Frankreich 2023 · 136 min. · FSK: ab 6 Regie: Tran Anh Hung Drehbuch: Tran Anh Hung Kamera: Jonathan Ricquebourg Darsteller: Juliette Binoche, Benoît Magimel, Emmanuel Salinger, Patrick d'Assumçao, Galatéa Bellugi u.a. |
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Liebe geht durch den Magen – alles andere als ein abgegriffenes Sprichwort... | ||
(Foto: Weltkino) |
Trần Anh Hùng dürfte zumindest den älteren Generationen deutscher Kinobesucher ein Begriff sein, war seine 1993 erschienene Ode Der Duft der grünen Papaya auf das einfache Leben im Vietnam der 1950er Jahre doch nicht nur in Cannes ein großer Erfolg.
Auch Hùngs Geliebte Köchin war in Cannes erfolgreich und wurde mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet und statt Anatomie eines Falls von Frankreich konsequent ins Oscar-Rennen geschickt, schied dort aber in der letzten Vorrunde aus.
So wie in Der Duft der grünen Papaya ist auch in Geliebte Köchin das Essen ein zentraler Bestandteil der Inszenierung, im Fall von Geliebte Köchin ist sie jedoch nicht nur zentral, sondern allumfassend. Und es ist auch nicht mehr Vietnam, an dem sich Hùng noch in Cyclo (1995) und THE VERTICAL RAY OF THE SUN (2000) abgearbeitet hat, sondern wie schon in seinem letzten Film ETERNITY (2016) ist es das Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Hùngs Film ist ein Film über das Essen, das hier sogar immer wieder die Dialoge ersetzt und deutlich macht, dass Sprache nicht immer nur gesprochenes Wort sein muss, sondern über andere Akte ersetzt werden kann, in diesem Fall das Kochen und das Essen. Das ist auf spielerische Weise ganz nah an Ludwig Wittgensteins Satz aus seinem Tractatus – »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen« – ist aber hier natürlich keine Kritik an philosophischen Diskursen an sich.
Vielmehr stellt Hùng eine ganz andere Frage. Zentral inszeniert er zwar eine unkonventionelle Liebesgeschichte zwischen Eugénie (Juliette Binoche), die seit 20 Jahren als Köchin für den berühmten Gastronomen Dodin (Benoît Magimel) arbeitet, eine Arbeitssymbiose, von der allein gute Freunde und ausgewählte Besucher profitieren, die zu den üppigen Schlemmereien eingeladen werden und ganz selten über etwas anderes reden als über die aufgetischten Köstlichkeiten. Dass Liebe allerdings auch durch den Magen geht, um ein abgegriffenes Sprichwort zu zitieren, erfahren auch Eugénie und Dodin, ringen aber auf sehr ungewöhnliche Weise um die Hoheitsrechte dieser Beziehung und auch das, wie schon erwähnt, sehr selten verbal, sondern vielmehr über die gekochten Gerichte. Essen als Dialog.
Die Inszenierung dieser Kocheinheiten hat bei einem Regisseur wie Trần Anh Hùng natürlich nichts mit der TV-Alltagskochkunst einer Küchenschlacht zu tun, sondern orientiert sich an den großen Klassikern dieses Genres, an Gabriel Axels wunderbarem Babettes Fest, Lasse Hallströms Chocolat, Juzo Itamis Tampopo und gerade in Bezug auf die fast schon suizidale Genusssucht der eingeladenen Gäste auch an einem großen, anarchischen Klassiker wie Marco Ferreris Das große Fressen. Aber nach all den vielen, kleinen ausgestreuten Brosamen, die wir Hänsels und Gretels aufsammeln dürfen, ist Hùng am Ende dann doch ganz bei sich, ist eben nichts Anarchisches in seinem Film, sondern viel mehr das Gegenteil.
Wie in Der Duft der grünen Papaya scheint auch in Geliebte Köchin Hùng das politische Zeitkolorit nicht zu interessieren. In Der Duft der grünen Papaya war das schon mit der Kolonialzeit so; in Geliebte Köchin ist es so mit der Belle Epoque. Dabei hätte Hùng ja allen Grund dazu, waren die Jahrzehnte seit den 1880er Jahren doch das Zeitalter des Hochimperialismus, des europäischen Liberalismus und Kolonialismus, war ganz Europa von einem Drang zu überseeischer Expansionspolitik durchflutet.
Und das ist dann wohl auch die Frage, die Hùng uns stellt und auf die ich vor ein paar Absätzen schon zu sprechen kam. Denn so wie damals ist auch unsere Zeit von einer (neo-) liberalen Expansionspolitik durchtrieben, wird an allen Ecken und Enden an der vermeintlichen Sicherheit gerüttelt. Was liegt da näher, es einfach mal anders zu versuchen und sich stattdessen des 1924 erschienenen Romans La vie et la Passion de Dodin-Bouffant Gourmet des Schweizer Schriftstellers Marcel Ruff anzunehmen, um zu zeigen, dass es Wichtigeres im Leben gibt, als den in eben diesen Jahren, in dem der Film spielt, von Friedrich Nietzsche formulierten Willen zur Macht zu goutieren.
Man könnte das natürlich auch als radikal eskapistisch bezeichnen. Aber das ist es in meinen Augen nicht, dafür gibt Hùng – anders als Wim Wenders in seinen weltabgewandten Perfect Days – seinem Personal zu viel Charakter und Handlungswillen für ein selbstbestimmtes, glückliches Leben mit. Zu sehr konzentrieren sich nicht nur die Hauptcharaktere auf ihre eigene Unabhängigkeit, überlegen sich selbst die Eltern der neuen Küchengehilfin Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire), ob sie ihre Tochter in eine andere Gesellschaftsschicht ziehen lassen wollen. Ist Leben und Liebe immer Teil eines wichtigen Diskurses über das Leben und die Liebe selbst, der sich auch non-verbal kaum besser bewerkstelligen ließe. Sei es beim Frühstück und einer Eierspeise, die selbstverständlich mit Löffeln und nicht Gabeln zu sich genommen wird oder einem Gericht, in dem ein Kopfsalat eben nicht das ist, was er für die meisten ist, und Teil eines Gerichts wird, das das Leben, so wie es ist, bestätigt und doch äußerst sublim hinterfragt.
Man sollte das Omelette mit dem Löffel essen, dann schmeckt es besser, sagt die von Benoit Magimel gespielte Hauptfigur, der im Film Dodin Bouffant heißt, relativ am Anfang.
Essen können wir nicht, nur zuschauen. Aber lange hat man auf der Leinwand keinen derart sinnlichen Film mehr gesehen, keinen ähnlichen »Augenschmaus« – hier trifft dieses Wort einmal wirklich zu.
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Wir sehen. Sehen Fisch, Geflügel, Eier, die vorsichtig zerbrochen und getrennt werden, Saucen, die mit dem Schneebesen geschlagen und später geklart werden, Gemüse, das erst in kochendem Wasser blanchiert, und dann in Eiswasser abgeschreckt wird, um danach in einer Casserole in einen Ofen mit schwacher Hitze zu wandern.
Wir sehen Mörser aus Stein und aus Metall, Messer in allen denkbaren Formen und Längen, Dutzende von Kupferkesseln, einen alten Herd aus Eisen, der mit Kohle geheizt
wird, und dann die verschiedenen Metallringe, die man herausnehmen kann, um die Hitze zu regulieren.
Wir sehen eine Art zu kochen, wie es sie heute eigentlich nicht mehr gibt, auf die aber bis heute immer noch einige Küchenchefs schwören. Solche Küchen bekommt man heute nur noch für extrem viel Geld. Im 19. Jahrhundert, als dieser Film spielt, waren sie die Regel.
So zu kochen ist, wie auf analogem Material Film machen. Wie 35mm-Vorführungen, wie Kino auf eine alte Art.
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So versucht der ganze Film zu zeigen, was Kunst ist und wie man Kunst schafft, dass es letztendlich darum geht, persönlich und subjektiv zu sein, und darum, auf eine kontrollierte Art die Kontrolle zu verlieren. Man braucht Ruhe beim Kochen und bei der Kunst; ja keine Hektik.
Tran Anh Hung ist ein französischer Regisseur. Aber er stammt aus Vietnam. Mit Der Duft der grünen Papaya (1993) und Cyclo (der 1995 den Goldenen Löwen von Venedig gewann) gelangen ihm zwei Welterfolge. Später folgte die atemberaubende Murakami-Verfilmung Norwegian Woods. Alle diese Filme spielen in Asien. Jetzt hat er einen Film gedreht, den er selbst als »Hommage« an seine französische Heimat bezeichnet.
Und als Film über die Kunst. Denn Filmemachen ist Kunst; Kochen ist auch Kunst.
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Dodin Bouffant ist ein in ganz Frankreich berühmter Künstler. Ein Chefkoch, er kocht für Prinzen und Könige, am liebsten aber für seine Freunde. Bouffants Fans bewundern ihn als den »Napoleon der Kochkunst«, er selbst verbindet Bescheidenheit mit Selbstbewusstsein, er ist konsequent und kompromisslos, aber er predigt nicht, sondern zeigt einfach seine Kunst, indem er kocht – gemeinsam mit seiner von Juliette Binoche gespielten Köchin Eugenie, mit der ihn ein sehr vertrautes Verhältnis verbindet, mit seiner Gehilfin Violette und mit der jungen Pauline, die ein außergewöhnliches Talent hat.
Dodin Bouffant erkennt dies und nimmt Pauline unter seine Fittiche. Er eröffnet ihr eine Neue Welt – das Leben als Schule des Geschmacks. Und das Verhältnis zwischen Dodin und Pauline, dieses von gegenseitigem Respekt und Bewunderung getragene Lehrer-Lieblingsschülerin-Verhältnis, in das sich auch Vater-Tochter-Atmosphären mischen – und womöglich noch anderes, Zukünftiges. Denn wer weiß? Vielleicht wird Pauline zehn Jahre später auch seine Geliebte, oder doch Adèle, von der wir erst gegen Ende hören. Kochen und Essen sind jedenfalls hier immer erotisch aufgeladen – dieses Verhältnis ist das eigentlich interessante dieses Films, sehr viel interessanter, als das zwischen Dodin und seiner Köchin Eugenie.
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Auf ganz beiläufige Art beginnt man zu verstehen: Geschmacksschulung, Geschmackstraining – erst das ist Zivilisation.
Zivilisation ist das Gegenteil von zweckgerichtetem Essen. Es geht beim Essen nicht darum, ein besserer Mensch zu werden; es geht auch nicht um Gesundheit, und auch nicht um Ernährung, und reines Sattwerden. All das ist Barbarei. Sondern es geht einzig und allein um Genuss und Stil.
Dieser Film feiert die keineswegs zwecklose Zwecklosigkeit des Genusses. Er ist eine Feier der Künste, eine Feier des Überflusses, und eine Feier der Zwecklosigkeit, die natürlich aus Sicht dieser Menschen keineswegs zwecklos ist.
Das Geschirr ist ebenso wichtig. Es ist Teil des Kunstwerks: das Silberbesteck, die Kristallgläser. Später dann im Speiseraum: Blumen in jeder Ecke, die vielen Kerzenleuchter, vier mindestens, die nur für eine einzige Person angezündet werden, die hier isst. Keiner denkt an Nachhaltigkeit. Und die die isst, ist eine Bedienstete. Dieser Film löst auch alle Diskurse um Klassismus und Klassenverhältnisse für einen langen Film-Augenblick ins Nichts auf. Hier sprechen und verhalten sich zwei Menschen auf Augenhöhe und auch die beiden anderen Dienstmädchen Violette und Pauline sind Teil einer Familie, nichts anderes.
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Insofern ist dieser Film ein Kunstwerk der Verfremdung: Man sieht eine Welt, in der Menschen ganz anders leben und denken als wir.
Sie sind glücklich und die Welt ist schön.
Kriterien und Werte werden hier auch genannt: Opulenz und Genauigkeit, Eleganz und Anmut. Es geht den Menschen in diesem Film unausgesprochen und beiläufig, aber unzweifelbar immer wieder um Genuss, um Opulenz, um Überfluss, um das Zuviel, zugleich um die Lust am Experimentieren, um eine Kontrolle, die mit Kontrollverlust spielt, die die Bereitschaft zum Kontrollverlust mit einbaut.
Eine Kunst, die zu tun hat mit dem Loslassen-Können. Dieses Verhältnis zwischen Kontrolle und
Kontrollverlust ist das Entscheidende, hier kommt es auf den Moment an, auf das berühmte »Bauchgefühl«, die Intuition.
Insofern ist dies nicht nur ein Film für alle, die gerne Kochen oder dauernd Kochsendungen ansehen. Für die aber sowieso.