USA 1996 · 88 min. · FSK: ab 12 Regie: Jim McKay Drehbuch: Lili Taylor, Jim McKay, Anna Grace Kamera: Russell Fine Darsteller: Lili Taylor, Bruklin Harris, Anna Grace, Asia Minor |
Eine Clique junger Frauen von unterschiedlicher Herkunft steht vor dem Schulabschluß und am Anfang des letzten gemeinsamen Sommers. Nach dem überraschenden Selbstmord eines der Mädchen beschließen die verbleibenden Drei gegen die Männerwelt Randale zu machen.
Strebsam und facettenreich, so gestaltet sie ihre Karriere. Keine schale Mittelmäßigkeit verwäßert ihr bisheriges Schaffen, die Zahlenkombination 08/15 scheint ihr unbekannt. Die Schauspielerin Lili Taylor scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, eine Laufbahn als Schauspielerin einzuschlagen, die im harten, entbehrungsreichen Slalom alle stereotypen Frauenrollen meidet.
Von der Comedia dell'Arte bis zu Eraser oder Waterworld sind die Archetypen in den Geschichten ja nahezu unverändert: Da gibt es den Helden, den Bösewicht, den weisen Ratgeber, den dicken Lustigen, den Stadtbullen oder irgendeine andere Autorität und eben nur noch das Mädchen; das Mädchen als charakterloses Faktotum, möglichst schön, manchmal ein bißchen zickig, aber im Prinzip mehr Motiv als Protagonistin. Nachdem sie selbst in ihrem letzten großen Hollywood-Film Kopfgeld als Geliebte des Bösewichts keine leicht durchschaubare Figur gespielt hatte, zeigt sich Lili Taylor jetzt abermals außerhalb des Abziehbild-Formats in zwei neuen, billigeren Produktionen: I Shot Andy Warhol von Mary Harron (ab 30.1) und Girls Town von Jim McKay (ab 6.2.).
In beiden Produktionen ist sie unsere Sachverständige für Frauenfragen, die beiden Rollen könnten allerdings kaum unterschiedlicher sein. I Shot Andy Warhol zeigt ein Portrait der Warhol-Attentäterin von 1968, Valerie Solenas, einer paranoiden Frauenrechtlerin. Nachdem sie sich zu Anfang noch relativ gesellschaftsfähig mit Schnorrerei und Prostitution durchs Leben schlägt, nimmt Valeries vehemente Männerfeindlichkeit bald immer mehr besessene Züge an, was schließlich in einem versuchten Mordanschlag auf den legendären Pop-Art-Begründer Warhol endet. Die Regisseurin Mary Harron nützt in ihrem ersten Werk die Gelegenheit, einige Schlaglichter auf Warhols Schaffen und die Atmosphäre und skurrilen Gestalten in seiner berühmten Factory zu werfen, zu der auch Valerie Solenas einen kleinen Bestandteil bildete. Lili Taylor spielt diese Figur, eine bekennende Lesbierin, deren haßerfüllte Schriften und Deklamationen in ihrer bertriebenheit fast humoristisch anmuten, als garstiges Unikum mit geradezu leibfeindlicher Körperhaltung- doch trotz ihrer Unzugänglichkeit ist zu spüren, daß Valerie auch Schutz sucht bei ihren Mitmenschen; ihre Tat scheint ihr die letzte Chance, auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.
Konsequent an gängigen Schönheitsidealen vorbei wird Taylor auch in Girls Town präsentiert; zwei unglamouröse Auftritte dieser Art hintereinander sind ja im US-Film fast schon sowas wie ein Karriere-Suizid; diesmal spielt sie Patty, eine junge Mutter, naiv, biestig und längst fällig für den Highschool-Abschluß fällig, eine fröhliche Vorstadt-Schlampe, die Spaß haben will und immer wieder von den traurigen Tatsachen vor den Kopf gestoßen wird. Diesmal jedoch ist die Schauspielerin Taylor stark eingebunden in eine Ensemble-Arbeit, die laut Produktion in einem Workshop Charaktere und Story entstehen ließ: Vier Mädchen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe bilden eine eingeschworene Clique, doch als sich Niki urplötzlich das Leben nimmt, stellen ihre Freundinnen plötzlich fest, wie wenig sie alle bisher voneinander wußten. Aus Nikis Tagebuch erfahren sie nun nachträglich von einer Vergewaltigung als Selbstmord-Motiv, die Mädchen beginnen, mehr von ihren persönlichen Problemen zu erzählen, anstatt nurmehr cool zu sein. Ihre Gespräche münden in Schimpftiraden gegen die Kerle, nur die gemeinen allerdings, und bald machen sie sich an’s Werk, Rachefeldzüge durchzuführen, indem sie bestimmten Männern das Auto demolieren oder die Wohnung ausrauben. Es ist der Beginn des letzten gemeinsamen Sommers dieser Highschool-Blase und der enge zeitliche und räumliche Rahmen der Geschichte wird trotz der Möglichkeiten nicht zugunsten spektakulärer Knalleffekte verlassen. »Wenn das ein Film wäre, hätten wir bestimmt schon fünfzig Leute abgeknallt, unser Lippenstift wäre dauernd verschmiert, und wir wüßten nicht, wie man 'ne Knarre richtig hält« so heißt es. Da es sich also anscheinend um keinen Film handelt, so nehmen wir den Regisseur, einen bekennenden Feministen, beim Wort und begnügen uns bei Girls Town hauptsächlich mit langen frauenfreundlichen und männerbelehrenden Verlaubarungen. Das erinnert durchaus zwischendurch an die »Lindenstraße«, kann aber einen guten Einblick geben in das Weltbild dieser Mädels, wobei Lili Taylor – auch hier branchen-untypisch – keineswegs ihr Anrecht auf ein stargerechtes Solo eingeklagt hat, sondern gute Team-Arbeit leistet und die Kolleginnen als gleichwertige Partnerinnen bestehen läßt. Glänzend sind sie nämlich alle.
Eine von Frau Taylors nächsten Rollen wird Janis Joplin sein, auch nicht gerade das musterhafte Liebchen vom Lande, und wir können uns jetzt mal alle sauber freuen drüber, ihre weitere Karriere verfolgen zu dürfen, mit hoffentlich haufenweise vielschichtigen Charakterstudien und künstlerisch waghalsigen Projekten. Langweilig wird’s bestimmt nicht.
Genug gelobt, ich muß ins Kino.