72. Filmfestspiele von Venedig 2015
Katastrophen und Leichtigkeit |
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Berge zu erklimmen! Der Eröffnungsfilm von Venedig zeigt ein, nun ja, Bergsteigerdrama | ||
(Foto: Universal Pictures International Germany GmbH) |
Das ging ja zumindest spektakulär los: Der Himalaya in 3D! Ein Bergsteigerdrama in mindestens drei Dimensionen eröffnete am Mittwochabend die 72. Filmfestspiele von Venedig: Everest vereint eine Fülle von Aspekten. Nicht nur lässt die modische 3D-Technik den höchsten Gipfel der Welt noch höher und gefährlicher aussehen – der Film vom isländischen Regisseur Baltasar Kormákur (101 Reykjavik) ist auch noch enorm Star-gespickt: Keira Knightley, Emily Watson, Robin Wright, Josh Brolin und Jake Gyllenhaal spielen mit in diesem Katastrophenfilm, der auf den Bestseller von Jon Krakauer zurückgeht – der US-amerikanische Extremsportjournalist war selbst mit dabei, als es 1996 zu einer der schlimmsten Katastrophen der Geschichte des Bergsteigens kam: Zwei kommerzielle Expeditionen gerieten nicht ganz ohne eigene Schuld in eine Schlechtwetterfront, acht Bergsteiger kamen dabei ums Leben.
Kormákurs Film beeindruckt zwar durch Digitaltechnik auf höchstem Niveau und spektakuläre Naturaufnahmen. Am interessantesten ist er aber in kultureller Hinsicht: Denn es geht in dem Film nicht zuletzt um das soziale Phänomen des Berg-Tourismus und das kommerzielle Bergsteigen, das längst den Mut der Pioniere des Anfangs und wissenschaftliche Expeditionen ersetzt hat: Auf über 6000 Metern Höhe stehen die Bergsteiger-Gruppen Schlange »wie an der Supermarktkasse«, so die von Brolin gespielte Figur im Film, und wer 65.000 Dollar für seinen Aufstieg bezahlt hat, wird leicht bereit sein, auch unangemessene Risiken in Kauf zu nehmen.
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Und wo wurde das Ganze gedreht? Tatsächlich in Südtirol! 700.000 Euro, so informiert uns eine Pressemitteilung, gab es dafür, dass der Himalaya nach Südtirol verpflanzt wurde. Das Schnalstal mit dem Hochjochferner Gletscher war 2014 das »perfekte Everest-Double«. Man filmte auf 3.000 Metern Höhe, wo das Everest-Basislager nachgebaut worden war. Die südtiroler Filmförderung heißt BLS. Die drei Buchstaben machen da gleich klar, worum es geht: »Business Location Südtirol. Das bedeutet faktisch, auch wenn es in Bozen bestimmt nicht alle gern hören, dass Everest auch irgendwie ein italienischer Film ist.«
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Everest wird im Wettbewerb außer Konkurrenz laufen – und Festivaldirektor Alberto Barbera entpuppt sich damit als ein Festivalleiter, der im Vergleich zu seinen Kollegen mit Abstand am meisten auf 3D setzt. Bereits vor zwei Jahren bescherte diese nach vor umstrittene Technik mit Alfonso Cuaróns Gravity Venedig einen der besten Festival-Eröffnungsfilme der letzten Jahrzehnte. Und mag Everest auch künstlerisch dahinter zurückstehen – dies ist ein spannender, unterhaltsamer Eröffnungsfilm, der in ungesehenen Bildern von Menschen und Lebensweisen erzählt, die den meisten Zuschauern fremd sein dürften.
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An den nächsten zwölf Tagen geht es dann aber vor allem um Goldene und Silberne Löwen. Insgesamt laufen über 120 Filme in vier Sektionen – erstmals seit vielen Jahren vollkommen ohne deutsche Beteiligung. Und das überrascht mich keineswegs. Darauf kommen wir an dieser Stelle noch zurück – aber erstmal nichts über Filme, die NICHT da sind, sondern über das, was gezeigt wird.
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Bereits am Dienstag gab es eine Voreröffnung für die Venezianer Bevölkerung in angenehm italienischem Stilgefühl: Perfekt gekleidete Honoratioren kamen ohne Krawatte und hielten kurze, humorvolle Reden, und bewiesen einmal mehr: Venedig ist eben einfach das lässigste Festival der Welt.
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Mit Live-Musik zeigte man danach die zwei Filme der Regie-Legende Orson Welles (er wäre in diesem Jahre hundert geworden), die in Venedig gedreht wurden: Beides sind Shakespeare-Verfilmungen: Othello (1951), ein prächtiges in gleißendem Sonnenschein gedrehtes Licht-und-Schatten-Spiel in Schwarzweiß. Der Kaufmann von Venedig von 1969 ist dagegen nur in Fragmenten erhalten. Der unter anderem vom Filmmuseum München restaurierte 35-Minuten-Torso zeigt ein in Farbe gedrehtes, trotzdem düster wirkendes Venedig. Welles versuchte hier die überraschend aktuelle Ehrenrettung der Hauptfigur: Mit Shylock habe Shakespeare dem Angehörigen einer Minderheit die schönsten Worte englischer Sprache in den Mund gelegt.
(to be continued)