USA/GB/D/I 2001 · 137 min. Regie: Robert Altman Drehbuch: Julian Fellowes, Bob Balaban, Robert Altman Kamera: Andrew Dunn Darsteller: Michael Gambon, Kristin Scott Thomas, Camilla Rutherford, Maggie Smith u.a. |
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Feine Gesellschaft |
Es gibt zwei Welten im herrschaftlichen Landsitz Gosford Park: Die eine ist die der noblen Dinnersäle, Gästezimmer und Salons. Wo sich die feinen Herrschaften zur Jagdgesellschaft und zum Austausch gehässigen Tratschs treffen. Es ist Adel jeder Couleur, der sich hier vornehm blasiert gibt und doch hinter der starren Rüstung von noblem Gelangweiltsein und ritualisierter Höflichkeit allerlei schwelende Fehden und verzweifelte Begehrlichkeiten birgt: Alteingesessener (aber oft verarmter) Adel, emporgekommener, angeheirateter, Geldadel und der neue Adel des Starruhms – unter den Gästen nicht nur ein Hollywoodproduzent (zuständig für die Charlie Chan-Filmserie) sondern auch Frauenschwarm Ivor Novello. (Cineasten kennen ihn aus Hitchcocks Stummfilm-Meisterwerk The Lodger, was Gosford Park einen kleinen Insider-Gag wert ist.) Schon hier herrscht eine komplexe Hierarchie, sowohl der Personen als der Räume: Eine Staffelung des Privaten – es will wohl überlegt sein, in welchem Zimmer bei welcher Gelegenheit man mit wem über wen in welchem Ton spricht.
Und dann gibt es die noch viel rigider durchorganisierte Welt der Dienerschaft: Enge Kammern unter dem Dach, rohe, arbeitsame Räume im Keller. Wo unsichtbar und nach minutengenauem Regiment fürs stete Wohl der Leute oben geschuftet wird. Wo die mitangereisten Leibdiener, Zofen, Chauffeure ihre Namen ablegen, sich der Übersicht halber mit denen ihrer Herrschaft rufen lassen müssen – eine vornehme Form der Sklaverei, im England des Jahres 1932. Unter der Ägide von Mrs.
Wilson (Helen Mirren) ist der Umgang untereinander auch hier höchstens in unbeobachteten Momenten etwas freier – durch die lower class verlaufen nicht minder vielfältige Strata als durch jene einen Stock weiter oben.
Ein System der strikten, künstlichen Barrieren durchzieht jeden Winkel von Gosford Park, will in jeder Minute mit viel steifer Mühe gegen die unübersehbar heraufziehenend Veränderungen aufrechterhalten werden.
Es ist, insgesamt, eine Welt der Oberflächen – der richtig gewählten Stoffe, des passenden Musters, des korrekten Schmucks. Des perfekt polierten Glanzes. Aber all die edlen Polituren enthalten Gift, die Küchen sind voller scharf geschliffener Messer, zur Jagd stehen Gewehre bereit: Ganz Gosford Park ist auch eine Waffenkammer. Lange bevor der unleidige Hausherr Sir William (Michael Gambon) unsanft und vorzeitig ins Jenseits befördert wird verweilt die Kamera immer wieder einmal auf einem der vielen Flaschenettiketten, die warnen: POISON! Die Mittel, die all die Oberflächen frei von Flecken, Kratzern, Makel halten, bergen tödliches Potential.
Wo äußerlich alles seinen genau vorgesehenen Platz hat, seine zugewiesene Funktion, ist das innere Netz an Beziehungen viel labiler, viel mehr im Fluss ständiger Neudefinition begriffen. Sir Williams gewaltsamer Tod ist das Ereignis, das die äußere Struktur in Gosford Park stark genug erschüttert, um die dahinter arbeitende innere vielerorts ans Licht dringen zu lassen. Aber weder war diese vorher völlig unsichtbar, noch wird sie danach gänzlich aufgedeckt.
Seine üppige
Laufzeit braucht Robert Altmans jüngstes, grandioses Ensemblestück nicht, weil es seine Charaktere, ihre Positionen zueinander, behäbig methodisch entfalten würde – sondern schlicht, weil das Panorama so groß ist. Altman breitet es meisterhaft, keineswegs altmeisterlich aus: Er liefert eine rasche Flut unzähliger kleiner Puzzlesteine, läßt vieles lange oder komplett nur angedeutet. Bezeichnend die Stelle, an der nach dem Mord dem Inspektor (wunderbar: Stephen Fry) das
gesamte Figurenpersonal vorgestellt wird. Es wäre die Gelegenheit gewesen, auch dem Publikum endlich doch noch einen klaren, fast tabellarischen Überblick zu geben über die Charaktere, ihre Rollen. (Den, wage ich zu behaupten, sich viele dringlich wünschen würden.) Aber schon nach den ersten paar Personen scheint die Kamera ihr Interesse zu verlieren an diesem braven Kriminalstück-Procedere, wendet sich anderem zu, überläßt uns weiter die Arbeit, all die Gesichter, Titel,
Verwandschaftsgrade, Biografien selbst nach und nach zu einem vollständigen Bild zu verknüpfen.
Ein Spiel mit den Konventionen des Agatha Christie-Krimis, des klassischen whodunnit? ist diese bis in jede Nebenfigur hochglanzfunkelnd besetzte Tragödie voll sarkastischen Humors eigentlich nur am Rande – das ist der bloße Aufhänger für alles, was Gosford Park wirklich interessiert. Schon eher arbeitet er mit der Gattung britischer Gesellschaftsdramen und der langen Tradition von Geschichten um Herr- und Dienerschaft und die dunklen
Geheimnisse zwischen ihnen.
Vor allem aber ist Gosford Park ein Film über das Spielen von Rollen: Alle unter diesem feudalen Dach haben mindestens zwei Gesichter, kennen Schein und Sein. Manche Rollen sind von der Gesellschaft ab der Geburt vorgegeben, sind ein unglückliches Theater, dass das ganze Leben lang dauert. Keine Möglichkeit, das Fach zu wechseln, auch wenn Begeisterung, Talent oder Mittel für das zugedachte fehlen. Andere der Komödianten in
Gosford Park – wenn sie nicht gleich, wie Ivor Novello, die Schauspielerei zum Beruf haben – sind ganz bewusst nur für die Dauer ihres Aufenthalts in ein Kostüm geschlüpft. Nicht immer ist es möglich zu trennen, wer nur den anderen, wer auch sich selbst etwas vorspielt. Mal ist das Spiel lustvoll – bei den Diners gehört es geradezu zum vereinbarten Kontrakt, dass die Oberfläche nicht alles, nicht das Eigentliche sagt, dass hinter den Blicken, Gesten, Sätzen ein zweiter
(meist alles andere als höflicher) Sinn lauert. Mal ist das Spiel pure Qual – wenn die Wahrheit nie heraus darf, wenn sie einsam das Innen zerfrisst und der Körper, das Leben nur noch zum ehernen Bollwerk wird, sie einzuschließen.
Eine solche erstarrte, grausame Maske fällt für uns Ende von Gosford Park – und plötzlich erscheint, wenn wir uns noch erinnern, eine der zahlreichen Begrüßungen ganz zu Anfang in völlig neuem Licht...