Eine fatale Entscheidung – Die Kommissarin aus Paris

Le petit lieutenant

Neugier und Liebe

Le petit lieu­tenant, so der Origi­nal­titel dieses wunder­baren Film, der vom deutschen Verleih in einer fatalen Entschei­dung mit dem unsäg­li­chen Titel Eine fatale Entschei­dung verun­staltet wurde, ist eines jener zu seltenen Schmucks­tücke der großen, klas­si­schen fran­zö­si­schen Film­tra­di­tion, die noch in unsere Kinos kommen.

Mit Nathalie Baye, dem Star mehrerer Filme von Truffaut, Godard und Chabrol hat Regisseur Xavier Beauvois einen etwas anderen Poli­zei­film gedreht. Der folgt durchaus den etablierten Tradi­tionen, die der fran­zö­si­sche »Polar« seit Jean-Pierre Melville entwi­ckelt hat, doch in den Nuancen zeigt sich Origi­na­lität neben dem Vertrauten: Zwei ungleiche Typen sind bei der Pariser Polizei mit einem zunächst scheinbar banalen Mordfall im Auslän­der­mi­lieu beschäf­tigt, der sie bald auf die Spur der osteu­ropäi­schen Mafia führt.

Doch der Suspense ist hier anderer Art: Antoine (Jalil Lespert) ist ein frisch­ge­ba­ckene Polizist, der zu seinem Job nur kam, weil er zu viele Poli­zei­filme gesehen hat. Caroline Vaudieu (Nathalie Baye), seine neue Chefin, ist dafür um so abge­brühter. Die stammt aus einer Familie, in der das Polizist-Sein Tradition hat, mit entspre­chender Mischung aus genauer Kenntnis, Ehrgefühl und Zynismus übt sie ihren Job aus. Bald merkt man: Sie hat nicht nur einen Vater­kom­plex, vor allem hat sie den Tod ihres Sohnes nicht über­wunden, und ist dadurch zur Trinkerin geworden. In Antoine, dem Naivling aus der Provinz, findet sie einen Ersatz­sohn.

Der Film ist fast wie eine Doku­men­ta­tion gedreht, im Stil des schnör­kel­losen Cinéma vérité ähnelt er über weite Strecken einer Milieu­studie. Voller psycho­lo­gi­scher Spannung und mit einigem schwarzem Humor zeigt der Film mit deutlich kriti­schem Unterton die Belas­tungen des Berufs­all­tags, verfolgt Grup­pen­dy­namik, zieht den Blick nicht vor der Gewalt zurück.

Beste­chend an Le petit lieu­tenant ist die Unauf­ge­regt­heit des Films, die Lakonie und Präzision, mit der er seinen Figuren folgt, voller Neugier und Liebe, auch für ihre Verletz­lich­keit. Das Fazit, dass auch Poli­zisten nur Menschen sind, mag nicht originell sein – so wie man es hier emotional erleben kann, ist es aber ein beson­deres, leider seltenes Stück großes Kino.