USA/China/Taiwan 2007 · 159 min. · FSK: ab 16 Regie: Ang Lee Drehbuch: James Schamus, Hui-Ling Wang Kamera: Rodrigo Prieto Darsteller: Tony Leung Chiu-wai, Joan Chen, Wai Tang, Anupam Kher, Lee-Hom Wang u.a. |
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Romantischer Politthriller |
Shanghai 1942. Wenig Autos sieht man auf der Straße, dafür arme Leute, die stundenlang für Reisrationen anstehen. Ein Hauch von Verschwörung liegt in der Luft, schnell ist spürbar, dass dies eine Welt voller Spione ist. Ang Lees neuer Film beginnt ein bisschen als »Der dritte Mann in Shanghai«. Elegant mischt der Regisseur chinesische Sensibiltät mit westlichem Sinn Erzählökonomie. Die Metropole Shanghai wirkt cool, gefährlich, und verführerisch. Lee zeigt sich einmal mehr als Meister der Einverleibung vergangener Zeiten, wie des Melodram. Stilistisch wandert er in seinem neuen Film Lust, Caution zugleich in den Spuren Wong Kar-wais, des schönsten Fetischisten des Gegenwartskinos.
Es beginnt mit einem Gesellschafts-Spiel. Vier Frauen sitzen um einen Tisch, trinken Tee und spielen Mahjong. Sie lachen und unterhalten sich, sagen Sätze wie »Reis ist wichtiger als Gold heutzutage« oder »Die dummen Japaner ahnen gar nicht, dass es über ihrem Kaiser noch einen anderen Himmel gibt.« Eine wunderbare Auftaktszene, die unter anderem ganz deutlich den Anfang von Hou Hsiao-hsiens Flowers of Shanghai evoziert, die geprägt ist vom Gespräch, das dem Zuschauer en passant eine Einführung in Epoche und Verhältnisse gibt, und die dabei fast fetischistisch ganz konzentriert bleibt auf Objekte: Die edlen Mahjong-Steine; erlesene Kleider, Cheongsams in verschiedenen Farben; Schmuck an den Armen; wohlgepflegte Fingernägel. Und auf die Blicke. All dies ist zudem exzellent montiert, sodass man, ohne dass der Film es im plumpen Sinne »zeigte«, doch sofort versteht: Die eine jüngere Frau am Tisch hat ein Verhältnis mit dem Ehemann der Gastgeberin.
Es war einmal in Shanghai In seinem zehnten Spielfilm zeigt Ang Lee eine Amour Fou aus der überaus blutigen Epoche der japanischen Besatzungsherrschaft in China. Mit Gefahr und Begierde (im Original Lust, Caution) präsentiert der in die USA emigrierte geborene Taiwanese damit zum wiederholten Mal einen Film, der in vielem das Gegenteil seines unmittelbaren Vorläufers ist – in diesem Fall des mehrfach oscarprämierten Gewinners des Goldenen Löwen 2005, Brokeback Mountain. Lee wählt ein für ihn zumindest teilweise neues Genre und zeigt sich als einer der wandlungsfähigsten Regisseure seiner Generation, als ein Filmemacher, der sich immer wieder neu zu erfinden versteht. Gleichwohl ist Lust, Caution ein genuiner Ang-Lee-Film: Ein ebenso humanes, wie zurückhaltendes, sensibles Kammerspiel der Gefühle, konzentriert auf die Interaktion weniger Figuren und geprägt von einer Filmrhetorik dezenter Verweise, nur kurz unterbrochen durch pathetisch inszenierte Emotionsausbrüche. Und ein Drama über Identitätsverlust und Grenzüberschreitung, über die Schwierigkeiten der Identifikation. Man müsste schon blind sein, wollte man das ignorieren.
Die junge Geliebte der ersten Szene heißt Wong Jiazhi und wird im Zentrum des zweieinhalbstündigen Films stehen. Bevor der Film zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt, erzählt er zunächst im Rückblick was vorausging: Angesiedelt in China 1937-1941 bilden den historischen Hintergrund die Wirren der jungen Republik nach dem Tod des liberalen Revolutionärs und Staatsgründers Sun Yat-sen 1925, der China seit 1912 regiert hatte, und der Imperialismus des faschistischen Japan, die nach der Eroberung der Mandschurei 1914 Chinas Politik stark beeinflußten. Nach Beginn des Japanisch-Chinesischen Krieges 1937 eroberte Japan schnell sämtliche Küstengebiete. Es kam zu Massenvergewaltigungen und Massakern (etwa Nanking mit allein 200.000 Toten) und in der Folge zu massiven Flüchtlingswellen. Die nationalistische Regierung von Tschiang Kai-sheks Kuomintang floh ins Landesinnere, in großen Städten wie Shanghai bildeten sich Widerstandszellen. Die Japaner begingen unzählige Kriegsverbrechen, 19 Millionen Chinesen starben. Wong gehört zu jenen, die vor den siegreichen Truppen des faschistischen Japan 1937 in die seinerzeit noch sichere britische Kronkolonie Hongkong fliehen. Dort beginnt sie zu studieren, und spielt in der Theaterklasse der Universität Hauptrollen in patriotischen Stücken. Bald bildet sich aus dieser Gruppe junger idealistischer Studenten eine – übrigens nicht kommunistische, sondern nationalistische – Widerstandszelle gegen die Japaner. Man plant ein Attentat auf Yee, einen der führenden Kollaborateure, und die glänzende, das Maskentragen gewohnte, Schauspielerin Wong soll hier als Lockvogel dienen. Tatsächlich freundet sie sich unter falscher Identität mit Yees Frau an, doch je besser sie ihre potentiellen Opfer kennt, um so mehr lernt sie sie zugleich als Menschen zu sehen. Besonders zu dem anfangs undurchsichtigen Yee fühlt sie sich zunehmend hingezogen.
Die Attentatspläne scheitern zunächst durch den Umstand, das Yee plötzlich Hals über Kopf Hongkong verlässt, und Wong verliert ihn aus den Augen. Doch drei Jahre später, inzwischen nach Shanghai übergesiedelt, treffen die Widerständler wieder zusammen. Yee ist dort zum Geheimdienstchef der Japaner aufgestiegen, und diesmal soll der Mordplan realisiert werden, mit Hilfe von Wong in ihrer alten Rolle. Während der Vorbereitungen beginnen Wong und Yee aber ein
Verhältnis.
Mitunter könnte Lust, Caution auch Der Dritte Mann in Shanghai heißen, und manchmal glaubt man sich in ein chinesisches Casablanca oder Notorious versetzt: Es ist eine Welt voller Spione, durchzogen von ständigem Misstrauen, Doppelspiel und
Verschwörung, Lebensgefahr und Begierde – wer jetzt nicht lebt, ist morgen tot. In dem elegisch inszenierten, dennoch auf seine Art intimen Historiendrama – entstanden nach einer Kurzgeschichte von Eileen Chang zeigt Ang Lee eine Erziehung der Gefühle, einen Lernprozeß mit unglücklichem Ausgang. Das ist für Ang Lee eigentlich ungewöhnlich, denn seine Filme handeln zwar schon immer von Grenzüberschreitungen und Identitätskonflikten, aber die Lernprozesse, die
sie beschreiben, haben einen meist glücklichem Ausgang – erst in den letzten Jahren scheint der wenn auch der Blick des zwischen Asien und dem Westen souverän vermittelnden Lee pessimisischer zu werden, und man konnte man bei diesem Regisseur, einst ein Garant für Happy-Ends, einen Zug ins Pessimistische bemerken.
Im Zentrum des Films steht zum einen die Education Sentimentale der Hauptfigur Wong. Es ist eine mindestens doppelte: Sexuell, denn Wong, anfangs noch Jungfrau, muss, um als Verführerin glaubwürdig zu sein, »Erfahrung haben«, und sammelt diese auf Gruppenbeschluß mit einem der Widerstandsjünglinge. Auf diesen mehr oder weniger öden Sex fürs Vaterland folgt der zweite Verlust der Unschuld in dem leidenschaftlichen Verhältnis mit dem begehrten Hassobjekt Yee.
Ang Lee zeigt
beider erste sexuelle Begegnung ausführlich und als von Gewalt durchzogen. Viel ist vorab über diese und einige weitere Sexszenen des Films geschrieben worden. Dabei wirken die meisten Kommentare übertrieben. Für den europäischen und asiatischen Film sind diese Bilder nicht ungewöhnlich spektakulär. Provozierend dürfte wohl eher der sadomasochistische Charakter dieses Sex' nahe an der Vergewaltigung wirken. Nur dient dies dem Regisseur gerade dazu, den Charakter Yees in all
seinen unsympathischen Zügen deutlich zu machen. Lee lässt keinen Zweifel: Yee ist in aller Zivilisiertheit und seinem für Wong verführerischen Charme eben doch ein skrupellos brutaler Folterer, der erst dann sexuell befriedigt ist, sich erst dann lebendig fühlt, wenn er die Frau in seinem Bett zum Weinen und Schreien gebracht hat. Eben diese Charakterdisposition ist ein Thema des Films.
Lee ist klug genug in einer anderen Szene zuvor Wongs eigenes Verhältnis zur Gewalt
deutlich gemacht zu haben: Bereits in Hongkong war sie so entsetzte wie unbeteiligte Beobachterin, als die Gruppe einen Verräter in einem minutenlangen brutalen Kampf mehr niedergemetzelt als ermordet hatte.
Der zweite, noch schmerzhaftere Lernprozeß Wongs betrifft den Konflikt zwischen Begehren und Moral. Die Entscheidung lässt sich nur aufschieben, aber nicht vermeiden. Die Moral des Films ist am Ende die, dass Liebe keine Moral kennt. Dann öffnet sich der Faschist und
Folterknecht im Dienste der Japaner der Geliebten, deren Verrat er vielleicht sogar spürt, geht auf sie zu – darum rettet sie ihn dann letztlich. Und ist am Ende allein. Aber beide sind auf ihre Art ehrlich zueinander, und beide wissen, dass Liebe – diese Liebe – nicht ohne Betrug sein kann.
Formal ist Lust, Caution wie nahezu alle Filme Lees nicht sonderlich gewagt, sondern eher konservativ, aber mit großem Können, dicht und nuancenreich inszeniert. Ein üppig ausgestatteter und opulent inszenierter Historienfilm, mit Anklängen an romantische Spionagethriller. Ang Lees Zeitreise ins mondäne Shanghai der 30er und 40er-Jahre beschwört den – den sogar von Brecht beschworenen – Mythos vom New York des Fernen Ostens, der im chinesischen Film schon seit den 30er Jahren eine eigenes Subgenre ausgebildet hat, und in den letzten Jahren – am prominentesten in den auch im Westen zu sehenden Shanghai Serenade von Zhang Yimous und Lu Yes Purple Butterfly – wieder sehr en Vogue ist. Dies verbindet er aber mit einem sehr exakten und unverklärten historischen Portrait: Faszinierend ist die sehr glaubwürdige computergestützte überaus detaillierte Rekonstruktion des Shanghai und Hongkong aus den Zeiten des Krieges – letzteres war in dieser prekären Zwischenzeit auch ein Hoffnungsort für die Menschen des jungen China.
Zweimal sieht man die Hauptfigur Wong im Kino weinen. In einem Ingrid-Bergman-Film, und in Penny Serenade mit Cary Grant. Einmal sieht man sie für ihren Geliebten singen. Dies ist auch ein Film über die Liebe zum Kino, voller Nostalgie für eine vergangene Zeit, ohne diese doch zu verklären.
Den erneuten Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig vor wenigen Wochen, der Ang Lee zum erfolgreichsten lebenden Regisseur macht, kann man allein mit der angeblichen »China-Connection«, die genauso gut zuungunsten des Taiwanesen hätte ausschlagen können, nicht erklären. Eher schon mit solchen und einigen anderen Filmmomenten purer Sehnsucht, in denen dieser Regisseur seit jeher ein Meister ist, und die ihn und auch diesen gelungenen, nuancenreichen, überaus schönen Film über viele andere hinaushebt.