The Good Thief

GB/F/CDN/IRL 2002 · 108 min.
Regie: Neil Jordan
Drehbuch:
Kamera: Chris Menges
Darsteller: Nick Nolte, Nutsa Kukhianidze, Tchéky Karyo, Emir Kusturica u.a.
Nick Nolte als GOOD THIEF

Einen Dieb fangen?

Ein Krimi­nal­film um einen aus Amerika stam­menden ehema­ligen Meis­ter­dieb an der Côte d’Azur – gab es das nicht schon einmal? Doch im Gegensatz zu John Robie, als der Cary Grant sich seiner­zeit in Hitch­cocks Über den Dächern von Nizza nach Abbüßen seiner Strafe in einer gedie­genen Villa mit Seeblick zur Ruhe gesetzt hat, ist Bob Montagnet (Nolte) keines­wegs bekehrt, wohl­ha­bend und auf den Pfad der Tugend zurück­ge­kehrt.

Seine Süchte lassen ihn nicht los: Alkohol, Heroin und vor allem Glücks­spiel sind seine Dämonen, eine Pech­strähne kostet ihn sein letztes Geld. Ein großes Haus ist ein letztes Zeichen seines früheren Wohl­standes, und seine Zeit verbringt er nicht am sonnenüber­flu­teten Meer, sondern in der nächt­li­chen Halbwelt der Hafen­viertel, wo sich sein genu­scheltes Ameri­ka­nisch mischt mit dem baby­lo­ni­schen Sprach­ge­wirr alter und neuer Migranten in den verräu­cherten Bars – man möchte fast schreiben »Spelunken«.

Diese Halbwelt, die düstere Seite der mondänen Glit­zer­welt der Côte, hat so gar nichts roman­ti­sches mehr, ein jeder kämpft heute ums Überleben. Da hat es fast etwas rührend Anachro­nis­ti­sches, wenn Bob dem Ermittler Roger (Karyo), der sich an seine Fersen heftet, das Leben rettet, und die junge Prosti­tu­ierte Anne (Kukhia­nidze) vor ihrem Zuhälter beschützt.

Noch einmal eröffnet sich ihm eine Chance auf einen großen Coup, als er von den wert­vollen Gemälden eines neu eröff­neten Casinos in Monte Carlo erfährt. Er unter­wirft sich den Schrecken eines kalten Entzugs und mobi­li­siert seine letzten Kräfte, Mittel und Unter­s­tützer, will er sich diese große Sache doch nicht entgehen lassen. Um die stets wachsame Polizei zu täuschen, plant er neben dem eigent­li­chen Diebeszug einen weiteren als Tarnung, der – wie gewünscht – verraten wird.

Oder kann Bob sich doch nicht auf Anne verlassen, die ihrem Retter ganz ergeben scheint und die Geliebte seines jungen Komplizen Paulo (Taghmaoui) wird? Außerdem verfolgt letzterer eigene Pläne, als er erfährt, dass der Tresor des Casinos nicht so unein­nehmbar ist, wie es anfangs aussieht. Kann man dem Sicher­heits­ex­perten Vlademir (Kusturica) trauen, der die Konstruk­tion der Sicher­heits­an­lage verrät? Rächt sich der geprellte Kunst­händler (Fiennes)? Das Ergebnis des Coups hat schließ­lich nicht mehr viel mit der ursprüng­li­chen Planung zu tun, wenn es auch alle Erwar­tungen über­trifft.

Nach Jean-Pierre Melvilles Film Bob le Flambeur drehte Neil Jordan seine Version dieser »heist«-Geschichte (die Abteilung »raffi­niert geplanter Einbruch« im Krimi-Genre, für die es im Deutschen keine entspre­chende Bezeich­nung, allen­falls den verstau­benden Bezug auf Rififi, gibt). Doch anders als Krimi­spe­zia­list Melville, der im fran­zö­si­schen Kino den Prototyp des einsamen Anti-Helden im Verbre­cher­mi­lieu schuf, begnügt er sich nicht mit der einfachen Version eines einzigen Einbruchs, sondern verviel­fäl­tigt, spiegelt und bricht das Geschehen bis an die Grenzen der Über­sicht­lich­keit.

Das ist dem Thema und den heutigen Sehge­wohn­heiten ebenso ange­messen wie die schnellen Schnitte und die düsteren Bilder von Chris Menges. Und doch ist es manchmal fast zu viel des Guten: Neil Jordans neues Lieblings-Stil­mittel, mögli­cher­weise als Hommage an die Errun­gen­schaften der nouvelle vague gedacht, scheint der Abschluss einer Szene durch ein einfrie­rendes Bild zu sein -. was zunächst inter­es­sant, auf Dauer aber über­trieben wirkt.

Bob le Flambeur – »Bob der Spieler« heißt die Vorlage Melvilles (die in Deutsch­land unter dem Titel Drei Uhr Nachts 1958 in die Kinos kam). Mit seiner Namen­sän­de­rung (die der deutsche Verleih über­nommen hat) setzt Jordan einen neuen Akzent: nach wie vor steht die Person des Meis­ter­diebes im Vorder­grund, doch dessen tech­ni­sche Versiert­heit wird um die mora­li­sche Dimension ergänzt. The Good Thief ist im engli­schen Sprach­raum die Bezeich­nung für den neben Jesus gekreu­zigten Verbre­cher, der bereut und deshalb erlöst werden wird.

Doch so ganz ohne weiteres lässt sich dieses Bild auf Bob Montagnet nicht über­tragen. Zwar ist die Figur, wie schon bei Melville, ein mora­li­scher Mensch, doch eine Einsicht in die Unrecht­mäßig­keit seines Verbre­chens findet nicht statt. Melvilles Bob büßt doppelt: er wird schließ­lich verhaftet und muss den Verlust seines Partners und Zieh­sohnes Paulo hinnehmen. Doch Jordans Held trium­phiert in einer Welt, in der die Unter­schei­dung zwischen gerecht und ungerecht immer frag­wür­diger wurde (frei nach Brecht: was ist das Ausrauben eines Casinos gegen die Gründung eines solchen?), und die Erlösung, und sei es von seiner Sucht, bleibt höchst zwei­fel­haft.

Zur Wirkung dieses Films trägt zu einem großen Teil auch die geschickte Besetzung bei, die Stereo­typen zum größten Teil vermeidet. Nick Noltes diffe­ren­ziertes Spiel überzeugt auch ohne das Wissen um die eigenen Erfah­rungen des Schau­spie­lers mit Sucht und Polizei. Und auch die Geor­gierin Nutsa Kukhia­nidze in der Rolle der Anne vermit­telt glaub­würdig die Abge­brüht­heit, die Ange­sichts von Zwangs­pro­sti­tu­tion einer jungen Osteu­ropäerin das Überleben ermög­licht. Das Drauf­gän­gertum Said Tagh­maouis folgt ganz dem Charakter aus La Haine, der ihn in Deutsch­land wohl am ehesten bekannt gemacht hat. Und was lässt sich zu Tcheky Karyo in der Rolle des Komissars Roger noch sagen?

Nur: warum häuft sich in der letzten Zeit dieses ärger­liche Phänomen, dass ein an sich gut gemachter Film durch kleine sachliche Fehler in einer Neben­hand­lung gestört wird? In My Life Without Me hat die Geschichte von den verschie­den­ge­schlecht­li­chen siame­si­schen Zwil­lingen das Potenzial, aufmerk­same Zuschauer zu irri­tieren und auf ganz falsche Fährten zu locken, hier ist es das Konstrukt der Spin­nen­phobie nach der Geschlechts­um­wand­lung einer Neben­figur, das stört.

Es mag drama­tur­gisch irgendwie notwendig gewesen sein (gab es denn wirklich keine bessere Lösung?), dennoch bleibt es logisch uner­träg­lich und lenkt von der weiteren Handlung ab, wenn man der Versu­chung nicht wieder­steht, ein wenig nach­zu­denken – kann etwa der ehemalige Mann die latente Spin­nen­furcht erst jetzt »zulassen«? Ist es die Spin­nen­phobie, die den Super-Mann erst zur Aner­ken­nung seiner weib­li­chen Seite bringt, ihn aber zu dem Fehl­schluss verleitet, unmänn­lich zu sein und deshalb ganz Frau werden zu müssen?

Oder ist Regisseur und Dreh­buch­autor Neil Jordan einfach nur platt sexis­tisch? Die Unsäg­lich­keit der Kopplung Gender – Spin­nen­phobie erstaunt um so mehr, als genau dieser Regisseur doch in The Crying Game ein so sensibles Portrait eines Trans­se­xu­ellen zeichnet – oder ist Dil im Grunde auch nur eine Karikatur gewesen, und niemand hat es bemerkt?