05.09.2013

Venedig, oder wie wir lernen die Italiener zu lieben

Why Don't You Play in Hell?
Why Don’t You Play in Hell? – Souverän
(Foto: Drafthouse Films)

Brüchige Idyllen am Lido; Venedig-Tagebuch, 2.Folge

Von Rüdiger Suchsland

Wir müssen alle Italiener werden. Natürlich, es stimmt schon, gerade wir hier schimpfen immer wieder gern auf die Italiener, auf das Chaos, auf die bella figura, hinter der dann nichts mehr ist, oder nur ein stin­kender Haufen. Aber wenn man aus Deutsch­land, dem allzu perfekten, allzu kontrol­lierten, allzu mit sich selbst zufrie­denen Land hier ankommt, ist Italien angenehm entspannt und angenehm. Oder will man sein Leben lang von einer Nanny Merkel »regiert« werden? Die Deutschen werden erst noch lernen müssen, was die Italiener schon wissen: Von Ordnung ist wenig zu hoffen außer Ordnung, und im Chaos kann man sich besser verste­cken. »Lern unerkannt gehen« hat der Münchner Hans Magnus Enzens­berger 1957 geschrieben in seinem Lesebuch für die Oberstufe: »lern unerkannt gehen, lern mehr als ich: das viertel wechseln, den paß, das gesicht. versteh dich auf den kleinen verrat, die tägliche schmut­zige rettung. nützlich sind die enzy­kliken zum feuer­an­zünden, die manifeste: butter einzu­wi­ckeln und salz für die wehrlosen, wut und geduld sind nötig, in die lungen der macht zu blasen den feinen tödlichen staub, gemahlen von denen, die viel gelernt haben, die genau sind, von dir.«
Im Grunde handelt dieser Text von Italien, dem Land in dem die Erwartung, dass die Dinge nicht funk­tio­nieren, ein St ück Hoffnung bedeutet.

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Man sollte die Verhält­nisse hier aller­dings natürlich auch nicht verklären. Die Radio-Service­sta­tion der RAI spart in diesem Jahr ihre besten Leute ein, Eleonora und der Techniker Marco fehlen. Wer wie ich mitunter Beiträge »bauen« muss, hat mit der Technik zu kämpfen, denn als Autor macht man das zuhause eigent­lich nicht – hier lerne ich also im Schnell­kurs das Schneiden von O-Tönen.

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Erstes Screening, und schon verspätet. Der 3-D-Film Gravity. 3-D über­for­dert vorbe­rei­tungs­mäßig offenbar die Italiener, und sie lassen ihre Gäste 45 Minuten draußen in der Hitze brüten, erst fünf Minuten nach dem vorge­se­henen Start werden die Leute rein­ge­lassen. So wird es weiter­gehen. Während man in Cannes im Kino sitzend warten darf, und dabei lesen und schreiben oder auch dösen kann, muss man in Venedig vor dem Kino stehen.
Der Raum der Pres­se­kon­fe­renzen hat eine Treppe bekommen, damit man von allen Plätzen aus gut sehen kann. Guter Einfall. Jetzt sieht er aus wie ein Amphi­theater, das passt ganz gut.

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Venedig kann sehr nass sein. Gerade heute, am zweiten Tag regnet es gehörig. Danach aber bricht wieder die Sonne aus.

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»Berto­lucci – der hat noch so ein Strahlen.« freut sich Carlos, der den Jury­prä­si­denten bei der Variety-Party gesehen und kurz für »kino kino« inter­viewt hat. Etwas später wird er Edgar Reitz mit Marc Aurel verglei­chen, drunter geht’s offenbar nicht. Wenn er das sagt, hat auch Carlos so ein Strahlen.

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Dieser Film hätte das Festival eröffnen sollen, und bestätigt gleich zu Beginn unseren Verdacht, dass die Entde­ckungen in diesem Jahr nicht im Wett­be­werb gemacht werden, sondern in den Neben­reihen. Sono Sions Why don’t you play in hell? ist erschüt­ternd in jeder Hinsicht. Er erschüt­tert unsere Erwar­tungen, unsere Geschmacks­vor­stel­lungen, er erschüt­tert unsere Abge­stumpft­heit – eine leiden­schaft­liche blutige Achter­bahn­fahrt.

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Der Japaner Sono Sion hat sich vor Jahren mit Love Exposure ein für alle Mal in unsere Herzen einge­schrieben. Ein paar Ähnlich­keiten zwischen diesem neuen und jenem gibt es. Why don’t you play in hell? ist rasend schnell, ungemein souverän, aufwüh­lend, blut­durstig, wie seit Quentin Taran­tinos Kill Bill – Volume 1, also seit zehn Jahren, kein ernst­zu­neh­mender Film mehr. Dieser Autoren­film im Gewand eines B-Movie ist ein Verschnitt aus Yakuza- und Film-im-Film-Film, Liebes­drama und Pop-Parodie. er nimmt sich nicht ernst, und macht gerade dadurch aus diesem Spiel mit hete­ro­genen Genre­ele­menten eine Tugend.

Sion lässt keinen Witz und keine Anspie­lung aus, wenn man hier eine Kamera sieht, ist sie mit einer Maschi­nen­pis­tole zusam­men­ge­schlossen, die Rede vom »Hand hold shot« hat so eine neue Bedeutung. Beethoven spielt mal wieder eine Rolle, diesmal seine 9. Symphonie, ansonsten ist dies nicht zuletzt ein gespielter Film im Film-Witz mit tieferer Bedeutung. Denn wenn eine Haupt­figur, ein Regisseur, sagt »We are fantasits – realism will loose«, dann ist das natürlich nicht nur ein Witz, sondern film­po­li­ti­sches Statement.
Ähnlich verhält es sich mit Sions Anspie­lungen auf die engen Verbin­dungen von Film­in­dus­trie uns orga­ni­siertem Verbre­chen, die es viel­leicht auch außerhalb von Japan gibt.
Aber die Haupt­tu­gend dieses Films liegt darin, dass er nichts allzuernst meint. Sion feiert 35mm-Film und er feiert das Kino als reinen Spaß, als niederes Vergnügen, als »most dangerous game.«
Und alles ist natürlich auch eine lustige, nicht bittere, sondern selbst­iro­ni­sche Hommage an 35mm. Ein altes Kino kommt vor, Film­rollen, und Jugend­liche, die gar nicht mehr wissen, was 35mm ist.

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Kino ist zeigen, nicht labern, ist erschüt­tern und zum Schweigen bringen, nicht nachher drüber reden. Wir sind ja nicht in einer protes­tan­ti­schen Jungen Gemeinde, sondern im Kino.
»This should have been opening.« sagt auch Violeta aus Argen­ti­nien.

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Vor einigen Monaten erreichte uns eine Email-Mittei­lung und ich war mir gleich nicht ganz sicher, ob ihre Über­schrift nun eine Drohung oder eine Verheißung bezeich­nete: »Alles wird sichtbar«.
Inzwi­schen, in unseren Post-Snowden-Zeiten, ist klar, das Sicht­bar­keit, das Ende alles Verges­sens und Geheim­nisses, dass die univer­sale, jede Nische ausleuch­tende Trans­pa­renz und die univer­sale Sicht­bar­keit nicht unschuldig positiv verstanden werden können. Und womöglich liegt der zwischen­zeit­liche Nieder­gang der Pira­ten­partei ja nicht zuletzt damit zusammen, dass sie den Wider­spruch nie schlüssig beant­worten konnten, dass sie einer­seits berech­tigtes Miss­trauen gegen das wütende Daten­sam­meln, gegen ACTA, Volks­zäh­lungen, staat­liche Kontroll­ver­fahren und Ähnliches hegen, sich ande­rer­seits als Trans­pa­renz­fe­ti­schisten aufführen.

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Der Berliner Regisseur Philip Gröning, von dem die erwähnte Mittei­lung stammte, meinte aller­dings etwas anderes, Konkre­teres: »Ich freue mich wahn­sinnig«, hieß es da, »dass auf der Inter­net­platt­form www.allesfilm.net jetzt endlich fast alle Filme von mir online abrufbar sind. Neben den seit Jahren überhaupt nicht mehr verfüg­baren Filmen Terro­risten!, Sommer und L’amour, l’argent, l’amour sind jetzt erstmalig auch der aller­erste Film Vom Trocken­schwimmer, das expe­ri­men­telle Amok­lauf­werk Stacho­viak! sowie die Doku­men­ta­tion Opfer/Zeugen sichtbar. Filme müssen ja sichtbar sein! Sonst sind die einfach weg!
Die Online-Veröf­fent­li­chung dieser lange lange nicht sicht­baren Filme war mir ein lang gesetztes Ziel – es freut mich insbe­son­dere, dass dies nun mit einem so groß­ar­tigen Partner umgesetzt werden konnte. Der deutsche Film hat eine lange und große Tradition. Die auch zum Großteil unsichtbar war! Alleskino.de hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese zu doku­men­tieren und zu bewahren und es so zu ermög­li­chen das deutsche Filmerbe in all seinen Facetten kennen­zu­lernen. Hierfür bietet alleskino.de neben dem Stream selbst, auch umfang­rei­ches Zusatz­ma­te­rial und Hinter­grund­in­for­ma­tionen an, die die Filme in ihren film­his­to­ri­schen Kontext einordnen. Damit bietet alleskino.de dem deutschen Film nicht nur eine Plattform, sondern eine Heimat und eine Identität.
Ich freue mich, ein Teil davon zu sein.«

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Dieser Text erfordert eigent­lich eine längere, und viel diffe­ren­zier­tere Antwort. Zunächst einmal freue ich mich über die Freude Grönings, den ich schon eine Weile kenne und als Mensch wie als Filme­ma­cher sehr schätze. Spontan bin ich trotzdem sehr skeptisch. Das Bekennt­nis­hafte des Tonfalls liegt mir nicht, ein Hauch von Sekten­ein­tritt schwingt da für mich mit.

Denn »sichtbar« im grund­sätz­li­chen Sinn waren die Filme natürlich einer­seits zumindest zum Teil auch zuvor, sofern ein Kino­be­treiber nämlich die Filme Grönings zeigen wollte. »Sichtbar« waren sie zum Teil auch auf DVD bzw. VHS, eine amazon-Recherche Ende August ergibt nämlich, dass man L’amour, l’argent, l’amour auf Deutsch und Englisch als DVD erwerben kann, Terro­risten! und Sommer sind als VHS erhält­lich.

Ande­rer­seits sind sie auch jetzt nicht »sichtbar«, denn »sichtbar« sind sie ja nur digital, nicht auf Film. Und nur im Computer oder einem Fernseher, nicht im Kino, für das sie doch gemacht sind. Ich glaube, dass hier ein Filme­ma­cher das bejubelt, dem er gerade selbst zum Opfer fällt, dem Absterben des Kinos durch dessen Digi­ta­li­sie­rung.
»Filme müssen sichtbar sein. Sonst sind die einfach weg!« – so muss man das als Filme­ma­cher natürlich sehen. Ande­rer­seits ist das doch keine befrie­di­gende Lösung. Mag ja unauf­haltsam sein. Mag ja sein, dass Stream-Platt­formen wie allesfilm die Zukunft sind. Ich möchte aber auch gern mal wissen, wie viele Leute bisher jetzt Grönings Filme angeguckt haben.

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»Friß oder stirb!« – das ist viel­leicht gar nicht die Alter­na­tive. Sondern diese ist viel­leicht eher die Frage, ob man Kaviar frisst, oder Knäcke­brot.

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Im Wett­be­werb begegnet das Publikum manch allzu gutem Bekannten. Fast möchte man glauben, als habe Amos Gitai, der schon acht Filme in Venedig präsen­tierte, ein Abon­ne­ment auf die Wett­be­werbs­teil­nahme. Und als er gerade mal keinen Film fertig hatte, war Gitai hier in der Jury.

Wir möchten wirklich einmal wissen, wie es nun kommt, dass ausge­rechnet Gitai, der bisher, sagen wir es doch mal offen, noch keinen einzigen guten Film gemacht hat, als »der« israe­li­sche Film-Groß­meister gilt, obwohl es so viele hervor­ra­gende und viel bessere Filme aus Israel gibt. Wie es kommt, dass er immer mit seinen Filmen in A-Festivals vertreten ist, obwohl ich nicht wenige Leute kenne, die seit Jahren keinen Gitai-Film – und das sind ja nicht gerade wenig Filme – bis zu Ende angeguckt haben. Wie es kommt, dass der Mann ausge­rechnet einen Bresson-Preis umgehängt bekommt, ohne dass sich die Erde auftut, und irgendwer darin verschwindet.
Der Mann muss einfach verdammt gut vernetzt sein, mit »den richtigen« Leuten, oder er kennt die Leichen, die sie im Keller haben. Und wer hätte keine?

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Bei seinem neuen Film Ana Arabia scheint Gitai sich zunächst einmal eine formale Heraus­for­de­rung gestellt zu haben: Denn der Film besteht aus einer einzigen, 84-minütigen Plan­se­quenz, einer Kame­ra­ein­stel­lung, die durch keinen einzigen Schnitt unter­bro­chen wurde. Das pure Leben, unver­fälscht. Behauptet der Film. Das sieht hässlich aus, Digi­tal­bilder, aus dem Auslands­journal. Der Film ist gleich­wohl fiktional und insze­niert: Im Zentrum steht Yael, eine junge israe­li­sche Jour­na­listin, die eine Enklave zwischen Jaffa und Bat Yam besucht. Sie begegnet den Menschen und ihren indi­vi­du­ellen Hoffnung und Enttäu­schungen, und erkundet die Lebens­welt dieses Ortes jenseits aller bekannten Klischees. Zugleich entdeckt sie auch einen entle­genen Ort, an dem Israelis und Paläs­ti­nenser die fragile Möglich­keit einer Koexis­tenz leben – »eine univer­sale Metapher«, so Gitai über seinen Film: »Ich habe solche langen Einstel­lungen schon immer gern dazu genutzt, um Fragmente und Wider­sprüche mitein­ander zu verbinden. Das ist natürlich auch eine Art künst­le­ri­sches Statement, das die Tatsache kommen­tiert, dass die Schick­sale von Juden und Arabern in dieser Gegend nicht geteilt sind, nicht zerschnitten. Sie sind vielmehr verwoben und müssen Wege finden, mitein­ander auszu­kommen, und sich zu stimu­lieren, anstatt Konflikte anein­an­der­zu­reihen.«

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Soweit die Theorie. In der Praxis ist es entsetz­lich lang­weilig und hat nichts zu sagen, das über Bana­li­täten und Erwart­bares hinaus­ginge. Die Schau­spie­lerin, die Yael spielt, ist sehr hübsch und sehr jung, und die Jour­na­listin nimmt man diesem Model-Tier keine 30 Sekunden ab. Sie lächelt und macht große (immerhin schöne) Augen zu den Dingen, die ihr erzählt werden, und damit man ihr auch die Repor­terin abnimmt, kritzelt sie alle paar Minuten mit bedeut­samen Bewe­gungen etwas in ein Notizbuch.
Auch sonst ist der Film Schü­ler­theater.

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Der Nahost­kon­flikt steht auch im Zentrum von Bethlehem, dem zweiten israe­li­schen Beitrag, der in der Sektion »Venice Days« Premiere hat. Yuval Adlers Debütfilm erzählt von Sanfur, einem Paläs­ti­nenser, der aus einer Mili­tanten-Familie stammt, heimlich aber für den israe­li­schen Geheim­dienst arbeitet. Sein »Mossad«-Führungs­of­fi­zier Razi ist über die Jahre zu einem Ersatz­vater geworden. Nun aber ist Razi hinter Sanfurs älterem Bruder her, und will ihn »tot oder lebendig« zur Strecke bringen. Adler erzählt von den heftigen Loya­li­täts- und Iden­ti­täts­kon­flikten, den sowohl Sanfur wie Razi ausge­setzt sind – auch hier geht es wie bei Gitai also um Koexis­tenzen und innere Gren­zü­ber­schrei­tung. Für seinen Film hat der junge Regisseur, der in Tel Aviv und New York studierte, zahl­reiche Geheim­dienst­mit­ar­beiter inter­viewt – »das Geheimnis des Rekru­tie­rens infor­meller Mitar­beiter« erzählt er, »liegt darin, eine geradezu intime Beziehung zum Infor­manten zu entwi­ckeln,«

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Harte Konflikte sind auch das Thema von Noaz Deshes White Shadows in der Reihe »Settemana della Critica«. Deshe, ein Israeli, der zwischen Berlin und New York pendelt, und dessen Film in Deutsch­land produ­ziert wurde, hat im ostafri­ka­ni­schen Tansania gedreht: Mit größ­ten­teils Laien­dar­stel­lern erzählt er die Geschichte einer Gruppe von Albinos. Sie sind nicht nur Opfer von Ausgren­zung und Rassismus unter ihren schwarzen Lands­leuten, in den letzten Jahren ist zunehmend auch der alte Aber­glaube an die »heilende« »magische« Kraft ihrer Körper­teile zu einer regel­rechten Menschen­jagd eskaliert – befeuert von Zauberern und Schamanen, die vom Handel mit teuer bezahlten Albi­no­glie­dern profi­tieren. Über 200 Albinos wurden allein zwischen 2008 und 2010 ermordet. »Albinos sterben nicht, sie verschwinden einfach« heißt es in dem Film, der sich dem jungen Alias auf die Fernen heftet, dessen Familie Opfer eines Massakers wurde und der ein Afrika jenseits aller idyl­li­schen Bilder zeigt – einen düsteren Kontinent aus alltäg­li­cher Gewalt und unge­meiner Barbarei, aus abstoßender Primi­ti­vität. Auch dieses Afri­ka­bild hat aber natürlich eine lange Tradition.

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Milena aus Uruguay spricht mir aus meinem bösen Herzen, als sie genau das ausspricht, was ich mich nicht zu sagen getraut habe, was aber mit mir viele denken: »They are so ugly«. Sie meint die Albinos. »Isn’t that racist?« – »But they are ugly!« Sie hat recht. Natürlich trifft diese Leute und davon handelt der Film, doppelte Ausgren­zung: Als Schwarze und als Albinos. Man sollte darüber hinweg­sehen. Aber Kino als visuelles Medium lehrt uns unter anderem auch, dass man das nicht kann, dass sich Bilder und Sinnes­ein­drücke ins Hirn hinein­fressen. Und White Shadows wird mit dem Problem zu kämpfen haben, dass er Dinge und Menschen zeigt, die keiner sehen will.

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Wiederum in den »Venice Days« läuft Venezia salva, die zweite Regie-Arbeit von Serena Nono, der jüngsten Tochter des welt­berühmten Kompo­nisten Luigi Nono, die bisher vor allem als Malerin und bildende Künst­lerin hervor­trat, und auch schon auf der Kunst­bi­en­nale ausge­stellt wurde. Venezia Salva ist die freie Adapt­a­tion eines Thea­ter­s­tücks von Simone Weil – ein Mantel- und Degen­s­tück, das im Venedig des Jahres 1618 ange­sie­delt ist, und von einer Verschwörung erzählt: Der spanische Botschafter versuchte, die über 1000 Jahre alte Republik zu stürzen. Hinter dieser mit eroti­schen Verwick­lungen aufge­peppten aktuellen poli­ti­schen Rahmen­ge­schichte über Demo­kratie und ihre Wider­sa­cher, über Macht und Gewalt, findet Nono auch Philo­so­phi­sches: »Ich wollte die Essenz von Simone Weils Ideen bewahren, die eine geradezu grie­chi­sche Tragödie erzählt: In der geht es darum, dass Wahrheit zum Unglück führt, aber auch dass in der Schönheit Wahrheit liegt.«

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Das New Yorker Bruder­paar Benny und Josh Safdie präsen­tiert mit Lenny Crooke einen Doku­men­tar­film über den gleich­na­migen Basket­ball-Spieler, der vor zwölf Jahren als High-School-Talent als nächster Superstar gehyped wurde, in den Jahren danach aber alle Hoff­nungen enttäuschte – Lenny hat nicht eine Minute in der NBA gespielt. Was lief schief? Geld, Gier und falsche Freunde – so kann man es zusam­men­fassen, Drogen kamen hinzu. Ein letztlich recht konven­tio­neller, aber nicht schlechter Film. Unter der Hand wird den Safdies ihre Geschichte zu einer Unter­su­chung des »American Dream« in der Post­mo­derne. Nur am Ende wird es mora­li­sie­rend. Denn der fett und träge gewordene, äußerlich wie charak­ter­lich allen Klischees über die schwarze Unter­klasse entspre­chende Lenny tingelt jetzt durch die Schulen und erklärt den Teenies: Leute, macht nicht die gleichen Fehler, wie ich. Nun gut, dann machen sie eben halt andere