Deutschland 2002 · 122 min. · FSK: ab 16 Regie: Dominik Graf Drehbuch: Markus Busch, Dominik Graf Kamera: Benedict Neuenfels Darsteller: Karoline Eichhorn, Antonio Wannek, Sebastian Urzendowsky, Ralph Herforth u.a. |
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Antonio Wannek und Karoline Eichhorn |
Da ist ein Paar, das sich trennt. Der Mann will wieder zu seiner schwangeren Frau zurück. Kathrin (Karoline Eichhorn) die Geliebte, mit der er einen letzten Urlaub verbringen wollte, der zum Debakel wurde, bleibt noch ein paar Tage da, um Abstand zu gewinnen. Tage, die zu einer Reise ins innere Chaos werden. Es dauert eine Weile, bis man begreift, wie disparat die Elemente sind, die auch Dominik Graf zusammenbringt: Deutsche im Urlaub. Manchmal kann man an Karmakars Manila denken, der auch in ein fremdes Land ging, um einen Heimatfilm zu machen und wie in einer Laborsituation zu zeigen, dass weggehen muss, um anzukommen. Im Unterschied zu Karmakar hat Graf aber mehr Mut, das Chaos, das sich vielleicht in jedem Leben findet, auch wirklich darzustellen.
Denn Der Felsen ist mitreißend gemacht. So sehr, dass mancher auf der Strecke bleibt, weil er vielleicfht zu träge ist, um sich mitreißen zu lassen, zu fest auf manchen seiner Körperteile sitzt, als das man ihn in Bewegung bringen könnte. Der Felsen ist angreifbar, gewiß. Aber wie schön, dass es so ist. Dass hier ein Film vorliegt, über den man streiten kann, über den der streit lohnt. und wann zuletzt hätte man das, in Deutschland, schon über einen Film sagen können?
Auf Mini-DV gedreht, zeigt Graf wilde, spontane Bilder, versucht auch formal die Disparatheit zu bewahren, die den Gefühlen dieser Städterin im Dschungel entspricht. Schon am ersten Abend lässt sie sich auf ein kurzes Abenteuer mit zwei Franzosen ein. Zuvor hat sie Malte (Antonio Wanneck) kennen gelernt, einen 17jährigen, der in einem Resozialisierungscamp für straffällige Jugendliche lebt. Sie treffen sich wieder, Malte verliebt sich in sie, sie kann diese Gefühle nicht erwidern, und lässt doch Nähe zu – aus momentaner Schwäche vielleicht, auch aus Verantwortungsgefühl. Als Malte nach Deutschland zurückgebracht werden soll, flieht er aus dem Camp, und gemeinsam mit Maltes jungem Bruder fahren beide in die korsischen Berge. Dieser Weg einer sonderbaren Dreiergruppe zurück in die Natur, in ein zivilisatorisches Vakuum, erinnert an Nicholas Roegs 30 Jahre alten Walkabout mit dem entscheidenden Unterschied allerdings, dass hier bereits die Wildnis selbst das Unmögliche in dieser Liebesgeschichte offen legt.
Ein Film wie ein Traum. Ein radikales Werk. In seinem Stil steht Graf Mike Figgis näher, der zuletzt auch die neue Technik benutzte, um die Einheit stiftenden Filmbilder aufzusprengen, vom Fragmentarischen zu erzählen, ohne ihm Gewalt anzutun. Allerdings gibt es hier zwei Erzählerstimmen aus dem Off, die, darin manchmal Truffaut ähnlich, Zeit raffen, die Handlung beschleunigen, Erzählfäden zusammenfügen, und dadurch mehr Raum schaffen für anderes, Filmischeres, für die Ruhe, die im Kino oft fehlt. Distanz erzeugen sie allerdings auch. So hat Der Felsen gerade in seinem Verzicht darauf, alles erklären zu wollen, etwas Objektives, einen soziologischen Blick, nicht auf Milieus, sondern für eine Situation. Mitunter wirkt alles daher wie das erste praktische Beispiel jeder Theorie des Erzählens, die Graf vor zwei Jahren in seinem Filmessay München – Geheimnisse einer Stadt entwickelt hat. So wie die Stadt darin ein von Gefühlen bedeckter Ort war, zeichnet der Regisseur nun die Karte der Gefühlslandschaft einer jungen Frau. Und wieder begegnet man einem Erzählen, das die Flüchtigkeit des Lebens und Erlebens erfassen will, dem Zufall eine Chance geben.
Mit seltener Intensität gelingt Graf ein Film, der erwachsen ist, der die Zerschlissenheit von Gefühlen ebenso zeigt, wie das »zerstört-sein« (Graf) der Institution Familie. Mit diesem besten deutschen Film seit den frühen 80ern gibt sich Graf als Autorenfilmer der Gegenwart zu erkennen, und führt uns auf eine Entdeckungsreise ins Ich.