USA/N 2005 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: Bent Hamer Drehbuchvorlage: Charles Bukowski Drehbuch: Bent Hamer, Jim Stark Kamera: John Christian Rosenlund Darsteller: Matt Dillon, Lili Taylor, Fischer Stevens, Marisa Tomei u.a. |
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Chinaski ist ein Gentleman |
Es ist ein gemeinhin bekannter Widerspruch, dass die sogenannte stade Vorweihnachtszeit üblicherweise das genau Gegenteil von ruhig und still ist. Wer vor adventlichem Lärm, Hektik und Stress für kurze Zeit fliehen möchte, dem sei ein Besuch des Films Factotum empfohlen. Der neue Film von Bent Hamer stellt sich nicht nur gegen die Hektik unseres Vorweihnachtsalltags, sondern auch gegen den Lärm und Trubel, der vielfach in unseren Kinos herrscht (auf der Leinwand ist in diesem Fall gemeint und nicht im Zuschauerraum).
Zudem ist er ein wirksames Antidot gegen die Flut von Gutmenschelei und Heile-Welt-Kitsch, die jedes Jahr zu dieser Zeit über uns hereinbricht.
Factotum beruht auf Leben und Werk von Charles Bukowski, dessen literarisches Alter Ego Hank Chinaski hier eindrucksvoll von Matt Dillon dargestellt wird.
Hanks Leben besteht im Grunde aus saufen, schreiben, Sex und Geldverdienen, wobei er hinsichtlich des letzten Punktes die mühelosen Möglichkeiten (Rennbahn, Arbeitsamt) den mühevollen (Arbeit) eindeutig vorzieht.
Mit charmantem Minimalismus beschränkt sich Factotum darauf, Hank bei diesen vier Tätigkeiten zu begleiten und erspart uns dabei moralische Wertungen, gesellschaftliche Kritik und jede Form von Erklärungsversuchen.
Dem Film fehlt zwar sowohl ein eindeutiger Spannungshöhepunkt als auch eine »Botschaft«, aber gerade das macht ihn so sympathisch.
Jenseits der sinnlosen Diskussion darüber, ob Factotum die Brillanz seiner literarischen Vorlage erreicht, kann man sachlich feststellen, dass er in jedem Fall stilistisch den Geschichten Bukowskis nahe kommt.
Das zeigt sich in den episodenhaften, sich wiederholenden Erlebnissen ebenso, wie am melancholisch trockenen Humor. Oder an den stimmungsvollen Zustandsbeschreibungen (im Film oft durch ausdrucksstarke Bilder). Oder an den knappen aber sehr
präzisen Charakterisierungen der Figuren. Oder an der Vermeidung von Stereotypen über exzessive Künstler, »coole« Säufer und die Welt der Verlierer und Ausgestoßenen.
Immer wieder erreicht der Film eine beinahe lyrisch literarische Qualität, wozu auch die sonoren Off-Kommentare von Matt Dillon einen nicht unerheblichen Beitrag leisten (einmal mehr deshalb auch hier die ausdrückliche Empfehlung der englischen Originalversion).
Trotzdem (und zum Glück) ist Factotum weit davon entfernt, ein »Filmgedicht« zu sein; er ist voll und ganz dem Medium Film verpflichtet und die Literatur ist nur als Einfluss erkennbar.
Eine gute literarische Vorlage hilft gar nichts, wenn es nicht gelingt, sie angemessen umzusetzen. Der Regisseur Bent Hamer hatte damit offensichtlich keine Probleme und musste sich dafür noch nicht einmal umstellen. Bereits in seinen früheren Filmen wie Eggs oder Kitchen Stories pflegte er diese pittoreske, verschrobene, melancholische Weltsicht, die sich nun nahtlos mit den Texten Charles Bukowskis verbindet.
Sehr gelungen ist dabei die visuelle Umsetzung (Kamera John Christian Rosenlund), die sich geschickt zwischen sprödem Realismus, verklärenden Sepia-Touch, konstruierten Tableaus und Edward Hopper-Stil bewegt. Fast überflüssig zu erwähnen, dass hektische Schnitte und rasante Kamerafahrten ganz fehlen.
Bleibt nur noch der Hinweis auf die hervorragenden schauspielerischen Leistungen, allen voran natürlich Matt Dillon als Hank Chinaski. Dillon trifft sehr genau das stille Revoluzzertum, die sonderbare Anziehungs- und Überzeugungskraft und die stoische Konsequenz der Vorlage Chinaski/Bukowski bzw. dessen, was man sich darunter vorstellt.
Absolut adäquat behaupten sich daneben Lily Taylor und Marisa Tomei als Hanks Freundinnen. Ihre Rollen sind nicht ganz so schillernd wie
die Dillons, doch wie in der Vorlage liegt die Herausforderung gerade darin, neben dem Monolithen Chinaski bestehen zu können.
Das selbe gilt dann auch für all die anderen kleinen bzw. winzigen Rollen, die es selbst in wenigen Szenen schaffen, einen Eindruck zu hinterlassen.
Auf alle Fälle wird mancher nach dem Besuch von Factotum die vorweihnachtliche Zeit mit anderen Augen betrachten (im positiven Fall gelassener, im negativen Fall mit Abscheu) und wer noch dringend ein Geschenk benötigt, der wird in der nächsten Buchhandlung unter B wie Bukowski fündig.