Deutschland 2007 · 91 min. · FSK: ab 6 Regie: Thomas Arslan Drehbuch: Thomas Arslan Kamera: Michael Wiesweg Darsteller: Angela Winkler, Karoline Eichhorn, Uwe Bohm, Anja Schneider, Gudrun Ritter u.a. |
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Provinzdepression |
Wir sind im gehobenen Bürgertum: Die Töchter heißen Laura und Sophie, die eine ist Übersetzerin, die andere Musikerin, ihre Mutter arbeitet als Photographin. Man hat nicht mehr ganz soviel Geld, aber um so mehr Stil. Die Mutter und ihr Lebensgefährte leben auf dem flachen Land der Uckermark in der Umgebung von Berlin. Die eine Tochter kommt zu Besuch, mit Mann und zwei Kindern, eine Großmutter ist auch noch da.
Wir beobachten diese vier Generationen ein paar Sommertage lang beim Herumhängen, Lesen, Reden, bei gemeinsamen Essen, beim allein ins Bett gehen. Kinder gucken Ameisen, man badet am See, irgendwann kommt noch die zweite Schwester. Sie lebt allein, ihr Verhältnis zum Rest der Familie ist distanzierter. »Wie gehts Dir denn Laura?« fragt die eine, und schnell ist man wieder in der bekannten Konstellation aus Kindertagen: Das kleine Mädchen gegen die Selbstgerechte. Leise, sachte werden die feinen Haarrisse im familiären Beziehungsgeflecht sichtbar, angedeutete Brüche erkennbar, die früher mal geschlagenen Wunden spürbar. Denn natürlich ist hier – wir sind im Bürgertum wie gesagt – hinter der Fassade nicht alles so wunderbar und harmonisch, wie es sein soll. Am ehesten erinnert Ferien an ein russisches Fin-de-Siècle-Drama in den Farben der Impressionisten, an Gorkis Sommergäste und Tschechows Drei Schwestern. Statt nach »Moskau« träumt man von »Berlin«, doch hier wie dort füllt unerfüllte Sehnsucht den Raum.
Aber draußen scheint die Sonne. Dazu erklingt der Sound der Grillen, des Windes, der durchs Grün rauscht Und was für ein Grün! Lange schon hat man im Kino keine Bilder mehr von solch beiläufiger Intensität gesehen, wie jetzt in Thomas Arslans Ferien. Präzise, klar und bezaubernd. Hier nun wieder mal schnell und allgemein von der »Berliner Schule« zu reden, stimmt zwar, lenkt aber ab. Denn vom Neo-Bressonianismus mancher Berliner Kollegen trennen den Regisseur Welten.
Das Drama ist durchaus da, nur explodiert hier nichts, es implodiert. Wie meistens im Leben. Und bei Arslan gibt es nicht einen einzigen dieser moralisierenden Kamera-Shots, bei denen der Zuschauer stundenlang meditieren soll, und man gern fragen möchte, warum das jetzt eigentlich sein muss. Er erzählt mit bezwingender Ökonomie, nur anders als viele.
Genutzt hat es auch, dass Arslan auf Laien verzichtet. Großartig sind die Darsteller, die man meist eher vom Theater her kennt:
Angela Winkler rutscht zwar mal kurz ins Angestrengte, in die Schrulligkeit des deutschen »Kunstkinos« der 80er, doch ihre Kollegen – Karoline Eichhorn, Uwe Bohm, Anja Schneider – bremsen sie schnell wieder aus. So dominiert auch auf der Darstellerebene jener Grundeindruck einer Verbindung von Beiläufigkeit und Präzision, die selten ist, auch unter den Berliner Kollegen.
Ferien ist ein Sommerfilm, passend zur Ferienzeit. Von geradezu französischer Leichtigkeit, allerdings mehr Rohmer, weniger Meeresfrüchte. Diese französische Haltung äußert sich im Licht, in der Schilderung eines Nachmittages am See, der Vorbereitung zum Abendessen, in den Gesprächen. Man begreift: Wir schauen uns selber zu, wenn wir dem
Leben zuschauen. Und das ist dann auch komisch, weil es entlarvt. Uns selber, und die anderen.
Ferien ist ein Film über Gefühle, die zwischen Ausbruch und Disziplinierung pendeln. Der strenge Rahmen macht eine gewisse mitunter auftretende Hysterie noch intensiver spürbar, weil er sie nicht kopiert, sondern im Raum stehen lässt. Dahinter ist Ferien aber auch ein Film über Macht. Über die Macht der Mütter, der Frauen, über ein
Frauenregime, über Familie, über Provinzdepression, über Deutsche in Ferien. Über das Bürgertum also.