USA 2000 · 154 min. · FSK: ab 16 Regie: Ridley Scott Drehbuch: David H. Franzoni, John Logan, William Nicholson Kamera: John Mathieson Darsteller: Russel Crowe, Joaquin Phoenix, Connie Nielsen, Richard Harris u.a. |
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Man kann einen Rauschzustand ganz schlecht nur nachvollziehbar machen über die Beschreibung der Droge, die ihn herbeigeführt hat. Der Stoff, aus dem das Suchtmittel sich zusammensetzt ist nie gleich dem Stoff, aus dem die Träume dann sind. Noch diffiziler wird es, wenn man, selbst einmal süchtig geworden, alle, die noch nüchtern und klar im Kopf sind, überreden möchte zu dem Trip. Den Dealern der Droge Film geht es dabei nicht anders als dem Rest der Welt: wer verkaufen will muss sich schlagende Argumente einfallen lassen. Ein sportliches Ereignis durchaus, der Circus Maximus der Filmkritiker.
Dummerweise gerät gerade die Huldigung der Lieblingsfilme zumeist am stümperhaftesten. Man kann jenes undefinierbare gut feeling eben kaum vernünftig begründen. Insofern unterscheiden sich Lieblingsfilme kaum von Liebesaffären. Für einen dritten ist es oft kaum einzusehen, was einen so einnimmt für das Objekt der Begierde. Gladiator ist nun also, zugegeben, solch ein Fall von amour fou, weil Kino in seiner reinsten Form, pure Überwältigung also, und nur aus diesem ganz und gar subjektiven Zustand der zeitweiligen Unzurechnungsfähigkeit jetzt hier bedingungslos angepriesen:
Eine Hand, die durch ein Kornfeld streicht. Das sind die ersten Bilder. Eine Vision von Elysium, die immer wiederkehren wird. Wie auch ein ritueller Gestus, eine abergläubische Handlung: vor dem Kampf, auf dem Schlachtfeld und in der Arena, wird der Held ein bisschen Sand oder Erde aufnehmen und zwischen den Händen verreiben. Gladiator ist eine Blut-und-Boden-Geschichte. Nicht nach Riefenstahl freilich, sondern nach Dickens, der ja das filmische, die Kamerafahrt in der Literatur praktisch erfunden hat, den literarischen establishing shot. Vor langer, langer Zeit wurde auf englischem Boden eine heiße Schlacht geschlagen, so beginnt »The Battle Of Life« (auch der Titel passt ja gerade, obwohl sich bei Dickens natürlich alles dann in eine ganz andere Richtung entwickelt als beim Gladiator, aber dieses Schlachtengemälde am Anfang der Geschichte, das steht auch am Anfang des Films). Bei Dickens also schäumen die Kelche der Blumen über von Blut, die Insekten und Blätter und Pflanzen werden neu gefärbt von den Sterbenden. Der Bach flutet rot dahin, heißt es, und das Erdreich verwandelt sich in Sumpf. Dann lässt der Erzähler Gras drüber wachsen (die Saat, erwähnt er aber doch, ist Jahrzehnte später noch »dunkler an jenen fruchtbaren Stellen wo Pferde und Menschen in buntem Haufen beerdigt waren«, und zum Schluss malt er uns noch aus, wie es wäre, wenn die Toten »einen Augenblick lang auferstehen könnten, dann hätten Soldaten mit klaffenden Wunden zu Hunderten in Hüttentüren und Fenster hineingeblickt«. Eine Zombieorgie, wie wir sie eigentlich von John Carpenter erwarten würden oder George Romero – Dickens ist also auf jeden Fall auch ein Lesetipp für alle, die es grausig mögen). Wie gesagt, eine Blut-und-Boden-Geschichte, in der es dann auch um das Vergessen geht, life goes on, und was übrig bleibt von der Schlacht, von der sogenannten historischen Wirklichkeit, sind die Legenden. Gerade so wie im wahren Leben also, ganz wie im Kino (Das Rezept hat sich später, viel später, John Ford dann ausgeborgt, mit seinem: »print the legend«). »What we do in life echoes in eternity«, sagt der Gladiator am Anfang, bevor die Schlacht beginnt, die irgendwie direkt bei Dickens abgeschaut ist und mit dem Erinnern und dem Vergessen nimmt es dann, am Ende des Films, noch eine besonders rätselhafte Wendung.
Eine simple Geschichte natürlich, die Geschichte vom Gladiator, die sich wie alle wirklich guten Geschichten reduzieren lässt auf eine einfache Sentenz, ein Motiv. Hier formuliert es der Held selbst, in der Arena: »I will have my vengeance.« Eine Rachegeschichte. Gladiator ist, entgegen aller euphorischen Vergleiche, kein Ben Hur, kein Quo Vadis?, kein Spartacus. Nichts hat er mit diesen Sandalenfilmen gemein außer der Kulisse, einer Phantasie vom alten Rom, wie es in Hollywood allein entworfen werden kann. Gladiator ist ein Film bei dem man viel mehr aber den Mad Max im Hinterkopf haben muss, den Road Warrior Max, der sich mit Maximus, dem Gladiator sogar ein wenig den Namen teilt- reiner Zufall natürlich.
»A hero will rise«, war zu lesen auf dem Plakat, das das große Spektakel ankündigte und der Heldenbegriff ist tatsächlich einer der spannenden Aspekte. »Das Heldentum, das von der Moral gebilligt wird, begeistert nur wenige« schrieb Montesquieu, der sich, wenn schon nicht im Film so doch in der Politik prächtig auskannte, »Aber wir staunen über ein Heldentum, das die Moral aufhebt und wir bewundern es.« Eine gefährliche Liebschaft freilich, denn unter dem politisch korrekten Helden verstehen wir ja zumeist denjenigen, der den moralischen Mehrwert vor sich herträgt wie ein Flammenschwert oder doch zumindest im Dienst einer höheren Sache sich selbstlos betätigt. Heldenmut ist aber auch Definitionssache. Im Krieg, in der Politik zumal. Der römische General Maximus ist zunächst ein solcher Held. Erfolgreicher Kriegsherr, dabei doch eigentlich rechtschaffen. »Strength and honour«, lautet seine Losung – Soldatenehre, unter allen Formen der Ehre heute wohl am meisten in Misskredit geraten.
Der greise Herrscher jedenfalls, Marcus Aurelius, hält große Stücke auf seinen Feldherrn, den er wie einen Sohn ansieht, will ihn gar zu seinem Nachfolger bestimmen, zum nächsten Cäsaren. Es ist ein großes Geflüster um Rom, diese Idee, die Rom ist oder sein soll (ein Luftschloss) und Maximus soll derjenige sein, der Rom weiter träumt – uneigennützig, wie gesagt und ganz der Sache verpflichtet. Es gibt aber auch andere Söhne und andere Tugenden. Commodus zum Beispiel, der leibliche und jetzt dermaßen übergangene Sohn des Kaisers (Joaquin Phoenix ist ganz grossartig in dieser Rolle, er kommt daher als wäre er ein Bastardkind des völlig durchgeknallten Nero, wie ihn Peter Ustinov gab). Es gibt andere Tugenden, sagt er trotzig, den Ehrgeiz zum Beispiel, die Ambition. Das treibt ihn zum Vatermord, zur Usurpation der Macht und zur Beseitigung des Rivalen. Hier beginnt die eigentliche Heldengeschichte. Zumindest wenn man als Helden sich einen vorstellt, der durchaus egoistisch, amoralisch zu Werke geht, der Held als forbidden pleasure: I will have my vengeance.
Maximus tötet die, die ihn töten sollten. Er wird zum Geist, zum Toten. Es ist ein Traum vom Helden, eine Phantasie von Männlichkeit, die hier durchgespielt wird (und die immerhin zu diskutieren ist, gleichwohl bekenne ich mich jetzt einfach dazu), die aus großer Fallhöhe beginnt: Maximus wird alles genommen: sein Rang, sein Ruhm, seine Zukunft, seine Götter und sein Glaube, seine Familie, sein Besitz. Er ist am Ende ein Heimatloser, reduziert auf einen vollkommen atavistischen Kern von Männlichkeit. »My name ist Gladiator«, wird er, maskiert, dem neuen Herrscher Commodus auf die Frage nach seinem Namen antworten. Jede frühere Existenz ist ausgelöscht. Aus Max Rockatansky, dem Cop auf den australischen Highways wurde der Road Warrior, aus Maximus, dem römischen Feldherrn, der Gladiator. Der warrior ist etwas anderes als der soldier, das archaische löscht das zivilisierte aus. Eine ganz physische Angelegenheit auch, wie Maximus sich mit dem Messer die Tätowierung, jene Zeichen, die seine Zugehörigkeit zur Legion des Kaisers festschreiben, selbst aus dem Körper herausschneidet. Nur mehr der Killer bleibt übrig. (You told me to kill so I kill, sagt er einmal zu seinem Mentor Proximo, der den Namenlosen für den Arenenkampf entdeckt). Eine verdammt romantische, verführerische Vorstellung – man sollte sie, zumindest im Kino noch, in der Literatur auch, ab und zu ungestraft noch träumen dürfen. Denn natürlich werden immer gleich die Rufe laut vom Faschismus, von der rechten Ideologie und Ästhetik. Aber – nicht jede Massenszene ist gleich Riefenstahl. Zumal – ohne das hier ausführlich diskutieren zu können – der Körper des Gladiators und der Körper der Athleten des Olympiafilms (und das ist dann eben tatsächlich ein ent-individualisierter Massenkörper) gegensätzlicher nicht sein könnte. Der faschistische Körperkult ist zugleich ein paradox entkörperlichter, das heißt von jeder Sexualität gereinigter. Dagegen sind die Action-Helden des Kino, Russell Crowe als Gladiator, Mel Gibson als Mad Max oder auch Kurt Russell als Soldier (und das versteht sich jenseits des Genres schon allein aus dem Starsystem heraus!) immer auch erotisch extrem aufgeladene Körper. Filme und ihre Stars sind, seien wir ehrlich, natürlich stets auch geheime sexuelle Fantasien, moving pinups.
Russell Crowe eignet sich vortrefflich für die Rolle des Maximus. Seine Charaktere zeichnete ja von Anfang an diese unterschwellige Aggressionsbereitschaft aus, dieses rein physische »ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit«, was sie mit sich herumtragen – der Bud White in L.A. Confidential und auch, nur etwas weniger offensichtlich, der Jeffrey Wigand, jetzt erst in The Insider. Russell Crowe ist, als Gladiator, ganz und gar Körper und unterscheidet sich auch da von einem Helden der Arena wie Charlton Heston zum Beispiel, dem das Grüblerische, das Nachdenkliche ja jederzeit förmlich auf der Stirn geschrieben steht.
Maximus wird zum heiligen Krieger, ähnlich dem Samurai. Die Unverwundbarkeit, die diese auszeichnet, ist eine, die aus einer Nähe zum Tod herrührt. Eine Abkapselung, eine Konzentration auf und ein totaler Rückzug ins Innere. Dieser heilige Krieger ist kein Berserker, keiner also, der explodiert, sondern im Gegenteil einer, der implodiert. Gladiator ist die Geschichte eines Toten. Zwischen Grabhügeln wird er aufgelesen von Sklavenhändlern, zunächst nach Zuccabar gebracht, wo er dem ehemaligen Gladiator Proximo zur Verstärkung seiner Provinz-Truppe dienen soll, bevor es dann nach Rom geht in den Circus Maximus. Ein Toter also, kein Untoter (wie sie uns im Film ja auch immer wieder begegnen), kein Zauderer zwischen den Welten. Sondern einer, der seinen Ort hat, der zwischen den Welten wandert nur auf Zeit, um seine Rache zu haben.
Wenn man Maximus nun betrachtet neben Ben Hur oder Spartacus oder Marcus Vinicius, Russell Crowe neben Charlton Heston stellt und Kirk Douglas und Robert Taylor, kann man am besten sehen, wie es um diese Frage der Unverwundbarkeit, der Macht des Kriegers bestellt ist. Die Ermächtigung des Helden ist in Ben Hur oder Quo Vadis? immer eine, die von außen kommt, die – im wahrsten Sinne des Wortes – von Gott selbst verliehen wird, vom christlichen Gott, um dessen Machtübernahme es in diesen Filmen ja so spektakulär auch geht. Die wunderbarste Szene in Ben Hur ist damit jene, als ein Fremder dem versklavten Ben Hur Wasser zu trinken gibt. Einmal nur kommt er ins Bild, und nur von hinten sehen wir ihn. Trotzdem weiß jeder, dass wir es hier mit Jesus Christus persönlich zu tun bekommen. Wir wissen es, weil wir die Ikonographie kennen, von den Gemälden her, die Jesus so abbilden, wie er mit Sicherheit nicht ausgesehen hat: den wallenden Kittel, die leicht gelockten Haare, die so herrlich kitschig auf die Schultern rieseln. Nichtmal das klassische Hollywoodkino also, das ansonsten ja wirklich alles erklärt, was irgend jemand irgendwo irgendwie nicht wissen könnte, muss uns Jesus vorstellen. Das ist eine ganz wunderbare Demonstration der Macht der Bilder. (Und dürfte auch all jene interessieren, die an dem zweifellos eklektizistischen Bildersammelsurium des Gladiator zu mäkeln haben: denn natürlich handelt es sich nicht um ein realistisches Abbild des alten Rom – absurde Vorstellung – sondern um eine herrliche Mixtur all jener Bilder, die wir uns über Jahrhunderte gemacht haben davon.) Im Ben Hur wird unser Bilderbuch-Jesus dann sofort einen Soldaten Roms Kraft seines Blickes nur in die Knie zwingen, der eben noch Ben Hur den Schluck Wasser nicht gönnen wollte. Das also steckt hinter der Unverwundbarkeit jener Helden – diese Kraft und Autorität des Glaubens. (Es ist auch dieser staring contest durchaus beeindruckend aber letztlich natürlich dann doch lange nicht so beeindruckend wie Russell, wenn er mit Schwert und Streitaxt zugange ist und sehr viel Bein zeigt dabei. Vergesst also Jesus).
Dabei sind die Charlton Hestons und Robert Taylors natürlich allesamt im Grunde nichts anderes als Ideologen, Amerikaner in Rom, denn 1955 – da Charlton Heston zugange war – steht das Christentum hier nur für die Zivilisation (amerikanischer Ausprägung vor allem), die über die Barbarei siegt. Hestons Selbstgefälligkeit macht sich da ganz gut, immerhin hat Amerika gerade den Krieg für sich entschieden und dabei unter anderem auch Rom befreit vom Duce. (Jetzt – aus der Distanz von mehr als fünfzig Jahren – darf man dagegen schon wieder mit dem Gedanken der Barbarei flirten). Die Kraft des Maximus, des Gladiator ist eine aus dem Ilias: Singe den Zorn, oh Göttin, heißt es da zum Auftakt.
Am Ende freilich, nach dem großen Finale, dem Zweikampf in der Arena zwischen Commodus und Maximus (man darf das verraten, wo der Held ja ein Toter ist, es also für ihn keinen anderen Weg geben kann als ins Totenreich zurück) gibt es einen Moment der Irritation, der Rätselhaftigkeit. »He was a soldier of Rome«, verkündet Lucilla, die Schwester des Cäsaren, und lässt den Gladiator auf den Schultern der Kaiserlichen Garde feierlich aus der Arena tragen. Das ist der große Shakespearesche Gestus, die Ehrung des Gegners im Tode, als einen Mann von strength and honour eben, aus dem »Hamlet« oder dem »Titus Andronicus«. Hier hat es irgendwie einen üblen Beigeschmack, diese ziemlich fiese Vereinnahmung des amoralischen Helden, des Racheengels, des Killers, für die Politik und die Sache. Commodus dagegen wird in der Arena zurückgelassen werden, zusammen mit den tönernen Figurinen von Maximus Frau und Kind, die ein Weggefährte des Gladiators jetzt nach dessen Tod im Sand der Arena vergräbt. Ein bizarres Ende, ein bizarres Finale und der Zweikampf zwischen den beiden Gegenspielern ist dabei durchaus kein enttäuschender Antiklimax zu dem vorhergehenden Kampfgetümmel, das lauter war und wuchtiger. Wie das pervertierte Bild eines Erzengels erscheint Commodus, ganz in Weiß gekleidet, ein Marmorweiß, das ihm bis ins Gesicht hinein kriecht, als er in den Unterbauch der Arena herabsteigt um auf seinen Widersacher zu treffen. Irgendwie ist auch er schon nicht mehr von dieser Welt, Statue in einem Pantheon der Namenlosen, einer, der bald vergessen werden wird. Erinnern und vergessen, what we do in life echoes in eternity. Commodus hatte, selbst nicht ganz uneigennützig freilich, den Feldherrn Maximus noch gewarnt vor den Ränken und Intrigen der Politik, die alles und jeden für sich einspannt, wenn es ihren Zielen dient. Man muss daran denken, am Ende des Films, wo jetzt der Gladiator zum Soldier of Rome stilisiert wird und Commodus zum Vergessen freigegeben. Es gibt dann einen mysteriösen Moment, da der gescheiterte Cäsar mit seinen bodenständigen Tugenden, dem Ehrgeiz und der Gier, zum eigentlichen, tragischen Helden dieser Geschichte wird, liegengelassen in der Arena. Leider ist es nun wieder ein Politiker, der das am schönsten formuliert hat, Theodore Roosevelt: The credit belongs to the man who is actually in the arena, whose face is marred by dust and sweat and blood; who, at the best, knows in the end the triumph of achievement and who at the worst, if he fails, at least fails while daring greatly.