F/I/D 2005 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Patrice Chéreau Drehbuch: Patrice Chéreau, Anne-Louise Trividic Kamera: Eric Gautier Darsteller: Isabelle Huppert, Pascal Greggory, Claudia Coli, Thierry Hancisse u.a. |
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Menschen werden zu Gespenstern |
»Wenn ich gewusst hätte, dass Du mich liebst, wäre ich nie zurückgekommen.« – Man kann diesen Film von seinem letzten Satz her verstehen. Er fasst zusammen, was wir zwei Stunden lang beobachten. Wir verstehen diesen Satz, doch sein Rätsel wird nicht geringer. Szenen einer Ehe, klaustrophobisch und gespenstrisch, Ausnahmezustände der Seelen. Doch vorher scheint alles ruhig und unbewegt.
Schwarzweiß sind die Bilder, dann wechseln sie plötzlich, als ob das Zucken eines Herzens durch sie hindurch ginge, in Farbe. Und dann wieder zurück. Es ist die visuelle Kraft von Patrice Chéreaus neuem Film, die einem am stärksten im Gedächtnis bleibt, die unmittelbar bezaubert. Doch unter der melancholischen Pracht der Bilder aus einer verlorenen Zeit, liegt eine starke Geschichte, ein Schicksal, das zwar aus der Vergangenheit stammt, aber in seinem Kern ebenso gut auch heute passieren könnte.
Gabrielle ist die Adaption der Novelle »The Return« von Joseph Conrad. Ein Kammerspiel, das sich ganz auf ein großbürgerliches Paar konzentriert, dessen Ehe an ein jähes Ende kommt. Jean ist Verleger, ein Mann von vierzig Jahren, der assieht, wie heute ein 50-Jähriger. Das Leben dieser kinderlosen Ehe ist Routine: Jeden Donnerstag gibt es eine Abendgesellschaft mit Klaviermusik. Die Kommunikation ist eine der Blicke und Blickwechsel. Doch irgendwann genügen Blicke nicht mehr. Irgendwann schlägt alles um. Die Konventionen zerbrechen plötzlich, eine Revolution der Gefühle, wie in einem Stück von Strindberg oder Ibsen. »Es ist schwierig, miteinander zu sprechen«, sagt Chéreau, »Aber irgendwann muss man reden. Auch wenn man sich und den anderen dabei verletzt.«
Für Begeisterung sorgt die Kamera Eric Gautiers, die Chéreaus eindrucksvolles Wechselspiel zwischen Bunt und Schwarzweiß unterstützt – zu Beginn schießt die Farbe für Augenblicke ins schwarzweiße Bild, wie das Blut ins Hirn, die Leidenschaft ins müde Gemüt eines Mannes, der nach Hause kommt, und entdeckt, dass er von seiner Frau verlassen wurde. Der schönste Moment war sein Gang kurz zuvor durch sein Haus, einen großbürgerlichen, mit allerlei Kunst verstellten Eispalast. Chereau und Gautier erwecken alte Photographien zum Leben, spielen auf der Klaviatur unserer Hirnfilme, der inneren Assoziationsketten: An Raul Ruiz Proust-Verfilmung und Altmans Gosford Park denkt man hier ebenso, wie an Jonathan Glazers Birth. Gabrielle ist eine Huldigung an die Frühzeit des Kinos. An Stummfilme – es wird mit Zwischentiteln gearbeitet –, an einen der ersten Filme der Brüder Lumières: Ankunft eines Zuges im Bahnhof von la Ciotat (1895), an die Fotografie der Jahrhundertwende. Mit diesem Film kehrt Chéreau zum Genre des Kostümfilms zurück, in dem der berühmte Opernregisseur zuletzt 1994 mit Die Bartholomäusnacht brillierte.
Gabrielle gelingt genau das, was Intimacy und Son frère, Chereaus letzte, zweifellos etwas überschätzte Filme vermissen ließen: Eine Welt aus einem Guss, Entsprechung von Form und Inhalt. Wer darin nur verfilmtes Theater oder Malerei erkennt, übersieht, was die Kamera dem Spiel der Schauspieler hinzufügt. Unglaublich dicht erzählt Gabrielle ein Ehedrama aus dem Paris der Belle Epoque mit einer perversen Angstlust an diesem System von Zwängen und Formen, von zwanghaftem Verhalten auch noch in intimsten Situationen – bürgerliche Gesellschaft als Horrorszenario, mit Anspielungen an Murnaus Nosferatu und Dreyers Sozialdramen, in denen die Menschen zu Gespenstern werden. Die Liebe kann sehr kalt sein.
Er ist verloren und sie ist rätselhaft. Aber all das hat auch Aspekte einer grotesken Komödie. Der gehörnte Ehemann strotzt vor Selbstgerechtigkeit, die Frau ist noch kälter als dieser, der seine Leidenschaft vor allem vor dem Spiegel entdeckt. Irgendwann explodiert die kühle Fassade, doch die Eiseskälte der Gesellschaft und ihrer Geschlechterverhältnisse bleibt bestehen. Ein pathetisches Drama mit ironischem Untergründen, große Oper mit subtilen politisch-historischen Bezügen – Kino, das auch nach Tagen nicht an Kraft verliert.