USA/Kanada 2004 · 122 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Moore Drehbuch: Michael Moore Kamera: Michael Moore Darsteller: Michael Moore u.a. |
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Ratlos: George W. Bush am 11.9.01 |
Flinke Hände zupfen Haarstränen zurecht, pudern Stirn und Wangen, auf dass kein unschöner Fettglanz das Bild strahlender Perfektion trübe. Immerhin sind sie angetreten, die Welt zu blenden: Colin Powell, Condoleeza Rice, Donald Rumsfeld, George W. Bush. Michael Moore hat die Momente, in denen die Masken der Macht noch unvollkommen sind, in seinen Film geschnitten: das Make-up vor dem Fernsehauftritt als Metapher für die allgegenwärtige politische Scharade.
Michael Moore ist wieder einmal ausgezogen, seine Erzfeinde das Fürchten zu lehren. Erklärtes Ziel seiner Mission: der Sturz von George W. Bush. Und so knüpft er eifrig die Schlinge, die dem Präsidenten das Genick brechen soll. Allerhand Erschreckendes und Schändliches fördert er zu Tage: Er beginnt damit, wie dreist man Al Gore um seinen Sieg geprellt hat. Er zeigt, wie Namen aus Bushs Militärakten getilgt wurden, die diesen mit arabischen Geldgebern in Verbindung bringen. Enthüllt, wie man Angehörige des Bin Laden-Clans kurz nach dem 11. September klammheimlich außer Landes flog – ohne vorherige Befragung durch FBI oder CIA. Und er verfolgt die wundersame Wandlung Bushs vom Freizeit- zum Kriegs-Präsidenten.
Moores investigative Tour de Force ist atemberaubend und trifft den Nerv des Publikums. »Fahrenheit 9/11 bricht alle Kassenrekorde«, melden die Nachrichtenargentouren. Zum ersten Mal steht ein Dokumentarfilm auf Platz eins der US-Kinocharts. Doch was da zu sehen ist, hat mit dem Genre Dokumentarfilm weniger zu tun.
Wie schon in seinem Vorgängerfilm, dem oscargekrönten Bowling for Columbine, komponiert Moore gekonnt Archivbilder und eigenes Material zu einer bissigen und suggestiven Polemik. Frech postiert sich der Filmemacher vor dem Senat und hält den Herren Rekrutierungsunterlagen für ihre eigenen Kinder unter die Nase. Nur einer der 500 Senatoren, so die Botschaft der Szene, hat einen Sohn im Irak.
Die Minuten totaler Hilflosigkeit, als Bush vom Attentat auf das World Trade Center erfährt, kostet Moore in Zeitlupe aus. X-mal schneidet er Szenen hintereinander, in denen Bush die Lüge von den Massenvernichtungswaffen verbreitet, lässt ihn an unpassenden Stellen lachen. Einen besonders entlarvenden Moment musste Moore nicht zusammenschneiden. »We must stop terror«, tönt Bush markig in die Kamera und gleich darauf »Now watch this drive«. Der Zoom fährt in die Totale, und man sieht den Präsidenten, wie er elegant den Golfschläger schwingt.
Der Titel des Films zitiert den Buchklassiker »Fahrenheit 451« von 1952. Ray Bradbury beschreibt dort einen totalitären Staat, in dem Bücher verbrannt werden und selbständiges Denken verboten ist. Letzteres wird jedoch auch durch Moore nicht gefördert: Der Filmemacher erregt mehr die Gemüter als zum Ziehen eigener Schlüsse zu ermuntern. Stattdessen serviert er den Menschen seine Sicht der Welt als einzig gültige. Was Moore leistet, ist engagiert, entlarvend und überaus gekonnt arrangiert. Dafür erhielt er in Cannes die Golden Palme. Fahrenheit 9/11 ist jedoch vor allem eines: ein Propagandafilm par excellence.
Ob dies verdammenswert oder im Dienste der Sache gerechtfertigt ist, darüber lässt sich streiten. Viel problematischer: Um seine Mission zu erfüllen scheut Moore nicht davor zurück, auch äußerst fragwürdige Szenen einzubauen. Er hält die Kamera drauf, als die Mutter eines getöteten Soldaten weinend vor dem Weißen Haus zusammenbricht. Er zeigt Archivbilder halbverkohlter Leichen. Und das Gesicht eines schwer verletzten irakischen Kindes, verzerrt in Agonie. In diesen Momenten – und das ist der entscheidende Vorwurf, den man Moore machen muss – instrumentalisiert er die Opfer für seinen politischen Feldzug. Für jemanden, der sich selbst als moralische Instanz inszeniert, ist das völlig unentschuldbar. Shame on you, Mr. Moore.