USA 2006 · 88 min. · FSK: ab 0 Regie: Nicole Holofcener Drehbuch: Nicole Holofcener Kamera: Terry Stacey Darsteller: Jennifer Aniston, Frances McDormand, Joan Cusack, Catherine Keener u.a. |
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Geschenke, die Man(n) sich selber macht: Jennifer Aniston in FRIENDS WITH MONEY |
Wenn man sie so beschreibt, dann kommt eine der großartigsten Szenen dieses Kinojahres arg unscheinbar daher: Eine Frau stößt sich in ihrem Arbeitszimmer an einem Möbel und ihr entfährt ein »Au!«. Ihre Haushälterin, offscreen, ruft: »Are you okay, Ms.?«
Nein, da kommt jetzt nicht mehr. Das war’s.
Und nein, es muss jetzt nicht sofort einleuchten, warum das großartig ist.
Denn die Größe der Szene kommt nicht aus ihr selbst, und nicht aus dem, was noch folgt. Die Szene ist groß, weil Friends with Money es schafft, diese scheinbare Nichtigkeit durch alles, was vorangegangen ist, so aufzuladen mit Bedeutung – oder besser: Bedeutungen –, dass sich in diesem zunächst so banal wirkenden Moment
ein ganzes Bündel von Ebenen auskristallisieren.
Im vermeintlich Kleinen das Große entdecken, das gehört schon bei der Wahl seiner Themen zur Kunst dieses Films.
Meist will das Kino ja gleich zu den »ewigen« Sujets – Liebe und Tod –, oder es nimmt sich gewichtiger historischer, politischer, sozialer Gegenstände an (und mixt ein bisschen Liebe und Tod hinzu).
Gerade dieser Hang zum inhaltlichen Gigantismus macht das Kino aber oft, gerade gegenüber der Literatur, zu einem ärmeren Medium: Selten hat es zu diesen
großen Themen etwas wirklich Profundes, Neues zu sagen, und zugleich bleiben dabei erhebliche Sphären des Menschseins unbearbeitet, unentdeckt.
Friends with Money dagegen ist nur in zweiter Linie ein Film über die Liebe, und sehr entfernt einer über den Tod, und zumindest an seiner Oberfläche wuchtet er nicht an den Problemen unserer Zeit herum. Friends with Money ist erstmal und vor allem ein Film über die Rücksichtnahme.
Das Personal des Films: Drei wohlhabende Ehepaare und eine finanziell deutlich schlechter gestellte Single-Frau in Los Angeles; alle verbunden durch eine langjährige Freundschaft unter den vier Frauen.
Da sind Franny (Joan Cusack) und Matt (Greg Germann), die reichsten innerhalb der Gruppe: Franny wird von einem latenten schlechten Gewissen ob ihrer conspicuous consumption geplagt, und das Paar engagiert sich deshalb in Wohltätigkeitsorganisationen – wobei diese Art
der Rücksichtnahme gegenüber der Gemeinschaft auch typisch kalifornische Züge trägt und meist in Form sündteurer, hochfeiner Charity-Dinners von statten geht.
Da sind Christine (Catherine Keener) und David (Jason Isaacs), die gemeinsam als Drehbuchautoren arbeiten: David ist der rücksichtsloseste unter den Männern, hält nichts von Höflichkeitsgesten – sieht beispielsweise nicht ein, warum er seine Frau fragen soll, ob sie in Ordnung sei, wenn sie sich am Herd verbrennt
und er erkennt, dass die Verletzung nicht schlimmer ist. Und David lässt das Haus um ein Stockwerk mit Aussichtsbalkon erweitern, um selbst Aussicht bis zum Meer zu genießen, aber ohne sich drum zu kümmern, was er den Nachbarn damit zumutet.
Dann sind da Jane (Frances McDormand) und Aaron (Simon McBurney): Jane, eine Modedesignerin, reagiert geradezu krankhaft extrem auf die kleinen, alltäglichen Rücksichtslosigkeiten ihrer Mitmenschen wie Parkplatzwegschnappen, Vordrängeln.
Selbst aber verschwendet sie keinen Gedanken mehr daran, ob sie jemanden verletzen könnte mit ihrer gnadenlos offenen Art. Und sie mag sich auch nicht mehr recht um ihr Äußeres kümmern, ihr Erscheinen gegenüber den Mitmenschen: Sie hat aufgehört, sich die Haare zu waschen, aus einer Quasi-Midlifecrisis – weil sie ihre Vergänglichkeit realisiert, und eine gewisse Abgeschlossenheit des Lebens, und sie jetzt keinen rechten Sinn mehr darin sieht, den täglichen Kampf gegen die Entropie
zu bestreiten, wenn das Ende eh feststeht.
Ihr Mann Aaron hingegen ist so liebenswürdig, hilfsbereit, umsichtsvoll, dass ihn – auch wegen einiger anderen Eigenarten – alle für schwul halten.
Und schließlich ist da Olivia (Jennifer Aniston), die Single ist und ihren Job als Lehrerin aufgegeben hat, sich jetzt einen mageren Lebensunterhalt als private Putzfrau verdient. Franny verkuppelt sie mit ihrem Fitnesstrainer Mike (Scott Caan) – ein ungeheurer Egoist,
ohne ein Fünkchen Rücksichtnahme gegenüber Olivia. Ein Typ, dessen einziges Geschenk für sie ein Fetisch-Kostüm ist, somit ein Geschenk an ihn selbst.
Es geht also schon auch um die Liebe – aber nicht im Sinne üblicher »Liebesfilme«: Sie ist nicht Hauptsache, und sie ist nicht dieses große, transzendente Phänomen, das alles beherrscht und bestimmt und das einfach DA ist. Schon gar nicht geht es um das Verliebtsein. Friends with Money dreht sich vielmehr darum, was es heißt, wenn zwei Menschen sich entscheiden, ihr Leben (weitgehend) gemeinsam zu verbringen.
Der Film ist da nicht sehr romantisch. Man
hat eigentlich stets das Gefühl, dass es eine Leistung ist, wenn zwei es zusammen gut aushalten. Dass sie nicht einfach von Gott, Schicksal oder was immer zusammengeschweißt wurden und dann schlicht zueinander passen. Dass es einer ständigen, mal bewussten, mal unausgesprochenen Verhandlung zwischen zwei Individuen bedarf. Eines Anerkennens der anderen Perspektive und Bedürfnisse und eines Behauptens der eigenen. Mit anderen Worten: Der Rücksichtnahme eben.
Der Verleih bewirbt Friends with Money auf eine Weise, die wohl vor allem Leserinnen von Frauenzeitschriften ansprechen soll, und das ist doppelt unglücklich: Es wird vermutlich etliche Menschen vom Kinobesuch abhalten, die mit dem Film etwas anfangen könnten, und es wird ein Publikum locken, das zum Gutteil eher verstört sein dürfte ob des Films. (Auch wenn die Hoffnung lebt, das Qualität sich letztlich durchsetzt; dass Menschen manchmal merken, dass sie
zwar was ganz anderes erleben als erhofft, es aber trotzdem auf seine Weise wunderbar ist.)
Jedenfalls sollte man die Marketing-Packung drumrum am besten ignorieren oder schnellstmöglich wieder vergessen und den Film durch eine Erwartungsbrille wahrnehmen, die eher auf die 'sophistication' etwa feiner französischer Gesellschaftskomödien fokusiert ist.
Vielleicht kann man’s am Umgang des Films mit Kosmetika festmachen, was hier so anders ist, als es der Werbung nach scheint: Ja, Marken-Kosmetik spielt eine (ziemlich sicher auch gesponsorte) wichtige Rolle in Friends with Money. Aber keine glamouröse: Die Pröbchen sündteurer Cremes, die Olivia hamstert und hortet, stehen so sehr für Olivias Sehnsucht nach einem (im vielfachen Sinne) »reicheren« Leben wie für die Leere und die Angst vor der Vergänglichkeit, die solche Produkte bei ihren wohlhabenden Käuferinnen übertünchen.
Die Schauspielerinnen selbst erscheinen in Nicole Holofceners Film dagegen erstaunlich ungeschminkt. Und was für Schauspielerinnen das sind! Allesamt Heldinnen jenes »anderen« US-amerikanischen Kinos – jener Independent-Szene, die heute nicht selten, mehr als die mit den legendären Studionamen geschmückten Multimedia-Konzerne, das Erbe des wahren klassischen Hollywoods hegt und pflegt.
Die zuletzt oft so unter Wert verheizte oder zum Chargieren getriebene Joan Cusack hat hier endlich mal wieder eine große Rolle, die ihr wirklich liegt. Und dann zwei der verehrungswürdigsten Kio-Frauen der Gegenwart überhaupt: Die grandiose Frances McDormand (ewig unvergessen als Marge Gunderson in Fargo) lässt einen die Neurotikerin Jane ins Herz schließen, ohne dass sie die verletzenden,
verletzlichen Kanten der Figur abschleifen würde. Und Catherine Keener verströmt einmal mehr eine Intelligenz, Wärme und Stärke, die von Anfang an ahnen lässt, dass die Duldsamkeit ihrer Christine gegenüber ihrem empathiefreien Mann nicht grenzenlos sein kann.
Das sind Frauen mit Charakter und einem Sexappeal, den keiner der derzeit modischen Bulimie-Spargel mit Ballonbrüsten und Botox-Bäckchen je erreichen wird.
Die eine scheinbare Ausnahme in dieser Riege ist Jennifer
Aniston, die derzeit mehr in »Promi«-Berichterstattung daheim scheint als im Independent-Kino. Doch nicht nur sollte man sie als Schauspielerin nicht unterschätzen, und ist sie hier auch deutlich weniger auf den gewöhnlichen Plastik-Geschmack hin gestylet und ausgeleuchtet. Es ist auch ein nettes, kleines Spiel mit dem Hollywood-Starsystem (das ja letztlich nicht weniger hierarchisch und nach finanzieller Vergütung gestaffelt ist als, sagen wir, hierzulande der Öffentliche
Dienst), dass der Film mit ihr treibt: Ausgerechnet der einzige »A-Listen«-Star gibt hier die Einsame und Erfolglose – und keineswegs, um sich am Ende schwanenkükengleich über die anderen zu erheben.
Friends with Money ist einer jener schönen Filme, die sich offenbar genauso viele Gedanken darüber gemacht haben, was sie NICHT zeigen, wie darüber, was zu sehen ist: Vieles erhält seine Bedeutung durch Abwesenheit, es gibt einige sehr genau platzierte Leerstellen.
Manche davon sind auch sozusagen offensichtlich, inszeniert. Am deutlichsten die Antwort auf die Frage, ob Aaron nun wirklich schwul ist oder nicht. Dass die ausbleibt, demontiert letztlich die
Frage: Denn was hieße nun »wirklich« schwul? Dass er Jane liebt, und dass die beiden ein offenbar in üblichem Rahmen glückliches Intimleben haben, daran lässt der Film keinen Zweifel. Ebenso wenig daran, dass er mit anderen Männern eine Freundschaft sucht, die nicht so ruppig-prollig daherkommt wie gewöhnliche Film-Männerfreundschaften, und dass da VIELLEICHT auch noch mehr drin wäre. Aber man hat nie das Gefühl, dass Aaron für eines von beiden das andere aufgeben würde oder müsste.
Dass sein Leben, sein Verhalten eine einzige Lüge wäre und nur auf die Befreiung vom falschen Schein wartet. Aaron ist, wie er ist – und es gibt nichts hinzuzugewinnen dadurch, dass man durch Kategorien wie »schwul« da eine scheinbare Eindeutigkeit drüberstülpen würde.
Andere Leerstellen aber drängen sich weniger an die Oberfläche des Films – und sind wohl doch nicht weniger bewusst. Sonst hätte Friends with Money garantiert einen anderen Titel. Denn gleichsam ex negativo ist es auch ein Film über den Zusammenhang von Geld und Arbeit (speziell in den heutigen USA).
Je mehr Geld da ist, um so unsichtbarer bleibt ironischerweise, woher es kommt: Am unteren Ende der Skala ist das Dasein der Putzfrau –
körperliche Arbeit gegen (wenig) Bares auf die Hand. Dazwischen liegen Jane und Aaron, die zumindest über die Kleidung und die Natur-Kosmetika reden, die sie respektive designen und herstellen, auch wenn man sie nie konkret bei der Arbeit sieht, und Christine und David, die gemeinsam an einem Drehbuch schreiben. Bei dem reichsten Paar aber ist Franny nur Hausfrau (und muss als solche eigentlich auch nur die Dienstboten befehligen), und der Job ihres Mannes bleibt gänzlich offscreen.
Nicht nur in diesem Punkt ist Friends with Money, neben allem anderen, auch ein wunderbarer Film über Los Angeles. Lange hat kein Film mehr so treffend, aber unaufdringlich die Atmosphäre der reicheren Stadtteile, von Santa Monica und Brentwood, eingefangen wie dieser.
Es ist gewiss nicht ganz fair, zwei Filme zu vergleichen, die in ihren Intentionen und ihrer Art so verschieden sind wie Friends with Money und Paul Haggis' Crash. Aber es ist ein Vergleich, der sich mir nach Friends with Money immer wieder aufgedrängt hat, und den ich insofern auch hier berechtigt finde, als er mir die Qualitäten von Nicole Holofceners Film plastischer hervortreten zu lassen scheint.
In Haggis' aufgeblasener, hyperkonstruierter Seifenoper ist L.A. ein Dorf, in dem am Ende alle miteinander verwandt
sind, die vorher auf den paar Strassenkreuzungen, die’s nur zu geben scheint, ständig ineinandergekracht waren. Holofcener zeichnet eine ganz andere, ungleich wahrhaftigere Topografie dieser Stadt – die eben keine Stadt im europäischen Sinn ist, sondern ein bundeslandgroßer »Sprawl«, über weite Flächen hinweg gesichts- und geschichtslos: Eher ein Hintergrund als ein Ort fürs Leben.
Friends with Money ist sehr genau in seiner Auswahl und
Besetzung der Handlungsorte: Die Wohnhäuser und was dort vor sich geht wirken insgeheim mehr wie Arbeitsstätten, Freundschaft und Beziehungen werden vor allem in Restaurants und Cafés gepflegt – worauf auf dem Heimweg im Auto die »Manöverkritik«, die private Analyse folgt, und die leere Zeit zwischen all dem wird beim Shoppen verbracht, in den Malls und auf den Öko-Wochenmärkten.
Und wo der Rassismus in Crash ständig offen und ausführlich verbalisiert ist, ist er in Friends with Money von einer subtileren, perfideren und wesentlich alltäglicheren Art. Es ist ein Rassismus des Faktischen, eine unsichtbare Grenze zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft, die sich um guten oder bösen Willen gar nicht zu scheren braucht.
Olivia sagt einmal zur mexikanischen Haushälterin ihrer Freundin Franny, sie habe
jetzt den gleichen Job wie sie, auch sie, Olivia, putze jetzt Häuser. Und dieser nur sekundenlange Blick der Mexikanerin daraufhin, dieser Moment in dem totale Unverständnis und die Unsicherheit darüber, ob hier gerade ein Witz gemacht würde, und Mitleid und die Gewissheit, dass Olivia NIE den GLEICHEN Job haben könne wie sie, und die »Aha, jaja, ist schon gut«-Attitüde, mit der die Frau dann jedes weitere Gespräch darüber im Keim erstickt – weil klar ist, dass sie gegenüber
Freundinnen ihrer Chefin sich keinen Funken von Insubordination oder Unhöflichkeit erlauben darf, dass aber alles, was sie zu dem Thema zu sagen hätte, nur Widerspruch sein könnte... In diesem Moment also tut sich auf so unscheinbare, aber so fundamentale Weise die Kluft auf zwischen dem was es heißt, in L.A. weiß und aus dem Mittelstand oder Latino und Dienstpersonal zu sein, dass es einen wirklich trifft.
Womit wir dann endlich wieder bei der eingangs beschriebenen Szene wären: Christine ist es, die da gegens Mobiliar rumpelt. Nachdem sie David den Laufpass gegeben hat, der in solchen Momenten eben nie dran interessiert war, ob sie sich wehgetan hätte. Christine ist jetzt vermeintlich allein – und dann ist es ausgerechnet das bezahlte Personal, das jetzt plötzlich das bisschen menschliche Rücksichtnahme zeigt, die sie sich von ihrem Ehemann immer vergeblich gewünscht
hat.
Ganz anders als die große, schmalzige und unwahrscheinlich fake Verbrüderung mit einer Haushälterin, die Crash zelebriert, ist dieser Moment in Friends with Money beiläufig und ohne Fanfaren inszeniert, ist ein Moment voller Ironie, Distanz und Doppelbödigkeit, ist keine Auflösung eines dramatischen Knotens, sondern eine brennglasartige Verdichtung der
Themen des Films.
(Diese Dichte und Tiefe ist nicht zuletzt Catherine Keener zu verdanken, die ohne emotionalen Ausbruch und innerhalb von kaum einer Sekunde in ihrem Gesicht alles widerspiegelt, was dieses unscheinbare Ereignis nicht nur für ihre Filmfigur, sondern letztlich sogar für das ganze Weltbild des Films bedeutet.)
Es ist ein typischer Moment für diesen Film, der ungemein pointiert ist, ohne rechteigentliche »Gags« zu haben. Der sehr viel an Emotionen anspricht, ohne je
melodramatisch zu werden. Und der ein eigentlich recht unromantisches, klarsichtiges Bild von den Menschen und ihrem Zusammenleben zeichnet – und der trotzdem voller Hoffnung ist.