Feiertag

Deutschland 2002 · 82 min.
Regie: Detlef Bothe
Drehbuch:
Kamera: Detlef Bothe
Darsteller: Dietmar Mössmer, Safia de Monney, Jeanne Tremsal, Niels-Bruno Schmidt u.a.
Mei, im Schnee is schee!

Ein sympa­thi­sches Projekt ist Feiertag in jedem Fall. Das Debüt des Schau­spie­lers Detlev Bothe ist ein in jeder Hinsicht unge­wöhn­li­ches Unter­fangen. Gedreht wurde mit Mini­mal­budget, Digi­tal­ka­mera und vielen hilf­rei­chen Freunden, fast ohne Team an 12 Drehtagen im Winter. Basis war ein in Gemein­schafts­ar­beit mit den Darstel­lern entwi­ckeltes Drehbuch-Treatment, das Handlung und Figuren, sowie einen Teil der Szenen grob skiz­zierte, vieles aber der Impro­vi­sa­ti­ons­gabe der Darsteller und dem Talent des Regis­seurs überließ. Der fertige Film, für dessen Post­pro­duk­tion sich dann auch Sponsoren fanden, schaffte es 2002 immerhin in den Wett­be­werb um den »Förder­preis Deutscher Film« beim Filmfest München, und schrammte nur knapp an der hoch­do­tierten Auszeich­nung vorbei – so schlecht war das Gewissen der Jury um Oskar Roehler, dass man immerhin eine in den Statuten gar nicht vorge­se­hene lobende Erwähnung verkün­dete, und mit eigenem Geld dotierte. Diese ebenfalls unge­wöhn­liche Vorge­schichte muss hier erzählt werden, schon um deutlich zu machen, wie steinig der Weg heute für einen sein kann, der in der Gegenwart dem alten Ansatz der Auto­ren­filmer die Treue halten, und unge­achtet von einge­fah­renen Bahnen des deutschen Film­be­triebs »einfach rausgehen und Filme machen« will.

Das Ergebnis, das jetzt in die Kinos kommt, trägt alle Spuren dieser Vorge­schichte. Wer an einzelnen, für jeden offen­sicht­li­chen Schwächen von Feiertag herum­nör­geln will, tut gut daran, sich zuvor noch einmal dessen Entste­hungs- und Verleih­be­din­gungen ins Gedächtnis zu rufen. Auch wenn die Dialoge sprach­lich mitunter hilflos wirken, auch wenn das Licht nicht immer richtig gesetzt, und auch wenn man daran zweifeln darf, jede Low-Budget-Produk­tion – so auch diese – in den Pres­se­infos flugs im zum »Dogma«-Film zu adeln, ist klar, warum der Film so aussieht, wie er aussieht. Feiertag ist kein Anlaß zu den neuer­dings wieder beliebten Grund­satz­be­trach­tungen über die Gefähr­dung der Würde des Kino­bildes durch die Verwen­dung von Video­ma­te­rial – auch hier kommt erst das Fressen und dann die Moral: Solange es konkur­renzlos billig ist, wird vom Homemovie bis zum Avant­gar­de­werk alles abseits des Main­stream digital herge­stellt werden.

Die Handlung kreist um eine Gruppe von jungen Städtern, die sich lose zu drei Paaren grup­pieren, und sich in der Hütte eines Tiroler Berg­dorfes zur gemein­samen Sylvester-Party verab­redet haben. Ange­kommen wird so viel getrunken wie gestritten, vor allem aber langweilt man sich mitein­ander. Für die Umgebung inter­es­sieren sie sich kaum – in der Gleich­gül­tig­keit, die sie beim Kontakt zu den Dörflern an den Tag legen, in der um sich selbst krei­senden Ober­fläch­lich­keit, die ihr sonstiges Verhalten prägt, dem alltäg­li­chen Geplapper und den von Anfang an kaum über­tünchten, Span­nungen unter­ein­ander, sind sie ein recht authen­ti­sches Abbild der Jeunesse Dorée unserer Gegenwart. Erstaun­lich gut gelingen hier dem Regisseur kurze intensive Einblicke, filmische Verhal­tens­for­schung.

Parallel dazu erzählt Bothe das Schicksal des 50jährigen Dorf­be­woh­ners Sam. Die Schwester will den elter­li­chen Hof endlich verkaufen, 500 Jahre Fami­li­en­be­sitz inter­es­sieren sie nicht, der Bruder wehrt sich in aussicht­loser Position – jede Seite entwi­ckelt also ihre eigene Form der Dekadenz. Bei diesem Hand­lungs­strang trifft man stärker auf Klischees vom primi­tiven Landleben, vom Frust des Provinz­lers, wie sie so doch wohl vor allem in den Köpfen der Stadt­be­wohner herum­spuken. Einige Momente erinnern dann aber mit ihren schrägen Touristen und Skileh­rern auch hier wieder an die gebro­chenen Heimat­bilder aus Filmen von Achtern­busch und Harather, oder an Skizzen aus Büchern Thomas Bernhards – wenn es auch nie so wie dort zu einem kreativen Panorama aus Irrsinn und Perver­sion verschmilzt. Dazu fehlten wohl die Zeit, viel­leicht auch Inspi­ra­tion. Dafür gefällt die Inten­sität, die der Sam-Darsteller Dietmar Mössmer seiner Figur gibt: Egal ob der sich eine Kugel in den Kopf schießen will, oder lustlos Pornos guckt, ob er seiner Misan­thropie gerade freien Lauf lässt, oder sich im Beisein seiner Schwester kurz mühsam zusam­men­reißt – es ist spannend zu sehen, wie Sams Charak­ter­maske langsam, aber unver­meid­lich verrutscht. Neben Mössmer bieten Safia de Monney und Mavie Hörbiger als zwei der Städter besondere Darstel­ler­leis­tungen.

Erwar­tungs­gemäß eska­lieren beide Erzähl­stränge, um dann mit der Gewalt zweier unge­bremster Züge aufein­ander zu prallen. Übrig bleibt ein Leichen­haufen, und es ist für den Beob­achter schwer zu entscheiden, ob hier die pessi­mis­ti­sche, jeden filmi­schen Trost verwei­gernde Zeit­dia­gnose des Filme­ma­chers oder die Notwen­dig­keit, der Story nach Anfang und Mitte nun auch ein Ende zu geben, die Oberhand behielten.

Inter­es­santer als viele der Main­stream­pro­duk­tionen, die Woche für Woche mit ihrem Einerlei die Leinwände füllen, ist Feiertag auf jeden Fall, und man kann sich gut vorstellen, dass Detlev Bothe mit mehr Unter­s­tüt­zung noch weitaus bessere, trotzdem hoffent­lich nicht strom­li­ni­en­för­mi­gere Filme machen wird. Sein Debüt hält sich – teils willent­lich, teils aus der Not eine Tugend machend – nur an wenige Konven­tionen. Der Film lebt von seiner Spon­ta­n­eität, seinem Drive, der Unver­schämt­heit, mit der hier einfach eine Geschichte erzählt wird: Straight und unver­fälscht. Die immer spürbare Energie tröstet über manche Mängel leicht hinweg.

Warnung vor dem Video – eine Erwiderung

Um es gleich vorweg­zu­schi­cken: Ich bin beken­nender Cine­phi­list. Als solcher liebe ich Filme und mag keine Videos. In »Look and Feel« unter­scheiden sie sich gewaltig. Statt der feinen, unre­gel­mäßigen, von Bild zu Bild vari­ierten Körnung des Films gibt es bei digitalen Aufnahmen eine Rasterung und Artefakte, die dann mit einem Blurr-Effekt kaschiert werden sollen. Kontrast, Farb­wie­der­gabe, Auflösung und Schärfe sind schlechter. Videos sind deshalb etwas für das Fernsehen, nicht für die große Kino­lein­wand. Video als Aufnah­me­me­dium führt in meiner Bewertung auto­ma­tisch zum Punkt­abzug. Trotzdem kann – wenn der Rest stimmt – unter dem Strich immer noch ein gutes bis sehr gutes Werk heraus­kommen. Beispiele dafür sind Atan­ar­juat, Suzhou River oder Halbe Treppe

Bei Feiertag stimmte »der Rest« leider nicht. Es ist das zweit­schlech­teste Werk – das Wort »Film« wäre eine Blas­phemie –, das ich in diesem Jahr­tau­send im Kino gesehen habe. Schlimmer war nur der untaug­liche Versuch eine Art süd-ost-asia­ti­schen »Blair-Witch-Jungles« nach­zu­äffen, den ich 2001 auf dem Filmmarkt in Cannes ertragen mußte. Aber letzterer wird mit einiger Sicher­heit niemals öffent­lich in einem europäi­schen Kino gezeigt.

Feiertag habe ich 2002 zum Abschluß des Münchner Filmfests gesehen. Als dort im Abspann das Logo »FFF« des Film- und Fern­seh­fonds Bayern auftauchte, dachte ich mir, da hat jemand seinen Skiurlaub per Film­för­de­rung finan­ziert und mußte deshalb ein eilig zusam­men­ge­schnit­tenes Video abgeben. Nur warum legt die Film­för­de­rung das Band nicht still und leise ins hinterste Regal sondern bläst es auf 35mm auf und nervt die Festi­val­be­su­cher damit? Inzwi­schen habe ich erfahren, daß die Förderung erst nach dem Skiurlaub einsetzte. Aber das macht die Sache auch nicht besser. Es bleibt Verschwen­dung von Steu­er­gel­dern. Nach dem Filmfest wollte ich Feiertag eigent­lich so schnell wie möglich vergessen. Doch das gelang mir nur teilweise. Dafür war das Video von Detlef Bothe einfach zu schlecht, die Erfahrung zu trau­ma­tisch. Nach der überaus wohl­wol­lenden Bespre­chung von Rüdiger Suchsland kann ich mir diese Erwi­de­rung deshalb nicht verkneifen, auch wenn ich mir Feiertag dafür nicht noch einmal antun wollte.

Rüdiger schreibt, daß man unter den gegebenen Produk­ti­ons­be­din­gungen mit nur minimaler Film­för­de­rung gar kein besseres Ergebnis hätte erzielen können. Das ist falsch. Auch mit geringen Mitteln läßt sich ein gutes Ergebnis erzielen: Bestes Beispiel ist Halbe Treppe von Andreas Dresen. Die Produk­ti­ons­be­din­gungen ähneln denen von Feiertag verblüf­fend: Nur mit einem Konzept ohne fertiges Drehbuch hat Dresen anfangs keine Film­för­de­rung bekommen. Trotzdem hat er sich mit befreun­deten Schau­spie­lern einige Zeit zum Impro­vi­sieren in eine eigens ange­mie­tete Wohnung zurück­ge­zogen. Aus Geld­mangel konnte dort nicht auf Film sondern nur auf Mini-DV gedreht werden. Erst als er die Aufnahmen vorführen konnte, hat er Film­för­de­rung für die Post­pro­duk­tion und den Transfer auf 35mm-Film erhalten. Halbe Treppe war im Wett­be­werb der Berlinale 2002, lief anschließend mit beacht­li­chem Erfolg im Kino und gewann zahl­reiche Film­preise.

Was macht Halbe Treppe soviel besser? Insgesamt mag Dresen etwas mehr Geld zur Verfügung gehabt haben, vor allem aber ist er der deutlich erfah­re­nere und talen­tier­tere Filme­ma­cher. So kennt er die Grenzen seines Aufnah­me­me­diums und versucht gar nicht erst, strahlend weiße Schnee­land­schaften vor blauem Himmel oder prächtige Sonnen­un­ter­gänge auf Mini-DV einzu­fangen, sondern beschränkt sich auf grauen Himmel und diffuses Licht, bei denen der Qualitäts­ab­fall gegenüber Film nicht so stark ins Auge fällt. Dann sind die Schau­spieler besser, die Geschichte stimmiger erzählt und die Figuren besser ausge­ar­beitet. Bei Halbe Treppe wirken sie wie aus dem richtigen Leben, so daß man als Zuschauer mitfühlen kann. Bei Feiertag hätte man aus dem Konflikt zwischen Einhei­mi­schem und Touristen, der die Grundlage der Geschichte bildet, sicher noch etwas machen können, wenn man auf das abstruse Ende verzichtet hätte. Aber Bothe verzet­telt sich anfangs in Nebensto­ries, die sich nicht ergänzen, und die Figuren wirken zu klischee­haft, ihre Entwick­lung ist zu sprung­haft und unmo­ti­viert. Daher schaffen sie es nicht, das Interesse des Zuschauers zu wecken.

Aber selbst wenn Feiertag, wie von Herrn Suchsland behauptet, wirklich das Optimum wäre, daß man mit den einge­setzten Mitteln erzielen könnte, wäre dies immer noch kein Grund das Video ins Kino zu bringen. Dafür ist es einfach zu schlecht und unin­ter­es­sant. Es gibt deutlich bessere Filme, die es nicht ins Kino schaffen. Denen nimmt man so die Leinwand weg. Daran erkennt man einen weiteren Nachteil, den Video für den Zuschauer hat: Das Bild sieht nicht nur billig aus – es ist es auch! Dies wird von den Video-Befür­wor­tern immer als großer Vorteil heraus­ge­stellt, da so Impro­vi­sa­tion und Low-Budget-Produk­tionen möglich werden. In der Tat gibt es einige gelungene Beispiele, die mit herkömm­li­chen Film aus Kosten­gründen nicht entstanden wären. Meist entpuppt sich dieser Vorteil für den Zuschauer aber als Bumerang: Bei Film denkt man wegen der Kosten gut nach, bevor man auf den Auslöser der Kamera drückt. Stimmen Licht und Perspek­tive? Ist die Einstel­lung notwendig und sinnvoll? Kann man das nicht besser ausdrü­cken? Bei Video besteht diese Notwen­dig­keit nicht. Man kann ohne Sinn und Verstand hemmungslos mit der Kamera drauf halten. Es kostet ja nichts! Wenn erst im Schnei­de­raum mit dem Nach­denken ange­fangen wird, ist es zu spät. Häufig wird aber auch im Schnei­de­raum der Sinn der einzelnen Szenen oder des Videos nicht hinter­fragt. Die notwen­dige Qualitäts­kon­trolle findet nicht statt. Daß jemand es schafft, den Aufnah­me­knopf einer Video­ka­mera zu drücken und mit der Hand­ka­mera rumzu­wa­ckeln, macht ihn noch nicht zum großen Filme­ma­cher und Dogma-Künstler. Leid­tra­gende sind die Zuschauer, die den Schrott vorge­setzt bekommen.