72. Filmfestspiele von Venedig 2015
Meditationen aus Paris... |
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Alexander Sokurows Francofonia ist für unseren Vendig-Korrespondenten keine Landung auf dem Hosenboden. | ||
(Foto: Piffl Medien GmbH) |
»Alle Museen müssen auf den Untergang vorbereitet sein.«– Aus Francofonia
»Un garcon m'a dit: Tu es compliquée!« – »Oui – et alors?« – Aus Les 3 Boutons
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»Als ob er wusste, was uns erwartet.« Alte Fotografien zeigen Tschechow und Tolstoi, zwei, die Anfang des 20. Jahrhunderts starben. Wir sehen Gericaults »Floß der Medusa«, dann eine Schauspielerin, kostümiert mit Jakobinermütze und Revolutionskokarde. »Marianne, I am not in the mood of humor«, sagt der Regisseur. So geht der Film los.
Die gerade modischen Drohnen-Bilder zeigen Paris senkrecht von oben.
Dann folgt Archivmaterial in sehr guter Qualität: Hitlers Fahrt
durch Paris, mit Speer, mit Arno Breker. Wer war noch dabei? Dann der Regisseur in seinem Arbeitszimmer, am Schreibtisch. Man sieht Bücher. Etwas coffeetableartig hindrapiert ein sehr großer fetter Band über Leonardo da Vinci. Dann eine Folge von Portraitbildern, vor allem aus der Spätrenaissance. Aus dem Off ein Lob der Portraitkunst, diese Individualität sei Europa, die Muselmanen würden keine Portraits kennen. Und so geht es weiter, hin und her, doch zunehmend verengt und
konkretisiert sich die Perspektive. Was ist das für ein Film?
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Angekündigt wurde er irgendwann mal als Dokumentarfilm über den Louvre. Und er fügt sich irgendwie in die derzeitge Welle von »Museumsfilmen«, und ist doch unvergleichlich: Francofonia, der neue Film des Russen Alexander Sokurow, der hier vor ein paar Jahren mit Faust den Goldenen
Löwen gewann, ist das bisher beste und in jedem Fall eigenwilligste, interessanteste Kinostück im Mostra-Wettbewerb. Dies ist kein Spielfilm, sondern ein dokumentarischer Essay. Vor allem Essay: Eigenwillig, verspielt, erratisch. Sokurow erzählt seinen Film selbst, er tritt hier auch selbst auf.
Der handelt ein wenig von Paris, etwas mehr von Frankreich, er handelt auch von Deutschland und der deutschen Beziehung zu Frankreich. Er dreht sich um den Umgang der Franzosen und der
Deutschen mit der Kunst während des Zweiten Weltkriegs. Er ist eine Meditation über das Museum an sich. Und er erzählt die Geschichte zweier Männer.
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Graf Wolff-Metternich war Generalkonservator des Rheinlands und hat als solcher bereits 1939 alle Kunstwerke des Kölner Doms vor dem kommenden Krieg »gesichert«. Der Krieg lag in der Luft. »Alle Museen müssen auf den Untergang vorbereitet sein«, sagt Sokurow. Mit Beginn der deutschen Besatzung in Frankreich wurde Wolff-Metternich Leiter der Abteilung »Kunstschutz« in Paris. Als solcher traf er bald den Direktor des Louvre, Jacques Jaujard.
Sokurow erzählt von der schwierigen
Annäherung beider Männer, und von einer Kommunikation, zu der auch das gemeinsame Beschweigen gehörte, eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen beiden, die es möglich machte, die Kunstwerke des Louvre weitgehend vor den Raubzügen der Nazi-Führung zu schützen. Die es Jaujard auch ermöglichte, Kunstwerke im Stillen aus Paris heraus und an sicherere Ort zu bringen.
Das wird erzählt, und auch wieder nicht, denn vieles bleibt auf der Andeutungsebene. Sokurow erzählt auch
anderes: Dass die Deutschen im Zweiten Weltkrieg den Louvre verschonten, die Hermitage in Leningrad aber bombardierten. Dass sie sich auch in Paris oft aufführten wie die Barbaren in Rom. Er zieht auch ein paar mehr als fragwürdige Vergleiche, wie den zwischen Napoleon und Hitler. Indem er den Satz Napoleons über Preußen zitiert: Preußen sei »ein Staat der es nicht verdient zu existieren.« Davon abgesehen, dass ich dieses Zitat auf die Schnelle nirgendwo finden konnte, und davon abgesehen,
dass den Satz wohl auch viele Bayern und Rheinländer und Südwestdeutsche heute noch unterschreiben würden oder früher unterschrieben hätten, ist Napoleons Verhalten ja an keiner Stelle mit Hitlers Vernichtungskriegen gleichzusetzen.
Was auch an anderen stellen klar wird, ist, dass Sokurow ein Fan deutscher Kultur und alles Deutschen ist, dass er erstaunlich viel Nachsicht mit Nazideutschland an den Tag legt. Darüber wird beim Filmstart noch zu diskutieren sein.
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Im Stil ist Francofonia manieriert, wie alles von Sokurow, und daher ist das auch nicht als Kritik gemeint, es ist einfach Sokurows Stil. Toll, wie subjektiv und mäandernd und einfach dem eigenen Interesse folgend hier erzählt wird. Großartig ist, was er mit der Kunst des Louvre macht: Er erweckt die Kunst zum Leben, vor allem die der Antike. Plötzlich sieht alles sehr plastisch aus,
frisch, lebendig und nahe. Die jahrtausendealten Steine bekommen Gegenwärtigkeit.
Wenn Sokurow uns die Kunstwerke der Assyer zeigt, so ist dies kein zufälliger Verweis. Der Verweis hat vielmehr die politische Pointe, das zu verteidigen, was heute als »Raubkunst« gern diskreditiert wird: Die Louvre-Raumkunst-Werke der Assyrer könnten eines Tages die einzigen sein, die vor den Zerstörungen der ISIS bewahrt worden sind. Sokurow sagt damit, dass Kunst keine spezifische Heimat
hat, nicht »nach Hause« zu einem bestimmten Volk und Boden gehört. Kunst gehört der ganzen Welt und sollte in alle Länder zerstreut aufbewahrt werden.
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Eine weitere politische Pointe: Sokurow, dessen Freundschaft zu Putin ein offenes Geheimnis ist, integriert Russland in die europäische Kultur. Aus der er zugleich das Moslemische, Islamische tilgt.
Er meditiert über die menschliche Suche nach Wahrheit, und über Universalgelehrte wie den Louvre-Erbauer Pierre Lescot, der – »hört her, ihr zeitgenössischen Architekten!« – gleichzeitig Mathematiker, Maler, Priester und Architekt gewesen sei.
Sokurow hält
Europa den Spiegel seiner Verluste vor.
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Humor gibt es wenig. Immerhin: In einem imaginären Gespräch mit Wolff-Metternich fragt Sokurow diesen: »Surprised, that Germany lost the war? When did it ever won?«
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Was wohl die Franzosen darüber denken? denke ich schon während des Films. Denn eigentlich hat Sokurow den Film gemacht, den die Franzosen hätten machen sollen. Eine Hohelied auf ihre Kultur. Aber auch ein Film über Kollaboration und die feinen moralischen Niemandsländer zwischen Kollaboration, Mitläufertum und Widerstand.
Jaujards Geschichte jedenfalls ist vollkommen vergessen worden.
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Etwas ganz anderes, aber auch ein Paris-Film, ist Lolo, der inzwischen fünfte Spielfilm von Julie Delpy, die längst auch Regisseurin ist und hier in Personalunion Hauptdarstellerin, Drehbuchautorin, Produzentin und eben Regisseurin. Die leichteren, vielleicht auch unterhaltenderen Filme laufen in den Nebenreihen, und diese Beschreibung trifft auf Lolo zu. Ein sehr französischer Film, der auch zur neuen Welle der Albernheitskomödien aus Frankreich passt. Am Ende reiner Boulevard, bei der viele Türen knallend zugeschlagen oder aufgerissen werden. Und bei jeder zweiten Tür, die aufgerissen wird, steht irgendwer dahinter. Auch der deutsche Modezar Karl Lagerfeld spielt eine überraschende Nebenrolle – sich selbst.
Es geht um eine
Parisierin aus der Modebranche, die sich in einen Provinzler verliebt. Als der nach Paris kommt, und die Beziehung ernst wird, muss er sich auch mit ihrem fast erwachsenen Sohn arrangieren, dem titelgebenden Lolo.
Diese leichte, sehr musikalische und ausnahmsweise einmal mit guter Musik untermalte Unterhaltung kann man zwar gut angucken, und Delpy hat in jeder Hinsicht viel Mut, auch viel Selbstironie. Aber am Ende bleibt nicht viel übrig von diesem Film-Fast-Food.
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Besser und viel interessanter waren die beiden Kurzfilme, die Lolo vorangingen: Von Alicia Rohrwacher und von Angès Varda, die beide als Nummern #9 und #10 der Miu Miu – Women’s Tales die die Nebensektion »Giornate degli Autori« eröffneten – im Auftrag eines feinen Labels für Damenunterwäsche, das seit Jahren weibliche Filmemacher mit besonders exquisiten Kurzfilmen – keinen Werbeclips – beauftragt. Rohrwacher, Italienerin mit deutschen Wurzeln, gewann mit Land der Wunder in Cannes eine Silberne Palme für die beste Regie. Jetzt hast sie mit De Djess einen 14 minütigen, überaus originellen und lustigen Film gedreht – leichtes, aber gleichwohl hochästhetisches Kino. Auch noch im Festivalhotel Excelsior gedreht, ideal also für Venedig. Man kann den Film bereits auf YouTube angucken und nachdem man das getan hat, sich ja mal ganz im Ernst die Frage stellen: Warum sind Filme eigentlich nicht viel öfter so? Rätselhaft, anstrengend, verspielt und schön.
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Es folgte Les 3 Boutons, »die drei Knöpfe« von Agnès Varda, Altmeisterin der Nouvelle Vague. Auch der ist sehr sehr schön, auch der hüpfte nach der Premiere gleich ins Netz. Das Manifest eines jungen Mädchens und der Mode – für Unabhängigkeit und Freiheit. Typisch Varda.
(to be continued)