Everest

USA/GB/IS 2015 · 122 min. · FSK: ab 12
Regie: Baltasar Kormákur
Drehbuch: ,
Kamera: Salvatore Totino
Darsteller: Jason Clarke, Jake Gyllenhaal, Josh Brolin, John Hawkes, Sam Worthington u.a.
Spannend, aber oberflächlich

Bergfieber

Das Unglück, das sich im Mai 1996 nach einem plötz­li­chen Wetter­um­schwung am Mount Everest ereignete, forderte mehrere Todes­opfer und war das bis dahin schlimmste Ereignis seiner Art am höchsten Gipfel der Erde. Deutlich wird am Beispiel dieser Kata­strophe der schmale Grat, auf dem sich der Mensch in seinem Streben nach Selbst­ver­wirk­li­chung und Selbstüber­win­dung seit jeher bewegt. Schneller, weiter und höher – nicht selten lassen wir jegliche Ehrfurcht hinter uns und reißen Grenzen ein, die uns von Natur aus gegeben sind. Manchmal, um unseren Wissens­durst zu stillen, wichtige Erkennt­nisse zu sammeln. Oft aber auch, um andere zu über­trumpfen und unsere kleine Existenz mit größerer Bedeutung aufzu­laden.

Gerade die beiden letzt­ge­nannten Aspekte klingen in Baltasar Kormákurs Spiel­film­auf­ar­bei­tung der Everest-Tragödie von 1996 mehrfach an, erfahren aller­dings zu selten eine ernst­hafte Vertie­fung. Schon gleich zu Anfang schärft der abge­klärte Berg­führer und Unter­nehmer Rob Hall (Jason Clarke) seinen Kunden – einer Gruppe von Amateur­berg­stei­gern – ein, dass der Mensch eigent­lich nicht dafür geschaffen ist, sich auf der Flughöhe einer Boeing 747 zu veraus­gaben. Eine Warnung, die wenige Augen­blicke später jedoch beiseite gewischt wird, da Hall und seine Crew das vermeint­lich Unmög­liche natürlich trotzdem wahr machen wollen.

Die hier aufschei­nende Hybris wird auch in dem Moment spürbar, als der Jour­na­list Jon Krakauer (Michael Kelly), der die kommer­zi­elle Expe­di­tion begleitet und später den Erleb­nis­be­richt „In eisige Höhen“ verfassen wird, die anderen Teil­nehmer über ihre Beweg­gründe befragt. Zunächst herrscht betre­tenes Schweigen. Dann erfahren wir unter anderem, dass die Japanerin Yasuko Namba (Naoko Mori) – die einzige Frau der Gruppe erhält auffal­lend wenig Lein­wand­zeit – ganz einfach den letzten der Seven Summits besteigen will und der Postbote Doug Hansen (John Hawkes) nach einem vormals geschei­terten Versuch endlich beweisen möchte, dass auch ein körper­lich schwächerer Mann zu einer großen Ener­gie­leis­tung fähig ist. Faszi­nie­rende Aben­teu­er­lust und falsch verstan­dener Heldenmut fließen an dieser Stelle auf beun­ru­hi­gende Weise zusammen. Spannende Gesichts­punkte, die im weiteren Hand­lungs­ver­lauf leider an den Rand gedrängt werden.

Ähnliches gilt auch für den montanen Massen­tou­rismus, den der Film immer mal wieder in den Blick nimmt, ohne den Finger allzu tief in die Wunde zu legen. Das Berg­steigen am Everest hat sich zu einem einträg­li­chen Geschäft entwi­ckelt, an dem mehr und mehr Extrem-Unter­nehmer parti­zi­pieren wollen. Der Konkur­renz­druck ist hoch, die Kunden haben ein kleines Vermögen inves­tiert und verlangen eine zufrie­den­stel­lende Betreuung. Dass diese immer schwerer zu gewähr­leisten ist, zeigt sich besonders in der Szene, in der der Pathologe Beck Weathers (bärbeißig: Josh Brolin) bei der Über­que­rung einer Fels­spalte abzu­stürzen droht, weil es vor ihm nicht vorangeht. Fürs Schlan­ge­stehen wie im Super­markt hat er nicht bezahlt, lässt uns der aufge­brachte Texaner wissen und spielt damit auf ein Dilemma an, das auch beim späteren Unglück eine nicht unwe­sent­liche Rolle spielen wird. Darüber hinaus halten sich Regie und Drehbuch aller­dings mit deutlich formu­lierter Kritik zurück. Keinem der Betei­ligten will der Film zu nahe treten und belässt es daher stets bei Andeu­tungen – was ein wenig enttäu­schend ist, wenn man bedenkt, dass nach der Kata­strophe große Kontro­versen über die Ereig­nisse und das Verhalten einiger Expe­di­ti­ons­führer entbrannten.

Geglie­dert ist Everest in zwei Erzähl­blöcke, die sich im Tonfall durchaus unter­scheiden. Die erste Hälfte zeigt auf eher nüchterne Weise, wie sich die Teil­nehmer von Halls Expe­di­tion – auf diese konzen­triert man sich hier in erster Linie – wochen­lang an die menschen­feind­liche Umgebung in dünner Luft anpassen. Schon hier machen die atem­be­rau­benden 3D-Aufnahmen der impo­santen Bergwelt – gedreht wurde auch in den italie­ni­schen Alpen – geradezu physisch spürbar, welche Extre­mer­fah­rung die Hobby­berg­steiger in Kauf nehmen, um ihr großes Ziel zu erreichen. Noch mitreißender und spek­ta­ku­lärer fallen die Bilder schließ­lich aus, als das Unheil mit dem Aufstieg zum Gipfel langsam seinen Lauf nimmt. In einem bestän­digen Wech­sel­spiel verbindet Kormákur den drama­ti­schen Über­le­bens­kampf in eisiger Höhe mit hekti­schen Rettungs­pla­nungen in einem tiefer gelegenen Camp und Tele­fon­ge­sprächen, in denen Robs schwan­gere Ehefrau Jan (Keira Knightley) und Becks Gattin Peach (in kleiner Rolle verschenkt: Robin Wright) von dem Unglück erfahren. Emotional zieht der Film nun merklich an und schafft es, den Betrachter mit den verzwei­felten Prot­ago­nisten mitfie­bern zu lassen, obwohl sie insgesamt recht ober­fläch­lich gezeichnet sind.

Während das Berg­stei­ger­drama spannende Ambi­va­lenzen und kritische Frage­stel­lungen bedau­er­li­cher­weise kleinhält, macht es als großes Kata­stro­phen­kino durchaus Eindruck und unter­streicht am Ende das, was einer der Betei­ligten schon zwischen­durch betont: „Das letzte Wort hat immer der Berg.“ Nichts­des­to­trotz fordert der Mensch die Natur weiterhin heraus. In der Hoffnung, sie gegen alle Wider­s­tände zu bezwingen. Und auf die Gefahr hin, neuer­liche Tragödien herauf­zu­be­schwören.