USA/GB 2013 · 91 min. · FSK: ab 12 Regie: Alfonso Cuarón Drehbuch: Alfonso Cuarón, Jonás Cuarón Kamera: Emmanuel Lubezki Darsteller: Sandra Bullock, George Clooney u.a. |
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Biedere Beziehung: Mann voraus, Frau hinterher |
Menschen suchen wir, niemanden sonst. Wir brauchen keine anderen Welten. Wir brauchen Spiegel. Mit anderen Welten wissen wir nichts anzufangen. Es genügt unsere eine, und schon ersticken wir an ihr.
(Stanislaw Lem, Solaris)It was gravity which pulled us down and destiny which broke us apart.
(Bob Dylan, Idiot Wind)
Nach Alfonso Cuaróns nicht nur stilistisch atemberaubenden Dystopia-Science Fiction Children of Men hat sich Cuarón auch mit Gravity für das Genre „SF“ entschieden, dieses Mal allerdings für eine Variante, die weit von seiner inzwischen sieben Jahre alten Arbeit entfernt ist. Politik und Religion, gesellschaftliche Turbulenzen spielen keine Rolle, sondern stattdessen fast reinrassige Themen des sogenannten goldenen Zeitalters der Science Fiction, den mittleren Jahren des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum standen und stehen auch in Cuaróns Gravity die menschliche, ins Weltall verfrachtete Technik und ihre Verwundbarkeit, klassische Geschlechterrollen und simple Dramatisierungen, in diesem Fall konkret: eine anfangs alltägliche amerikanische Mission in der Erdumlaufbahn gerät durch eine unglückliche Kettenreaktion ins Trudeln und kämpft schließlich ums nackte Überleben.
Cuarón hat einige Jahre warten müssen, um diese einfache Geschichte so zu erzählen, wie er sie sich vorgestellt hat – nicht nur als Kammerspiel eines Überlebenskampfes, sondern auch als hyperrealistische 3-D-Vision dessen, was sich schon Stanislaw Lem in seinen Werken über die Konfrontation des Menschen mit dem Weltraum ausgemalt hat. Schöne Aussichten auf die Erde und das All, die aber letztlich auch völlig ernüchternd klarstellen, dass wir alleine sind, es keine außerirdischen Lebensformen gibt und das die Bedingungen im All nicht die freundlichsten sind. Das aufaddiert führt nicht nur bei Lem zu fast meditativen Momenten der Einsamkeit – man denke nur an Lems »Geschichten vom Piloten Pirx.«
Ähnlich wie Lem benutzt auch Cuarón die Reduzierung des Personals um Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) und Matt Kowalski (George Clooney) dazu, um genau diese meditativen Augenblicke zu evozieren und über die unermessliche Schönheit und Kälte des Alls – die in nichts der Verführungskraft von Andersens Schneekönigin nachstehen – den menschlichen Schwächen und Stärken einen gnadenlosen Spiegel vorzusetzen. Dabei gelingen Cuarón faszinierende, durch die 3D-Technik noch einmal verstärkt gebündelte Studien von All, Raum, Technik und Mensch, die in ihrer Leere und dem reduzierten narrativen Teil aber auch ein wenig an die Ästhetik früher IMAX-Produktionen zu dieser Thematik erinnern.
Cuarón scheint sich dieser Tendenzen selbst bewusst gewesen zu sein, denn Gravity wird mit jedem Schritt in Richtung technoider Abhängigkeiten, Einsamkeit und menschlichem Verlorengehen auch und durchaus passend zur Aussenumgebung – atemloser. Kein noch so groteskes Szenario wird ausgelassen, um den Spannungsbogen zu straffen, gleichzeitig jedoch eine Ausdifferenzierung der Handlung zu vermeiden, wie sie etwa in den im Geiste verwandten Solaris-Verfilmungen von Tarkowski und Soderbergh gewagt wurden. Stattdessen Space Station Hopping, bizarre Bedienungsanleitungen, Feuer, Weltraumschrott-Stürme, Abstürze und nicht zuletzt das stereotype Innenleben einer einsamen Frau. Mit dieser Simplifizierung bei bis zum Ende hohen ästhetischen und spannungsreichen Niveau verschenkt Cuarón viel Potential oder anders formuliert: erliegt Gravity der Kerngefahr im Weltall, der Atemlosigkeit und erstickt letztlich an seinen eigenen Ansprüchen.
Was war nicht schon alles möglich im Weltraum! Denkt man zurück an den Vorspann von Star Trek, in dem die zu erforschenden »unendlichen Weiten« als letzte Herausforderung der Menschheit angepriesen wurden, erscheint der räumlich arg begrenzte Sternenhimmel in Gravity fast ernüchternd. Hier werkeln bloß ein paar Astronauten an einem Weltraumteleskop herum und tauschen mit Houston aufgewärmte Albernheiten aus. Wirklich euphorisch sind da nur noch die schwerelosen Turnübungen und Sonntagsfahrten mit dem Düsenrucksack. Wen interessiert die Galaxie, wenn der Ausblick auf die Erde schon so begeistert?
Doch in Sekundenschnelle macht der Film von Alfonso Cuaròn auch diese genügsamen Träume zunichte, als ein tödlicher Trümmerhagel fast alles hinwegfegt und nur noch zwei benommene Schiffbrüchige zurücklässt. Es handelt sich zum einen um Matt Kowalski, den George Clooney als routinierten Space-Cowboy spielt, der auf alles eine mehr oder minder clevere Antwort hat. Zum anderen ist da Dr. Ryan Stone, die Sandra Bullock verkörpert: eine versierte Wissenschaftlerin, aber unkundige Astronautin. Gemeinsam gilt es nun, irgendwie lebend auf die Erde zurückzukehren.
Hierbei entfaltet sich, auch dank der 3D-Technik, ein schwindelerregendes Weltraumabenteuer, das insbesondere von seiner raffinierten Bildführung lebt. Emmanuel Lubezkis Kamera lotet die Grenzen zwischen Blick und Bild ständig neu aus, überwindet rasch große Distanzen: So kriecht sie in den Helm von Bullock’s Figur Ryan, erforscht ihre Gesichtszüge, um dann ihren Blick ins regungslose All zu teilen, durch das urplötzlich ein neuer Splitterhaufen rast. Manchmal bekommt man schon das Gefühl, dass die Montage völlig überflüssig gemacht werden soll, als ob sie einen Störfaktor im nahtlosen Erzählstrom darstellen würde. Der Film operiert immer wieder mit bedingungsloser Subjektivität – der Raumanzug, das Vakuum, die Raumstation werden zu unserem neuen Zuhause.
Absolut nichts kommt vor diesem Bildertaumel, gerade durch den Gravity auch zu gutem Kino wird. Da verflüchtigen sich die vereinzelten Floskeln der Protagonisten schnell wieder, gehören sie doch eher zur Geräuschkulisse, als zum eigentlichen Geschehen auf der Leinwand, in das man stets hineinzukippen droht. In diesem Sinne geht es in Gravity zuerst einmal um Erlebniswelten, die aber direkt aus dem Bauch ins Hirn hinein wirken. Die Frage, ob und wozu es sich überhaupt lohnt, weiterzumachen (in unserer Welt), stellt sich auf ganz grundsätzliche Weise. Deshalb mag dieser nackte Kampf ums Überleben, den Cuarón so mitreißend inszeniert, auch wesentlich trauriger unser Dasein widerspiegeln, als es der erste Eindruck nahelegt. Denn Überleben allein reicht eigentlich nicht.