Freeze – Alptraum Nachtwache

Nightwatch

USA 1998 · 101 min. · FSK: ab 16
Regie: Ole Bornedal
Drehbuch: ,
Kamera: Dan Laustsen
Darsteller: Ewan McGregor, Nick Nolte, Josh Brolin, Patricia Arquette u.a.

Abtötung der Phantasie

Ole Bornedal macht’s noch einmal

»Es ist genau wie in einem jener billigen Filme im Werbe­fern­sehen. Der Held sieht etwas, und keiner glaubt ihm« – von Anfang an ist Detektiv Cray (Nick Nolte genial) ein Bescheid­wisser, der uns allen den Plot und dessen Subtexte erklärt. Sogar Roland Barthes hat er gelesen, wie wir, ebenso bescheid­wis­send, sofort erkannt haben (um ehrlich zu sein: Herr Willmann, der bekannte Barthes-Experte, hat sofort gewußt, in welchem Band der Suhrkamp-Gesamt­aus­gabe wir nach­schlagen müssen, um das Photo zu finden, das hinter Ewan McGregor an der Wand hängt). Cray weiß, daß Mark, der mehr und mehr unter Verdacht steht, ein gefürch­teter Seri­en­killer zu sein, der seinen Prosti­tu­ier­ten­op­fern immer die Augen aussticht, nicht der Mörder ist. Woher er das weiß, begreifen wir erst am Ende.

Mit Night­watch wurde Ole Bornedal 1994 bekannt. Jetzt bekam der dänische Regisseur die Chance, seinen ersten Hollywood-Film zu drehen, und flugs fabri­zierte er ein nur gering­fügig verän­dertes Remake seines Erfolgsund trat damit in die Fußstapfen des großen Alfred Hitchcock und vieler anderer Meister. Freeze wartet anstatt unbe­kannter dänischer Schau­spieler, deren Namen sich kein Mensch merken, geschweige denn ausspre­chen konnte, mit Star­be­set­zung auf: Ewan McGregor, Patricia Arquette und eben Nick Nolte.
Von Anfang an beherrscht düstere Spannung diesen Film. Zwar wird hier viel aus anderen Filmen zitiert, und wieder einmal geht es um das beliebte Thema Seri­en­killer. Doch in Geschichte wie Insze­nie­rung gelingt Bornedal viel Neues: er beweist, daß dieses Genre noch lange nicht ausge­reizt ist.

Unter der Hand werden zwei Geschichten erzählt: Die eine handelt von Mark, dem eigent­lich lang­wei­ligen Jura­stu­denten. Der hat Angst davor, seine schöne Freundin zu heiraten, und ein richtig ange­paßter Spießer zu werden. Darum sucht er Abwechs­lung und Gefahr, das wilde Leben. Darum hallu­zi­niert er. Und auf einmal wird sein Leben so wild und gefähr­lich, daß er sich die Spießig­keit wünscht. Am Ende steht er zu seiner Liebe zu Katherine, und ist bereit für Ehe, Beruf und ein ruhiges Leben. Er hat sich ange­nommen in seiner Norma­lität. »Er ist tot und er wird sterben.« Eigent­lich keine schöne Geschichte, wie hier von der Abtötung der Phantasie erzählt wird. Das wäre reak­ti­onär, gäbe es da nicht noch anderes:
Denn Bornedal fügt dem Seri­en­killer-Thema tatsäch­lich Neues hinzu (Achtung, wer sich jetzt die Spannung bewahren will, sollte ins Kino gehen, und später weiter­lesen): Zum Genre gehört nämlich die Oppo­si­tion und heimliche Part­ner­schaft zwischen Detektiv und Mörder. Der eine unser Stell­ver­treter als Reprä­sen­tant des Unpa­tho­lo­gi­schen, der Gesell­schaft- muß sich in den anderen den absoluten Outisider, die Nacht­seite des Normalen- einfühlen, ihn sich einver­leiben, um ihn zu fassen. Der Detektiv hat auch eine böse Seite, der Mörder auch eine positive. Beide verschmelzen mitein­ander und müssen sich wieder trennen. Jeder gute Seri­en­killer-Film erzählt das auf andere Weise: Silence Of The Lambs hatte zwei Killer, einen sympa­thi­schen und ein Schwein. Seven hatte zwei Detektive: einen ratio­nalen, einen emotio­nalen, Copycat fächerte die Vielfalt der Eigen­schaften auf, und hatte gleich zwei Detektive und zwei Killer.
Indem Bornedal in Freeze den Detektiv selbst am Ende als den Mörder entlarvt, und Nick Nolte diese Rolle in all ihrer Shizo­phrenie und Absei­tig­keit excellent verkör­pert, vollendet er die Verschmel­zung. Der Seri­en­killer wird zum Alter Ego, der stabile Grund hat sich aufgelöst. Nichts ist mehr sicher.

Freeze ist ein bizarrer, atmo­s­phä­risch dichter Thriller, der mit einigen Über­ra­schungen aufwarten kann. Nichts für Zart­be­sai­tete, vor allem am Ende. Nur wenige Puristen mäkeln: das Original sei besser gewe­sen­schon wegen Nick Nolte kann man das so nicht sagen.