Österreich 2014 · 98 min. · FSK: ab 0 Regie: Johannes Holzhausen Drehbuch: Johannes Holzhausen, Constantin Wulff Kamera: Joerg Burger, Attila Boa Schnitt: Dieter Pichler |
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Eine Art von Hyperrealismus |
Restauratoren arbeiten sich millimeterweise an einem meterlangen Bild ab, kämpfen gegen chemische Prozesse und profanen Insektenfrass. Nur eine von vielen Geschichten aus dem Alltag des Kunsthistorischen Museums in Wien – unter Eingeweihten kurz KHM genannt. Im KHM gibt es natürlich Meisterwerke zu sehen, von Jan Van Eyk über Caravaggio und Tizian bis hin zu den großen Niederländern – es ist eine Schatzkammer und ein Tempel der Kunst. Und doch ist das KHM auch ein ganz profaner Betrieb.
Hier gibt es Menschen, die die Kopiergeräte warten, und andere, die einen halben Tag lang Mottenfallen in einem riesigen Gebäude aufstellen, um ein paar Wochen später dann den Schädlingsbefall in allen Einzelheiten akribisch zu katalogisieren – das sind die skurrilen Augenblicke dieses Films, Augenblicke voller Humor. Es gibt auch Momente reiner Poesie. Etwa wenn die Kamera einen der Menschen, die im KHM arbeiten, verfolgt: Mit einem Tretroller legt er die langen Wege durch die Säle und die endlosen Gänge des Museums zurück. Die Kamera gleitet ihm nach, fließt wunderbar losgelöst dahin, schwebt quasi durch die Räume. Dann stoppt sie abrupt – vor einem Kopiergerät. Sinnlicher kann man den Spagat zwischen Kultur und Bürokratie nicht visualisieren.
In seinem Dokumentarfilm Das große Museum zeigt der Österreicher Johannes Holzhausen solch ironisch gebrochene Momente, und wirft einen genauen, aber immer sympathisierenden Blick hinter die Kulissen dieses einmaligen Betriebes. Er stellt den Zuschauern liebenswert gezeichnete Protagonisten vor, Menschen, die mit Herzblut die große Kunst bewahren, ihr ihr Leben verschrieben haben. Und daneben andere, die, wie einer von ihnen ganz offen sagt, genauso gut auch Zahnpasta verkaufen könnten.
Wie der Entdecker eines unbekannten Kontinents bewegt sich der Filmemacher in dem Gebäude, folgt seinen labyrinthischen Gängen. Er mischt Alltägliches und Besonderes, und stellt den Mikrokosmos hinter den Kulissen, das Innenleben des Museums jenseits seiner Besucher dar, das bei aller scheinbaren Beschaulichkeit niemals zur Ruhe kommt. So gelingt dem Regisseur ein informativer, witziger, intelligenter Blick auf die Institution des Museums in der modernen Welt.
Die überraschendste Beobachtung: Die Unruhe. Das Museum ist hier nicht nur ein Ordnungssystem, sondern ein lebendiger Körper, der atmet und schwitzt. Auch die Kunstwerke, so der Eindruck, stehen niemals still: Ständig werden Bilder abgehängt, aufgehängt, umgehängt, geputzt, restauriert, katalogisiert, ausgeliehen, Ersatz aus den Magazinen geholt...
Vorgestellt werden auch die Personen die im Museum wirken und die es umgeben: Kuratoren, Handwerker Sammler, Marketing-Leute bis zu den Kritikern und den Fans.
Ästhetisch steht Das große Museum erkennbar in der Tradition des US-amerikanischen Dokumentarfilmers Frederick Wiseman und seiner Institutionen-Porträts: Über einen langen Zeitraum – in diesem Fall zwei Jahre – wurde gedreht. Es gibt weder Interviews, noch Filmmusik, die Emotionen künstlich kreiert, und auch keinen Kommentar, der dem Zuschauer erklärt, wie er das finden soll, was er da sieht.
Der Film ist zudem repräsentativ für einen neuen Trend im internationalen Dokumentarfilm – die Hinwendung zu den Rezeptionsbedingungen des Kunstbetriebs. Schon 2011 gab es Jem Cohens Film Museum Hours, gleichfalls über das KHM. In diesem Jahr folgte zunächst Wim Wenders' Weltreise zu den Kathedralen der Kultur, dann Art’s Home is my Kassel über die Kasseler Documenta, und dann gleich zwei Filme über die Filmfestspiele von Cannes: Seduced and Abandoned und Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste.
Dass der Kunstbetrieb plötzlich sich selbst auf diese Weise reflektiert, entsteht wohl durch die zunehmende Einsicht um die Bedeutung der Institutionen, ihr Eigenleben und durch das Wissen um die neuen Gefahren, die ihnen drohen in Zeiten der Sparzwänge, der Indienstnahme von Kultur als Standortfaktor und der Reduktion von Kultur auf Events.
Das KHM erscheint hier als eine Art Metapher für den Kulturbetrieb als Ganzen. All diese Filme eint, dass sie zeigen, dass dieses betriebsame Umfeld der Kultur selbst oft Schaden zufügt, dass man unter dem Kulturgerede und -Geschachere und den Eitelkeiten der Macher und Beobachter, die Kunst selbst nicht vergessen darf.
Holzhausens Film ist ironisch und klug, aber im richtigen Moment scheut er auch das Pathos nicht. Denn ein Museum wie dieses ist morbid. Es ist aber auch monumental, großartig, einfach schön.
Durch Mark und Bein geht dieser erste Schlag. Unerbittlich rammt sich die Hacke in den Jahrhunderte alten Parkettboden, es folgt ein lästerliches Knacken. Neue Zeiten brechen an in der Kunstkammer. Und die tun mitunter auch weh.
Ein Museum vor der hauseigenen Zeitwende, die vor allem die akademische und konservatorische Arbeit, den Bürokratie- und Dienstalltag sowie das Marketing betrifft: Zwei Jahre hat Filmemacher Johannes Holzhausen den Betrieb hinter den Kulissen des Kunsthistorischen Museums Wien und seine Macher begleitet und chronologisch in die 94 Minuten von Das große Museum gefiltert. Institutionsbegleitende Dokumentarfilme begeben sich nicht selten in Gefahr, den gebotenen Abstand zum Porträtierten zu übersehen, zum »A-dabei in Bildern« zu werden und somit in der Sackgasse des besseren Werbefilms zu landen. Nicht so dieser: Holzhausen verzichtet auf Kommentare aus dem Off, auf Interviews sowie auf Hintergrundmusik, sodass sich die Wirkung ausschließlich aus dem richtigen Motiv im richtigen Moment ergibt. Das setzt vorausschauendes Drehen voraus, das unwiederbringliche Augenblicke als solche sofort erkennt und mit der ausdrucksstärksten Methode einfängt.
So entsteht, auf der Subjekt-Objekt Ebene, immer eine Art Hyperrealismus, an dem man sich nicht sattsehen kann: Wenn die Kamera von Joerg Burger und Attila Boa abzuwarten scheint, was ihr ins Bild läuft, als im Marstall-Bereich die Mottenfallen abgesucht werden, oder wenn sie den präparierten Eisbär im Aufzug von vier Mitarbeiterinnen eskortiert zeigt, ergibt sich ein neuer, oft humorvoller Kontext, der die kostbaren Exponate als schutzbedürftige Partner ihrer hingebungsvollen Bewahrer ausweist, an deren Kommunikation der Zuschauer exklusiv und von anderen Besuchern ungestört teilhaben darf. Wo, im zwischenmenschlichen Bereich, Gespräche dokumentiert werden, bietet der Film eine unsichtbar scheinende, dynamische Bühne, auf der konstant das Arbeitslicht eingeschaltet bleibt, die ihren realen Akteuren Raum lässt für Begeisterung, Kontroversen und Enttäuschungen, ohne Verrat an ihnen zu begehen.
»Wenn die Kuratoren kein Geld haben, ihre Bestände zu erfassen und im Netz zu veröffentlichen, wenn sie nichts restaurieren lassen können und nicht mehr das kaufen dürfen, was frühere Generationen zu Unrecht übersehen haben – dann nützt eine noch so lange Besucherschlange nichts, weil die Menschen sonst irgendwann das Vertrauen in die Urteilsfähigkeit der Institutionen verlieren«, warnt Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung vom 4./5. Oktober 2014. Auch das Kunsthistorische Museum Wien ist eine solche Einrichtung, die, wie unzählige andere Weltmuseen, hart um jenen Vertrauensbonus kämpft. Holzhausen zeigt es aber auch als quicklebendigen Organismus im spannenden Selbstfindungsprozess, der das kunsthistorische Erbe der Habsburger mit zeitgemäßer Denke in die Zukunft führen will und doch gelegentlich mit den Fußangeln einer rückwärtsgewandten Haltung zu kämpfen hat, die gleichzeitig scheinbar unverzichtbarer Teil seiner marktrelevanten Existenzgrundlage ist. Oder warum sonst testete der Namenszusatz „Kaiserliche“ für die wiedereröffnete Schatzkammer des Kunsthistorischen Museums bei Tourismusbefragungen so viel besser als ohne?