Die Schönheit, die in der Wahrheit liegt |
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Gravity: Kammerspiel im All | ||
(Foto: Warner Bros. Entertainment GmbH) |
»Ground control to Major Tom« sang einst David Bowie und sein Song mündete in die Zeile: »Die Erde ist traurig/ Und ich kann nichts dagegen tun.« Mit einem ähnlich melancholischen, zugleich visuell atemberaubenden Weltraumabenteuer eröffneten gestern die Filmfestspiele von Venedig. Gravity vom Mexikaner Alfonso Cuaron, eine All-Odyssee auf den Spuren von Stanley Kubricks »2001 – Odyssee im Weltraum«, Andreij Tarkowskys Solaris, aber auch Antonions L’eclisse. George Clooney und Sandra Bullock spielen die Hauptrollen und zeigten sich zur Eröffnungspressekonferenz überaus gut aufgelegt – vor allem gemessen an den schwachsinnigen Fragen der Boulevardpresse, die Clooney auf kosmetische Themen ansprachen, und danach fragten, was er von dem möglicherweise drohenden Militärschlag auf Syrien halte. »Auf diese Frage habe ich gewartet«, antwortete der, und ließ die Fragesteller ins Leere laufen: »Ich habe dazu nichts zu sagen, warum sollten Schauspieler in politischen Fragen kompetenter sein, als andere Bürger?«
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Aber auch der in erster Linie spannende Gravity hat untergründige Botschaften, die man je nach Temperament als politisch oder ökologisch oder beides verstehen kann: Bullock und Clooney sind die einzigen Figuren des Films, eines Kammerspiels im All. Sie spielen zwei Astronauten, die Satelliten reparieren – zunächst öde Routine, die sie sich mit flachen Witzen und Anekdoten vertreiben, bis plötzlich ein Haufen Weltraumschrott gewittergleich auf sie einprasselt. Nach wenigen Sekunden sind ihre drei Kollegen getötet, ihr Raumschiff zerstört, mit der Erde haben sie den Kontakt verloren. Was nun folgt, ist ein dramatischer Überlebenskampf. Verzweifelt versuchen sie, schwerelos im Raum treibend, eine nahegelegene russische Raumstation zu erreichen, dabei von Kälte, knapp werdendem Sauerstoff und weiterem mit rasender Geschwindigkeit fliegendem Abfall bedroht. Gravity ist eine Abfolge von Katastrophen, immer wenn man glaubt, die größte Not sei überstanden, kommt es noch schlimmer. Irgendwann opfert sich Clooneys Figur für die Kollegin, die überleben und in einer kleinen Blechklapsel auf die Erde zurückkehren wird.
Gravity ist visuell richtig großartig, und auch als 3-D-Film sehr gut gelungen. So überaus eindrucksvoll der Film im Einzelnen ist, ist dies weniger realistische Beschreibung, als existentielle Metapher über Tod und Leben. Trotzdem kann man sich ganz konkret vorstellen, wie es sich wohl so anfühlt, im Weltraum zu sein – ein so kluger wie packender Eröffnungsfilm, der das Publikum auf die Erde und irdische Fragen zurückwirft, auf die Zukunft der Menschheit.
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Eine lange Entwicklungsgeschichte hat auch die »Mostra« von Venedig hinter sich: Sie ist die Mutter aller Filmfestivals – 1932 gegründet, ist dieses erste Filmfestival der Welt ein Kind der Diktatur; genauer gesagt ein Einfall des Conde Volpi, der nicht nur eine Weile in Benito Mussollinis Kabinett als Kulturminister wirkte, sondern dem vor allem das »Excelsior« gehörte, das luxuriöseste Hotel auf dem Lido vor der Lagune von Venedig. Zur Nachsaison Anfang September sollten Filme und Stars noch einmal das Geschäft ankurbeln, so Volpis Überlegung. Die Rechnung aus Tourismus und Politik ging auf, und die Idee der Filmfestivals war geboren. 1936 zog die UdSSR mit Moskau nach und nach dem Krieg übernahmen die Demokratien das Konzept: Cannes, Berlin und andere folgten.
Seit gestern nun läuft die 70.Jubiläumsausgabe – während dies Krieges und finanzbedingt auch in den 70er Jahren legte das Festival jeweils mehrjährige Zwangspausen ein. Im Wettbewerb laufen 20 Filme, darunter ein deutscher Beitrag: »Die Frau des Polizisten« vom Düsseldorfer Philip Gröning. In den Nebenreihen laufen mit Wolfskinder von Rick Ostermann und Edgar Reitz' Die andere Heimat, der neuesten Fortsetzung seines »Heimat«-Epos weitere deutsche Beiträge. Mit großer Spannung erwartet werden im Wettbewerb unter anderem die neuen Filme vom Briten Stephen Frears, dem Japaner Hiyao Miyazaki und die Regiearbeit Child Of God vom Schauspieler James Franco – die Verfilmung einer Vorlage von Cormac McCarthy.
Mit Bernardo Bertolucci präsidiert der Grandseigneur des italienischen Kinos der Wettbewerbsjury und auch sonst ist das italienische Kino in allen Sektionen gut präsent. Etwas Besonderes verspricht darunter Venezia Salva (in der Sektion »Venice Days«), die zweite Regie-Arbeit von Serena Nono, der jüngsten Tochter des weltberühmten Komponisten Luigi Nono, die bisher vor allem als Malerin und bildende Künstlerin hervortrat, und auch schon auf der Kunstbiennale ausgestellt wurde. Venezia Salva ist die freie Adaptation eines Theaterstücks von Simone Weil – ein Mantel- und Degenstück, das im Venedig des Jahres 1618 angesiedelt ist, und von einer Verschwörung erzählt: Der spanische Botschafter versuchte, die über 1000 Jahre alte Republik zu stürzen. Hinter dieser mit erotischen Verwicklungen aufgepeppten aktuellen politischen Rahmengeschichte über Demokratie und ihre Widersacher, über Macht und Gewalt, findet Nono auch Philosophisches: »Ich wollte den Kern von Simone Weils Ideen bewahren, die eine geradezu griechische Tragödie erzählt: In der geht es darum, dass Wahrheit zum Unglück führt, aber auch dass in der Schönheit Wahrheit liegt.«
In der Jubiläumsretrospektive der »Venice Classics« wird unter anderem Chantal Akerman geehrt. Man zeigt gleich zwei Filme Akermans, die hier vor 40 Jahren liefen. Hotel Monterey (1972) ist ein Stummfilm über ein New Yorker Hotel, das bereits vor 40 Jahren zum Zufluchtsort für viele vergessene Alte des »Big Apple« wurden. Akermans Kamera erkundet unbekannte Orte. Le 15/8 von 1973 stellt ein junges Mädchen aus Finnland ins Zentrum: Akerman beobachtet sie während eines ganzen Tages in einem Pariser Appartement, in dem sie als Au Pair arbeitet – das Porträt einer Post-68er-Jugend, die ihre Zukunft bereits lange vor Castingshows und Sozialen Netzwerken an die Konsumgesellschaft verschleudert hat. »Ich bin es gewohnt, dass meine Filme Teile des Publikums aggressiv machen« resümiert Akerman, »auch wenn es keine Aggressionen in meinem Film gibt. Wenn sie aggressiv werden, verrät das etwas über sie selbst.« Akermans Filme wirken heute wie eine doppelte Flaschenpost aus einer verlorenen Zeit – für das Kino wie für die Gesellschaft.