Der Ghostwriter

The Ghost Writer

Frankreich/D/GB 2009 · 128 min. · FSK: ab 12
Regie: Roman Polanski
Drehbuch:
Kamera: Pawel Edelman
Darsteller: Ewan McGregor, Pierce Brosnan, Kim Cattrall, Olivia Williams, James Belushi u.a.
Eine Spur zu gut aussehend: Pierce Brosnan

Memoiren eines Pudels

Ähnlich­keiten mit lebenden oder toten Personen sind selbst­ver­s­tänd­lich rein zufällig. Rein zufällig handelt der Roman Ghost von einem kürzlich zurück­ge­tre­tenen charis­ma­ti­schen briti­schen Ex-Premier, der während seiner Amtszeit nibe­lun­gen­treu in einem unge­rechten Krieg an der Seite eines US-Präsi­denten stand. Und rein zufällig war der britische Schrift­steller Robert Harris, der Autor dieses Romans, einst als Kolumnist der Sunday Times und Sympa­thi­sant von »New Labour« Begleiter des Kandi­daten im Wahlkampf von 1997, der Tony Blair an die Macht brachte, und später Freund des Premiers. Aus seiner zwischen­zeit­li­chen Enttäu­schung über die Blair-Ära hat Harris aller­dings seitdem auch kein Hehl gemacht. »Ich verlor meine Illu­sionen, besonders während der Irak-Invasion. Was das Buch antrieb, ist sicher­lich auch der Ärger, den ich damals verspürte«, sagt er heute. Jetzt hat Roman Polanski den Tony-Blair-Schlüs­sel­roman verfilmt. Und The Ghost Writer ist einer der besten Polit­thriller der letzten Jahre.

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»Das ist ja eine Geschichte wie von Raymond Chandler«, habe Roman Polanski ihm gesagt, als er den Roman erstmal las, erinnerte sich der Brite Robert Harris in Berlin, wo die Verfil­mung seines Romans bei der Berlinale jetzt Premiere hatte: Robert Harris ist ein Phänomen: Einst war er Jour­na­list, seitdem schreibt er Romane, die man am ehesten als poli­ti­sche Fantasy bezeichnen könnte, obwohl sie immer auch ziemlich spannende Thriller sind, und in ihrem versteckten Zielen auf die Gegenwart den Jour­na­listen verraten, die Lust am Kommen­tieren und Provo­zieren. In seinem Debüt Father­land spielt Harris gar mit der Möglich­keit, wie das verei­nigte Europa aussähe, hätte Hitler den Krieg gewonnen. Nach fünf Best­sel­lern, die in der Vergan­gen­heit spielen, wagte sich Harris' neuestes Buch, Ghost, in die Gegenwart: Es geht, nur notdürftig verschlüs­selt, um Tony Blair und um die heutige Politik. Harris, ein desil­lu­sio­nierter Blairist, sieht, wie er sagte, seinen Stoff bei aller Thriller-Qualität als mora­li­sche Fabel über den Irakkrieg von Bush und Blair: »Das Urteil der Geschichte kommt nicht erst in 100 Jahren. Das Urteil der Geschichte kommt jetzt und hier.«
»Einer der Geister des Films ist England selber«, fügte Harris hinzu: »Es verhielt sich in den letzten Jahren, als sei es der 51. Bundes­staat der USA.«

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Quasi als Geist über allem schwebte in Berlin Roman Polanski. Der vielfach preis­ge­krönte fran­zö­sisch-polnische Meis­ter­re­gis­seur sitzt bekannt­lich gerade in der Schweiz unter Haus­ar­rest, während über sein Auslie­fe­rungs­ver­fahren entschieden wird. Von einem Geist im mehr­fa­chen Sinn handelt auch Polanskis neuester Film: Die Ober­fläche bildet eine süffige Krimi-Handlung: Ex-Premier Adam Lang will seine Memoiren schreiben, und engagiert einen Ghost­writer, der gleich zu Beginn von Buch und Film ermordet aufge­funden wird. Er bleibt nicht der einzige Tote. Ein neuer »Ghost« muss her, und der ist der Held und Ich-Erzähler des Romans. Bald entdeckt er kaum über­ra­schend, dass der Ex-Premier eine Menge Dreck am Stecken hat. Die Geister der Vergan­gen­heit holen ihn ein. Politik, Verschwö­rung und mora­li­sche Korrup­tion in den west­li­chen Demo­kra­tien und ein sehr unschmei­chel­haftes Portrait von Tony Blair.

Polanskis Film ist wie Harris' Roman äußerst elegant, inhalt­lich spannend und wunder­voll böse. Wir erfahren, dass Blair, pardon: Lang natürlich, seit Jahren eine Geliebte hat, dass er täglich Make-up auflegt, seit dem Macht­ver­lust wie ein Süchtiger unter echten Entzugs­er­schei­nungen leidet, und dass sein Nach­folger ein freund­li­cher, aber dummer­weise ehrlicher Mann ist, und deshalb scheitern wird. Am aller­besten aller­dings sind die boshaften atmo­s­phä­ri­schen Passagen: Etwa die Schil­de­rung des ameri­ka­ni­schen Nobel- und Reichen­re­sorts Martha’s Vineyard, wo Lang seine Memoiren schreibt, und die Polanski auf Sylt gedreht hat. Das Seebad »Martha’s Vineyard« war schon der Lieb­lingsort der Kennedys, und auch die Clintons machen hier regel­mäßig Urlaub.

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Pierce Brosnan spielt diesen Premier als König ohne Land, als von der Macht und anschließender Macht­lo­sig­keit verdor­bene Charak­ter­maske, der sein Herr­schafts­ge­baren nicht ablegen kann – eine Spur zu gut aussehend wirkt er tatsäch­lich wie ein geal­terter Strah­le­mann Blair. Olivia Williams als seine Frau ist die intel­li­gen­tere, der Kopf hinter der Macht. Man weiß nie, ob sie nun auch der sensi­blere Charakter ist, oder die wahre Lady Macbeth, die in diesem Stück ihren Mann wie eine Mario­nette lenkt – die Macht verdirbt auch hier wieder vor allem den, der sie nicht (mehr) hat: »Ich fühle mich wie die Frau von Napoleon – auf Sankt Helena.« sagt sie einmal. Schließ­lich McGregor als ange­heu­erter Memoi­ren­autor, der an seiner Arbeit zweifelt, und einer Verschwö­rung auf die Schliche kommt – drei Figuren in einer Geschichte, die noch im Ende ambi­va­lent ist: Der Täter scheint zwar am Ende klar, doch könnte alles auch ganz anders sein. Sogar eine Fort­set­zung wäre denkbar.

Die Innen­aus­stat­tung der Macht

Mit dem Film ist Polanski ein wunderbar eleganter Thriller aus der Politik der Gegenwart geglückt. Sein bester Film seit längerer Zeit. Schnör­kellos insze­niert ist dies auch eine Verbeu­gung vor Alfred Hitchcock, dem Meister des Suspense. The Ghost Writer ist spannend, bis zum Schluß über­ra­schend, und in seiner Insze­nie­rung im besten Sinne altmo­disch, den großen Vorbil­dern des Genres verpflichtet, also außer Hitchcock Filmen wie Francesco Rosis Hände über der Stadt, Henri Verneuils I wie Ikarus oder Die drei Tage des Condor von Sidney Pollack.

Besonders gelungen sind die Innen­an­sichten aus dem Alltag der Macht: The Ghost Writer ist eine Art Gesell­schafts­roman, der die Innen­aus­stat­tung der Macht mit Desi­gner­mö­beln, festungs­glei­chen Nobel­häu­sern am Meer, täglichem Sport­pro­gramm und zuneh­mender Amoral zeigt, der beschreibt, wie man in den poli­ti­schen Chef­etagen lebt und sich dort einrichtet.

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Nicht ganz böse und verworfen also wie Chinatown, ist The Ghost Writer dafür in manchen Passagen fast eine Komödie der Macht. Am Ende dieses sati­ri­schen Polit-Portraits stellt Polanski die Diagnose, die auch für Blair wie für manch' andere sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Regierung gültig ist, die in den 90ern antrat, um unter dem Mantel des »Dritten Weges« rechte Politik zu machen: »Ihr mora­li­scher Kompass funk­tio­niert nicht mehr präzis, so wie er das früher einmal getan hat«. Und man hat begriffen, dass man sich Blair, den Pudel Bushs und – nach diesem Roman – auch die Mario­nette der CIA, auch als tragische Gestalt vorstellen muss. Der Premier­mi­nister ist selbst ein Gespenst geworden.

Robert Harris: »Ghost«; Heyne Vlg., 400 Seiten, 19.95 Euro