Deutschland 2014 · 88 min. · FSK: ab 6 Regie: Sönke Wortmann Drehbuch: Lutz Hübner, Sarah Nemitz, Oliver Ziegenbalg Kamera: Tom Fährmann Darsteller: Gabriela Maria Schmeide, Justus von Dohnányi, Anke Engelke, Ken Duken, Mina Tander u.a. |
![]() |
|
Helikopterpersonal auf Abruf |
Es ist einer der spannendsten und heikelsten Termine für Eltern mit Kindern: die Elternabende in jeder vierten Grundschulklasse, die sich um die Versetzungszeugnisse der eigenen Kinder drehen. Auf welche Schule wird mein Kind gehen? Wer hat Schuld, wenn es dann doch „nur“ die Realschule oder, noch „schlimmer“, die Mittelschule ist? Das es fast immer zuerst das Lehrpersonal ist, auf das eingeschlagen wird, hat auch einer der meist gespielten Theaterautoren Deutschlands, Lutz Hübner, über seine eigene Tochter erfahren müssen. Als das Staatstheater Dresden ihn mit einem Stück zu dieser Thematik beauftragte, konnte er deshalb aus dem Vollen schöpfen. »Frau Müller muss weg« ist seitdem auch an anderen Bühnen inszeniert worden, nicht zuletzt sehr erfolgreich am an Jugendthemen ausgerichteten Grips-Theater in Berlin. Dass es das Stück nun auch in die Kinos geschafft hat, ist wohl vor allem Sönke Wortmann zu verdanken, der am Grips Regie führte und durch seine eigene Filmografie (Der bewegte Mann, Das Wunder von Bern, Schoßgebete) schnell erkannt haben dürfte, dass das Stück auch als Film funktionieren könnte.
Denn wie Wortmann in den meisten seiner Filme, so operiert auch Hübner – der mit seiner Frau Sarah Nemitz und Oliver Ziegenbalg auch für das Drehbuch verantwortlich ist – in Frau Müller muss weg mit Versatzstücken aus dem Boulevard. Soziale Verwerfungen werden neben persönliche Intrigen gestellt und forciert ausgespielt. In Frau Müller muss weg wird dies vordergründig über den Sozialisierungshintergrund verhandelt. Da ist zum einen die in der DDR sozialisierte Lehrerin Frau Müller (Gabriela Maria Schmeide) und zwei Eltern, die ebenfalls in der DDR groß geworden sind (Justus von Dohnanyi und Katja Grabowski). Sie unterscheiden sich nicht nur in Körpersprache und Vokabular von den nach Dresden zugewanderten Wessis (Anke Enkelke, Ken Duken, Mina Tander). Auch finanziell geht es den Ossis offensichtlich schlechter. Trotz dieser Gegensätze ist es ihnen aber dennoch gelungen eine Allianz gegen Frau Müller zu bilden, die vor allem aus ihrer Angst genährt wird, dass Frau Müller nicht gut genug für ihre Kinder ist und sie mit ihr den erhofften Übergang aufs Gymnasium nicht schaffen könnten. Ihre Forderung nach einer neuen Lehrerin soll über einen außerplanmäßigen Elternabend direkt mit Frau Müller verhandelt werden. Das ebenso außerplanmäßige Verschwinden von Frau Müller führt dann aber zur Zwangsisolierung der Eltern durch einen stundenlangen Warteprozess und einem zuspitzenden Bruch der Fraktion, so wie dramaturgisch sehr ähnlich in den Stücken von Yasmin Reza und in Polanskis filmischer Umsetzung von Rezas Stück Der Gott des Gemetzels zu sehen ist.
Das bei aller thematischer Relevanz und immer wieder bissigen Dialogspitzen (»Seit wann sind Eltern objektiv«) der Film dennoch nicht so gut funktioniert wie Polanskis Umsetzung von Rezas Stück dürfte vor allem Wortmanns Affinität zur deutschen »Brechstangenkomödie« geschuldet sein. Immer wieder wird noch einmal angesetzt, wo schon längst ausgesetzt wurde, wird überdeutlich persifliert, fast so als ob wir in einem Stummfilm sitzen, in dem über Overacting das fehlende Wort ersetzt werden muss. Dass im Grunde Hübners starke Worte völlig ausreichen, scheint Wortmann nicht zu erkennen. Immer wieder lässt er sein Ensemble spielerisch noch eins drauf setzen, wird mit dem Holzhammer operiert, wo eigentlich ein Schraubenzieher genügt.
Doch es ist interessanterweise nicht das ganze Ensemble, dass der Regie hier folgt, tut sich neben dem inhaltlich bewusst angelegten Graben ein weiterer, nicht weniger faszinierender, wohl unabsichtlicher Graben auf – zwischen jenen Schauspielern, die über eine Theaterausbildung und deutsche Bühnen zum Film gekommen sind und jenen, die über den direkten Einstieg in den Film zum Schauspiel gekommen sind: erstere (Schmeide, von Donanyi, Grabowski) brillieren mit subtilem, tragikkomischen Humor und einer schillernden Präsenz, letztere (Tander, Duken, Enkelke) replizieren das simple und graue Einerlei deutscher Fernsehproduktionen und einen fast schon schmerzhaften Hang zum überspielten, sich selbst auslöschenden Humor. Dass die traditionell filmhistorisch tief verankerte deutsche Schulkomödie auch anders kann, sich anarchisch und politisch inkorrekt durchaus frei zu spielen versteht, hat Fack ju Göhte gezeigt.
Wortmanns Film scheitert nur nicht auf ganzer Linie, weil er immer wieder von Hübners Stück aufgefangen wird: den starken Dialogpassagen und einer dann doch beängstigenden Frage, die über die egozentrische Helikopter-Angst der gegenwärtigen Elternschaft und ihrer verzogenen Kinder hinausgeht und die in einem Moment ungewollter Selbsterkenntnis der Eltern plötzlich gestellt wird: »Wie soll das nur werden, wenn die ans Ruder kommen?«