch Malcom X und auch den American Gangster. Und wenn ein Schwarzer zum Gleichmacher wird, dann ist
auch die Gleichheit eine andere. Gleichheit der Rassen gibt es in Amerika nämlich nicht.
Schließlich richtet sich der Film an ein junges Massenpublikum. Ihnen wird hier konservative Moral gepredigt. Aber auch »Empowerment«: Schwarze können das tun. Ohne diesen Aspekt der Hautfarbe, ohne die Tatsache, dass hier einmal ein schwarzer Held im Kino gerechte Gewalt gegen Weiße üben darf, wird man die Wirkung dieser neuen Filme nicht verstehen.
Die weitere Story ist demgegenüber unwichtig: Es geht darum, dass McCall früher bei der CIA war. Dann wird eines Tages seine beste Freundin Susan, eine Top-Ermittlerin der »Agency«, ermordet. Und plötzlich ist er wieder mitten drin und soll die Hintergründe aufklären – eine Verschwörung, in der niemand sicher ist.
The Equalizer handelt von Gerechtigkeit, nicht von Rache. Jeder bekommt nur, was er sich durch frühere Taten eingehandelt hat. Die Gerechtigkeit des »Equalizer« ist aber eine moralisch grundierte, alttestamentarische: Auge um Auge. Dass die Strafe in harter körperlicher Gewalt liegt, weit oberhalb symbolischer Züchtigung. Das hat ein infantiles Element, und wirkt wie ein Anachronismus, denn man hat gelernt, dass auch Gegengewalt eben Gewalt bleibt und nur das Rad des unendlichen Gewaltkreislaufes weiter dreht. Schließlich gibt es ja das Recht. Und doch...
Der Equalizer ist eine Figur, die dort, wo der Rechtsstaat scheinbar nicht hinkommt, oder wo er nicht greift, das Recht eben »selbst in die Hand« nimmt.
Diese Kinofigur des gerechten Rächers befriedigt zutiefst archaische Triebe. Er ist auch eine autoritäre Figur, der anderen gegenüber streng ist, ihnen Moral predigt. Ohne Humor. Todernst.
Es scheint gerade eine gesellschaftliche Sehnsucht nach solchen Typen im Kino zu geben. Und nach den mit ihnen einhergehenden zivilisatorischen Rückschritten. So gesehen ist der Equalizer als Zeitgeist-Produkt interessant. Als Film bleibt er vor allem etwas für schlichtere Gemüter.