Frankreich 2005 · 110 min. Regie: Xavier Beauvois Drehbuch: Xavier Beauvois, Guillaume Bréaud, Jean-Eric Troubat Kamera: Caroline Champetier Darsteller: Nathalie Baye, Jalil Lespert, Roschdy Zem, Antoine Chappey, Xavier Beauvois u.a. |
Le petit lieutenant, so der Originaltitel dieses wunderbaren Film, der vom deutschen Verleih in einer fatalen Entscheidung mit dem unsäglichen Titel Eine fatale Entscheidung verunstaltet wurde, ist eines jener zu seltenen Schmuckstücke der großen, klassischen französischen Filmtradition, die noch in unsere Kinos kommen.
Mit Nathalie Baye, dem Star mehrerer Filme von Truffaut, Godard und Chabrol hat Regisseur Xavier Beauvois einen etwas anderen Polizeifilm gedreht. Der folgt durchaus den etablierten Traditionen, die der französische »Polar« seit Jean-Pierre Melville entwickelt hat, doch in den Nuancen zeigt sich Originalität neben dem Vertrauten: Zwei ungleiche Typen sind bei der Pariser Polizei mit einem zunächst scheinbar banalen Mordfall im Ausländermilieu beschäftigt, der sie bald auf die Spur der osteuropäischen Mafia führt.
Doch der Suspense ist hier anderer Art: Antoine (Jalil Lespert) ist ein frischgebackene Polizist, der zu seinem Job nur kam, weil er zu viele Polizeifilme gesehen hat. Caroline Vaudieu (Nathalie Baye), seine neue Chefin, ist dafür um so abgebrühter. Die stammt aus einer Familie, in der das Polizist-Sein Tradition hat, mit entsprechender Mischung aus genauer Kenntnis, Ehrgefühl und Zynismus übt sie ihren Job aus. Bald merkt man: Sie hat nicht nur einen Vaterkomplex, vor allem hat sie den Tod ihres Sohnes nicht überwunden, und ist dadurch zur Trinkerin geworden. In Antoine, dem Naivling aus der Provinz, findet sie einen Ersatzsohn.
Der Film ist fast wie eine Dokumentation gedreht, im Stil des schnörkellosen Cinéma vérité ähnelt er über weite Strecken einer Milieustudie. Voller psychologischer Spannung und mit einigem schwarzem Humor zeigt der Film mit deutlich kritischem Unterton die Belastungen des Berufsalltags, verfolgt Gruppendynamik, zieht den Blick nicht vor der Gewalt zurück.
Bestechend an Le petit lieutenant ist die Unaufgeregtheit des Films, die Lakonie und Präzision, mit der er seinen Figuren folgt, voller Neugier und Liebe, auch für ihre Verletzlichkeit. Das Fazit, dass auch Polizisten nur Menschen sind, mag nicht originell sein – so wie man es hier emotional erleben kann, ist es aber ein besonderes, leider seltenes Stück großes Kino.