Fado

Deutschland/Portugal 2016 · 101 min. · FSK: ab 16
Regie: Jonas Rothlaender
Drehbuch: ,
Kamera: Alexander Haßkerl
Darsteller: Luise Heyer, Golo Euler, Albano Jerónimo, Pirjo Lonka, Duarte Grilo u.a.
Eine erotische Passionsgeschichte

Beziehungskampf in Lissabon

Es beginnt mit dem Tod: Ein junger Arzt, Fabian, kann die Frau nicht retten, die auf seinem Notfall­tisch liegt. Er ist scho­ckiert: Denn die schöne Tote erinnert ihn auf fatale Weise an Doro, seine verflos­sene Liebe. Fabian hatte sie sich schon nach der Trennung ganz aus dem Kopf geschlagen – doch nun ist sie wieder da, und lässt ihn nicht mehr los. Viel­leicht war die fremde Frau ja ein Zeichen aus dem Reich der Toten?

Dies ist ein Film über Erin­ne­rung und über die Macht der Phantasie.

Kurzer­hand bricht Fabian alle Brücken hinter sich ab, und entschließt sich, nach Lisssbon zu fliegen, wo Doro jetzt lebt und als Archi­tektin arbeitet. Mit allen Mitteln will er um sie kämpfen, es noch einmal mit ihr versuchen. Fabian besorgt sich eine Wohnung, besucht einen Portu­gie­sisch-Sprach­kurs und findet eine Stelle.

Auch Doro trifft er bald. Sie ist zunächst zwar höchst irritiert, doch zugleich auch erkennbar geschmei­chelt. Obwohl es ihr an Verehrern nicht mangelt, genießt sie Fabians Aufmerk­sam­keit, sein Interesse, das Spiel seines Liebes­wer­bens. Und irgend­wann ist sie sich sicher, dass Fabian sich tatsäch­lich geändert hat, und ihre Liebe eine zweite Chance hat. Sie verliebt sich wieder. Doch in Lissabon lauern zugleich die Geister der Vergan­gen­heit und auch wenn wir Zuschauer zuerst noch nicht wissen, warum sich beide damals eigent­lich getrennt hatten, erkennt man bald, woran es lag, dass ihre Beziehung einst geschei­tert ist: Die Bilder in Fabians Kopf beginnen die Realität zu über­la­gern, sich mit ihr unun­ter­scheidbar zu mischen. Und die Liebes­ge­schichte wandelt sich in eine Eifer­suchts­ge­schichte, aus der etwas Patho­lo­gi­sches wird: Stalking, der geliebte Mensch als Droge, von der man nicht herunter kommt. Dies ist eine Passi­ons­ge­schichte, vor allem aber die Tragödie zweier Menschen, die nicht vonein­ander lassen können, aber sich immer wieder aufs Neue zerflei­schen. Weil Fado in Lissabon spielt, sind pracht­volle Bilder garan­tiert – und sogar das berühmte Erdbeben von 1755 wird im Film zitiert.

Viaggio in Italia heißt jener große Film des Neorea­listen Roberto Rossel­lini, in dem dieser ein mittel­altes Ehepaar auf Itali­en­reise zeigt, und das Fremd-sein in einer Beziehung in der Fremde entfaltet. Dieser Film steht aus dem Hinter­grund Pate für dieses so unge­wöhn­li­ches wie heraus­ra­gendes Spiel­film­debüt aus Deutsch­land

Stre­cken­weise ist dies ein intel­li­gente psycho­pa­tho­lo­gi­sche Studie über krank­hafte Eifer­sucht und deren Facetten: Wir beginnen zu verstehen: Für den, der Eifer­sucht empfindet, sind alle Bilder wahr. Für ihn ist das alles Realität, auch wenn es imagi­niert ist. Eifer­sucht ist echtes inten­sives Kino. Kopfkino.

So fragt man sich stel­len­weise, ob nicht alles, was man hier sieht, eine Phantasie ist? Dann begreift man, dass das zwar nicht stimmt, dass man den Bildern auf der Leinwand aber auch nicht trauen darf. Sein und Schein, Phan­tastik und Realität über­la­gern sich bis zur Unun­ter­scheid­bar­keit in diesem Bezie­hungs-Thriller voller Inten­sität. Was bildet er sich ein, was ist real? Mit dieser Unklar­heit spielt der Film.

Wie in seinem sehr persön­li­chen Doku­men­tar­film Familie haben, in dem Jonas Roth­la­ender, ein Absolvent der »Deutschen Film- und Fern­seh­aka­demie Berlin« (dffb) von seiner eigenen Familie, und von unter­drückten Gefühle erzählte, geht es auch hier um abge­spal­tene Ängste und Emotionen. Roth­la­en­ders Spiel­film­debüt wird mit Golo Euler und Luise Heyer von zwei heraus­ra­genden Haupt­dar­stel­lern getragen. Der Film verlangt ihnen – im besten Sinn – einiges ab: Die Darstel­lung inten­siver, oft extremer Gefühls­zu­stände, wie sie im gern kontrol­lierten, oft kühlen, immer säuber­lich aufgeräumten und darum so asep­ti­schen deutschen Auto­ren­kino alles andere als alltäg­lich sind. Dazu gehören auch Sexszenen, die mal die Phantasie darstellen, mal die Realität.

Lissabon, Haupt­stadt Portugals und des Fado, der taumelnden, von Melan­cholie und Sehnsucht erfüllten portu­gie­si­schen Tanzmusik, ist der dritte Haupt­dar­steller in diesem Bezie­hungs-Drama, das eine sich ins Extrem stei­gernde Eifer­sucht zum Thema der Erzählung macht. Die Stadt ist ein Antago­nist, die sich der Haupt­figur Fabian entge­gen­stellt, zugleich aber auch eine Art Spiegel, die die Gefühls­zu­stände der Prot­ago­nisten verviel­facht. In Lissabons malerisch verwin­kelten Gassen verlieren sich Doro und Fabian, und finden sich wieder – zwei Schlaf­wandler der Liebe.

Optisch wie in seiner Insze­nie­rung ist dies ein beein­dru­ckendes Werk, das manchmal an Alfred Hitch­cocks Vertigo erinnert – in dem es auch um die Macht der Erin­ne­rung geht, die sich über die Gegenwart legt, um einen Mann, der gewis­ser­maßen in seinen Zwängen und seinen Wahn­vor­stel­lungen gefangen ist, und eine Frau trifft, die eine Doppel­gän­gerin ist, oder eben doch nicht.

Aus Liebe wird Suspense – eine fesselnde Geschichte und ein kluger, zwin­gender Film zwischen Liebes­lei­den­schaft und Tode­s­trieb, zwischen Passion und Wahn. Er ist auf allen Ebenen außer­ge­wöhn­lich gestaltet: der flir­renden, eine phan­tas­tisch-albtraum­hafte Ebene inte­grie­renden Kamera, der die Stim­mungen inten­si­vie­renden Tonspur und der sugges­tiven Insze­nie­rung. Die sehn­suchts­vollen Melodien des »Fado« erklingen zwar immer mal wieder. Mehr noch aber als zu hören, ist der Fado im Film zu spüren. Seine Lieder handeln meist von unglück­li­cher Liebe und der Name »Fado« heißt – Schicksal.