Frankreich/D/NL 2015 · 84 min. · FSK: ab 12 Regie: Alexander Sokurow Drehbuch: Alexander Sokurow Kamera: Bruno Delbonnel Darsteller: Louis-Do de Lencquesaing, Benjamin Utzerath, Vincent Nemeth, Johanna Korthals Altes u.a. |
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Napoleon im Louvre: reine Fantasie. |
Die große Kunst hat den russischen Filmregisseur Alexander Sokourov schon immer gefesselt: Russian Arc hieß vor Jahren sein Film über die Hermitage von St.Petersburg – in einer einzigen Einstellung gefilmt ging es durch die Bilder des Museums und deren Geschichte. Jetzt hat sich Sokourov des Pariser Louvre angenommen: Francofonia entfaltet die Geschichte des Museums und läßt einige seiner Gemälde lebendig werden. Unter der Hand wird Francofonia so zu einer Parabel für das 20. Jahrhundert und die Lage der Kunst im Krieg, sowie zur Utopie eines anderen Europa, zu einem Gegenentwurf zu den aktuellen Diskussionen der Flüchtlingsquoten und Fremdenhass, über Rechtspopulismus und Menschenwürde.
Ein Containerschiff fährt übers Meer in schwerem Sturm, es wird hin und hergeschüttelt von den Wellen. In Alexander Sokourovs neuem Film ist dieses Schiff eine Metapher.
Es steht für Europa, die Idee des vereinten Europa und seine Werte und die gemeinsame Kultur, in denen sie wurzeln, und die gerade von Stürmen umtost ins Wanken und vielleicht sogar grundsätzlich in Gefahr geraten sind. Das Containerschiff steht auch als eine Art moderne Arche Noah für alles, was es zu bewahren gilt, im Fall einer Sintflut. Und dies sogar doppelt, nämlich nicht nur metaphorisch, sondern ganz konkret: Das Schiff, so sagt der Erzähler aus dem Off enthält die wichtigsten Kunstwerke Europas.
Und doch kann man das Schiff im Sturm heute nicht auf der Leinwand sehen, ohne zugleich an jene Schiffe zu denken, auf denen heute tagtäglich hunderte von Menschen durch die Winterstürme des Mittelmeeres in dieses Europa zu fliehen versuchen, ein Europa das mit sich selbst hadert, und mitunter den einen oder anderen seiner Werte über Bord wirft, wie eine lästige Ladung.
Es kommt noch ein anderes, zweites Schiff in Sokourovs Filmessay vor: Die »Medusa«, die 1810 in einer fürchterlichen Katastrophe verunglückte, und den Maler Théodore Géricault zu seinem »Floß der Medusa« inspirierte, einem der berühmtesten Gemälde des Louvre – das plötzlich ungemein aktuell wirkt, da es erst recht an die prekäre Situation der Flüchtlinge auf hoher See erinnert, dann sieht man eine »Marianne«, Frankreichs Nationalsymbol mit Jakobinermütze und Revolutionskokarde. Sie ruft »Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!«
»Marianne I am not in the mood of humor.« sagt der Regisseur. So beginnt Francofonia. Es folgen Luftaufnahmen des heutigen Paris, danach Archivmaterial in sehr guter Qualität: Hitlers Fahrt durch Paris, mit Albert Speer und Arno Breker, am Morgen des 23. Juni 1940, kurz nach dem siegreichen »Blitzkrieg« über Frankreich.
»Als ob er wusste, was uns erwartet...« sagt eine Stimme aus dem Off. Sie gehört dem Regisseur Sukourov. Dazu zeigen alte Fotografien Portraits von Cechow und Tolstoi, den zwei großen russischen Autoren, die Anfang des 20.Jahrhunderts starben. Dann sieht man Sukourov in seinem Arbeitszimmer, am Schreibtisch, umgeben von Büchern. Eine Spur zu auffällig drapiert liegt ganz oben ein sehr voluminöser Band über Leonardo da Vinci. Dann eine Folge von Portraitgemälden aus dem Louvre, vor allem aus der Spätrenaissance. Die Stimme aus dem Off feiert die Portraitkunst als Ausweis des Europäischen, seiner einzigartigen Feier und Verteidigung der Individualität. Der Islam würde keine Portraits kennen, sagt er.
In diesem Denkstil bewegt sich Sokourovs Film: Kaskadenhaft, einen Gedanken mit dem nächsten lose verknüpfend, den Assoziationen und Ideen nachgebend, sprunghaft, aber schlüssig, assoziativ an einem zarten Netz aus Bezügen, Verweisen, Referenzen und Beziehung webend, Geschichte und Gegenwart verbindend, sich allmählich verdichtend, im Bewusstseinsstrom durch die Geschichte und die Bilder des Louvre-Museums und deren tiefere Bedeutung, mal springend, oft ruhig schweifend, immer ironisch, dabei mit Lust an gelegentlichem Pathos.
Der Film verbindet diverse Formen: Dokumentarmaterial mit Spielszenen, Historisches und Phantastisches, die kunsthistorische Bildbetrachtung mit philosophischer Reflexion. Was ist das für ein Film?
Angekündigt wurde Francofonia irgendwann einmal als Dokumentarfilm über den Louvre. Aber das neue Werk des Russen Alexander Sukourov, einem der wichtigsten russischen Filmemacher, der vor ein paar Jahren in Venedig mit »Faust« den Goldenen Löwen gewann, ist viel mehr und völlig unvergleichlich: Persönlich gehaltenes, im allerbesten Sinne subjektiv assoziatives und überaus eigenwilliges, interessantes Kino. Formal kann man Francofonia am ehesten einen dokumentarischen Essay nennen: Freigeistig, verspielt, erratisch.
Dies ist ein persönlicher, subjektiv gehaltener Filmessay, der zugleich symphonisch aufs Große, aufs Ganze zielt: Der Film wagt nichts weniger, als eine Geschichte des Pariser Louvre zu erzählen. Er entfaltet die Museumshistorie, konzentriert auf jene gut vier Jahre, in denen Paris unter nazideutscher Besatzung litt, und läßt einige seiner Gemälde lebendig werden.
Zugleich nimmt er das alles als Fallbeispiel: Für die Kunst an sich und für das Schicksal des europäischen
Geistes.
Unter der Hand wird Francofonia so zu einer Parabel für das 20. Jahrhundert und die Lage der Kunst im Krieg, sowie zur Utopie eines anderen Europa, zu einem Gegenentwurf zu den aktuellen Diskussionen der Flüchtlingsquoten und Fremdenhass, über Rechtspopulismus und Menschenwürde.
Sukourov erzählt vom Louvre, von Paris, von Frankreich, er handelt auch von Deutschland und der Deutschen Beziehung zu Frankreich. Es dreht sich dabei vor allem um den Umgang der Franzosen und der Deutschen mit der Kunst während des Zweiten Weltkriegs. Zugleich ist der Film nicht zuletzt eine Meditation über die Idee des Museums an und für sich und über Europäische Kultur.
Diese Lust am großen Wurf, der epische Ton des Films und das Ringen mit den Größten, mit Leonardo da Vinci und Napoleon, verbunden mit einem ganz persönlichen Blick auf Figuren und Ereignisse, der weder politisch korrekt noch wissenschaftlich genau sein möchte, und der antiquarisches Faktenhubern konsequent vermeidet, dies alles, sehen gerade in Deutschland manche ungnädig.
Der Louvre überstand den Zweiten Weltkrieg, weil zwei Männer einen unausgesprochenen Pakt schlossen, um den Bestand des Louvre zu schützen – vor Kriegsschäden, wie vor deutschem Kunstraub: Franziskus Graf Wolff-Metternich war Generalkonservator des Rheinlands und mit Beginn der deutschen Besatzung in Frankreich Leiter der Abteilung »Kunstschutz« in Paris. Als solcher traf er bald den Direktor des Louvre, Jacques Jaujard. Die beiden schlossen einen unausgesprochen, gut funktionierenden Pakt, um die Kunst des Louvre für die Nachwelt zu bewahren.
Man kann hier natürlich leicht über Bildungseliten und Herrenreiter spotten. Und der Hinweis, dass die Nazis in der Regel mit Kunst anders umgingen, ist so berechtigt, wie wohlfeil.
Denn am Ende des Tages zählt allein, dass es dieser bildungselitäre Männerbund war, der in seinem Geist eher dem 19.Jahrhundert entstammt als dem 20., der die Kunst des Louvre für die Nachwelt weitgehend unbeschädigt bewahrte vor den ungebildeten Volksgenossen aus dem Osten dem Nachbarland
Francofonia steht doppelt für zwei bemerkenswerte Trends im Gegenwartskino. Zum einen ist der Film natürlich auch das, als was er ursprünglich mal angekündigt war: Ein Dokumentarfilm über eines der bedeutendsten Museen der Welt. Solche Museumsfilme sind in. Aber Frederic Wiseman in National Gallery, Wim Wenders in Kathedralen der Kultur oder Johannes Holzhausen in Das große Museum haben nur bieder arrangiert im Vergleich zu dem, was Sokourov jetzt tut. Denn der Russe entfaltet wie ein Archäologe die verschiedenen Schichten seines Gegenstands und versucht auch eine eigene intellektuelle Haltung zu ihm zu entwickeln.
Sokourov erzählt zum Vergleich mit dem Louvre auch, wie die Hermitage in Leningrad von den deutschen Angreifern bombardiert wurde. Das offenkundige Anliegen von Francofonia ist es, dem Europa der Gegenwart, in dem die Rechtpopulisten immer mehr den Ton angeben, und in dem Meinungs- wie Pressefreiheit abgebaut werden, einen Spiegel vorzuhalten, es an seine universalen Gemeinsamkeiten zu erinnern, und zu zeigen, dass Kunst keine spezifische Heimat hat, niemand bestimmten gehört, sondern der ganzen Welt. Das ist ganz eindeutig sowohl eine Botschaft an die eigene Regierung in Moskau, wie an die Staaten der Europäischen Union, die derzeit schon vor ein paar Hunderttausend Flüchtlingen kapituliert.
Vor allem aber ist Francofonia auch ein Essayfilm, ein vergessenes Genre, das gerade neue Blüte feiert, gerade weil es sich vom Fernsehreportagestil üblicher Dokumentationen absetzt.
Zur Zeit triumphiert im Kino die Wirklichkeit über die Fiktion. Alexander Sokourov löst diese Grenze auf, und gibt mit seinem ausgezeichneten, originellen und prachtvoll anzusehenden Film den Fakten die Phantasie und damit ihr Potential zurück.
Großartig ist schließlich, wie Sokurow die Kunst des Louvre zum Leben erweckt.