USA 2021 · 156 min. · FSK: ab 12 Regie: Chloé Zhao Drehbuch: Kaz Firpo, Chloé Zhao, Patrick Burleigh, Ryan Firpo Kamera: Ben Davis Darsteller: Angelina Jolie, Gemma Chan, Salma Hayek, Richard Madden, Barry Keoghan u.a. |
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Einer für alle, alle für einen... | ||
(Foto: The Walt Disney Company (Germany) GmbH) |
»Wenn man etwas liebt, beschützt man es.«
(Filmzitat)»Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen,«
Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd' er leben,
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
(Mephistopheles zu Gott in Goethes »Faust«)
Grundsätzlich basierend auf den Eternals-Comic-Vorlagen von Jack Kirby (ab 1976), hat Chloé Zhao, bekannt geworden durch ihren oscarprämierten Nomadland, einen neuen Film ins Marvel Cinematic Universe (MCU) eingespeist. Die Unterschiede der beiden Filme könnten kaum größer sein: Stilles Roadmovie versus knalliges Popcorn-Kino. Schwer zu sagen, ob auch in diesem Großprojekt mit ganz eigenen Genre-Gesetzen die Handschrift der Regisseurin zu entdecken ist. Interessant ist auf jeden Fall, dass es sich Chloé Zhao auch in diesem Film nicht hat nehmen lassen, am Drehbuch mitzuarbeiten. Wie in Nomadland schafft sie es auch in Eternals, ihren Figuren Raum zu geben, sie interessant erscheinen zu lassen, ihre Emotionen sichtbar und nachvollziehbar zu machen.
Die Story (Drehbuch: Chloé Zhao, Patrick Burleigh, Ryan Firpo) will nichts weniger als im Marvel-Kosmos die Vorgeschichte und das Schicksal der Erde erzählen. Eventuelle Verbindungen und Überschneidungen zur Avengers-Erzählung sind wohl eher marginal. Die mächtigen Celestials, galaktische Planetenschöpfer, schufen als Bewacher der Menschen vor Riesenraubtieren, den Deviants, die zehn Eternals – menschenähnliche, fast unsterbliche Superhelden. Diese treten über die Jahrtausende hinweg immer wieder zur Verteidigung an, wenn die Deviants auftauchen, um Hochkulturen wie etwa die babylonische zu zerstören. Dies passiert auch in der Jetztzeit, in der der Film einsetzt, als in London die fiesen Giganten auftauchen. Das inzwischen auf der Erde verstreute Eternals-Team muss wieder zusammengerufen werden, ein nicht erst seit den Blues Brothers bekanntes Erzählmotiv.
Hier wird schon das erste der vielen interessanten Themen auf teilweise sehr witzige Weise eingeführt: Wie verbringt man als Unsterblicher seine Lebenszeit? Da gibt es Kingo (Kumail Nanjiani), der in Bollywood Karriere gemacht hat und im Alleingang nacheinander eine ganze Schauspielerdynastie verkörpert hat, oder der superkreative Erfinder Phastos (Brian Tyree Henry), der sich für das Leben in einer Kleinfamilie entschieden hat, zusammen mit seinem schwulen Partner. Auch Sersi (Gemma Chan, bekannt durch Jack Ryan: Shadow Recruit und die Serie Humans) ist vor der Liebe zu einem College-Kollegen nicht gefeit, obwohl sie eigentlich mal mit dem Superflieger Ikaris (Game of Thrones-Star Richard Madden) verheiratet war. Schon an diesen Namen erkennt man die angedeuteten mythologischen Bezüge zur griechischen Sagenwelt, wie auch bei Thena (Angelina Jolie), die wie die Göttin Athene Schild und Speer trägt, wenn sie kämpft. Dazu gesellt sich der Fäuste schwingende Beschützer Thenas, Gilgamesch (Ma Dong-seok) – wieder ein ganz eigener Mythos. Zusammengehalten wird die äußerst heterogene Truppe von der besonnenen Ajak (Salma Hayek), welche als Einzige direkte Anweisungen von dem Ober-Celestial Arishem bekommt.
Erstaunlicherweise gelingt es dem mit Action und wilden Kämpfen, Zeitsprüngen durch die Jahrhunderte, Götterbegegnungen, Intrigen und überraschenden Wendungen vollgepackten Drehbuch Interesse für die Figuren zu generieren und jedem Eternal außer seiner ganz speziellen Superpower auch noch seine eigene kleine Geschichte und eigene Motive zu geben. Das hatte nicht mal Christopher Nolan in Tenet mit seinem einzigen Protagonisten geschafft (oder versucht).
So lassen einen die vielen emotionalen Momente der komplizierten Loyalitätsentscheidungen seitens der Superhelden nie kalt. Zu dem enormen Unterhaltungswert trägt auch die Musik bei (Ramin Djawadi, schon für Game of Thrones und Iron Man am Werk), die ausgesprochen abwechslungsreich Stimmungswechsel markiert und immer wieder ein wenig Leichtigkeit im insgesamt eher apokalyptischen Treiben erzeugt. Wie auch der indische Filmproduzent Karun (Harish Patel), der die Superhelden mit seiner Kamera begleitet, um einen Dokumentarfilm zu drehen, einen Schuss witziger Absurdität in den Handlungs-Cocktail spritzt.
Neben der Etablierung einer konsistenten Schöpfungs- und Kosmosmythologie, in der die Menschen nur eine sehr unmaßgebliche und wenig ruhmreiche Rolle spielen (vergleiche Faust-Zitat im Vorspann), wirft Eternals auch die Frage nach dem Eingreifen in die menschliche Entwicklung auf. Der Eternals-Erfinder Phastos muss 1945 verzweifelt feststellen, dass seine Forschungsergebnisse zum Bau der Atombombe geführt haben, während er sich andere technische Fortschritte erhoffte. So entscheidet sich Phastos danach für sein privates Glück und greift mit seinen Erfindungen nicht mehr in den Lauf der Dinge ein. Und der mit der Gabe der Massenhypnose ausgestattete Eternal Druig (Barry Keoghan) wiederum kann es schon 1521 kaum ertragen, dass die Aztekenstadt Tenochtitlán auf brutalste Weise von den Spaniern erobert wird, und möchte helfend eingreifen. Tut es aber nicht. Stattdessen gründet er Jahrhunderte später in aller Abgeschiedenheit eine friedliche Kommune im Dschungel, in welche dann aber in der Jetztzeit die ewigen Gegner der Eternals einfallen.
Die Geschichte der Menschheit – für mitfühlende Superhelden kaum zu ertragen. So bleibt die finale Frage, ob die Eternals den Plan der Celestials, der auf eine Zerstörung des Planeten Erde aufgrund der Entstehung eines neuen Celestials hinauslaufen würde, ausführen sollen oder sich gegen ihre Götter stellen und die Erde retten sollen. Ist die Menschheit es wirklich wert, gerettet zu werden? Um diese Frage entbrennt ein tödlicher Konflikt der Eternals untereinander inclusive des erwachenden neuen Riesen-Celestials, der in atemberaubenden Kämpfen der so unterschiedlichen Heldenkräfte mündet. Rasende Schnelligkeit gegen Augenlaserkraft, Fliegen gegen Fesselung, Feuer gegen Vereisung, immer neue Metamorphosen und Spielarten des gigantischen Kräftemessens um einerseits die Liebe zur Erde oder andererseits die Zerstörung der Erde. Großes Finale, großes Blockbuster-Kino! Hier kommt der Superheldin Sersi eine besondere Rolle zu, da sie in mehrere Loyalitätskonflikte verstrickt ist und ihr bewusst wird, dass sie, wenn sie nur an sich glaubt, eine entscheidende Rolle beim Ausgang des Kampfes spielen kann bzw. muss. Das Thema der besonderen Berufung, das in keinem Heldenepos fehlen darf.
Natürlich bleiben Fragen, die in den nächsten Wochen diskutiert werden: Wird der Blockbuster die großen Erwartungen der Fangemeinde und Produzenten erfüllen? Kündigen die Andeutungen am Ende und die offenen Fragen schon die Fortsetzung der Eternals an? Und wird sich die Marvel-Gemeinde darauf einlassen? Sind die Actionchoreografien, die animierten Städte der Hochkulturen und die Spezialeffekte auf der Höhe der Zeit? Auf jeden Fall wird mit diesem Film ein wenig der oft gehörte Vorwurf widerlegt, in Hollywood hätten Frauen über 40 keine Chance mehr, größere Rollen zu bekommen. Angelina Jolie ist 46, Salma Hayek 55. Und die Zeit für Superheldinnen hat ja gerade erst begonnen.