Deutschland/L/F 2012 · 113 min. · FSK: ab 6 Regie: Margarethe von Trotta Drehbuch: Pam Katz, Margarethe von Trotta Kamera: Caroline Champetier Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Klaus Dieter Pohl u.a. |
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Auf dem Weg zum Prozess |
In diesen letzten Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten – das Fazit von der furchtbaren »Banalität des Bösen«, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.
(Hannah Arendt in: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München 1986, S. 371.)
Es ist nicht Margarethe von Trottas erster biografischer Film über eine Frau, die die klassischen Gender-Stereotypen hinter sich lässt. Aber sind in Rosa Luxemburg und Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen doch immer wieder äußere, d.h. politische bzw. religiöse Fakten handlungsmotivierend, versucht Trotta in ihrer neuen Filmbiografie Hannah Arendt etwas völlig neues – nämlich diskursives Denken als Handlungsmotor und spannungstreibendes Element zu integrieren. Das mag sich theoretisch, schwierig und – langweilig lesen. Doch Trotta gelingt im Gegenteil etwas äußerst Ungewöhnliches: Sie informiert eloquent über die deutsche Nachkriegsdiaspora in den USA, einen historischen und juristischen Präzedenzfall, führt in die Arendtsche politische Theorie ein – und erzeugt damit tatsächlich Spannung, berührt und schafft noch etwas ganz anderes. Sie zeigt, dass Denken sexy sein kann.
Doch von Anfang an. Als Hannah Arendt 1961 für den »New Yorker« nach Jerusalem geht, um über den Prozess gegen Adolf Eichmann zu berichten, ist sie bereits eine etablierte Größe. Ihre Studien zum Totalitarismus haben ihr weite Anerkennung über die üblichen Fachkreise hinaus beschert. Anfang der 1950er erhält sie nicht nur die amerikanische Staatsbürgerschaft und beendet damit die durch das Dritte Reich auferlegten und zermürbenden Jahre der Staatenlosigkeit, sondern bekommt auch eine befristete Professur am Brooklyn College in New York zugesprochen. Als Arendt von Eichmanns Entführung durch den israelischen Geheimdienst und dem kommenden Prozess erfährt, ist sie intellektuell derartig elektrisiert, dass sie dem »New Yorker« ungewöhnlich impulsiv anbietet, davon zu berichten.
Trotta modelliert in diesem einführenden Teil vor allem Arendts Umfeld aus deutschen Exilanten, amerikanischen Akademikern und Freunden, ihren sogenannten »Tribe« und skizziert das Normale eines alles andere als normalen Alltags: ihre Lesungen, ihre leidenschaftliche Freundschaft zur Autorin Mary McCarthy (Janet McTeer), ihr ambivalentes Freundschaftsverhältnis zu Hans Jonas (Ulrich Noethen), die zärtliche Kollegialität zu ihrer Freundin und Assistentin Lotte Köhler (Julia Jentsch) und ihre tiefe, sexuell offene Beziehung zu ihrem Ehemann Heinrich Blücher (Axel Milberg) – Freundschaften als lustvolles Experimentierfeld der eigenen komplexen Neigungen. Und Barbara Sukowa gelingt es souverän, in diesen einführenden – manchmal etwas zu didaktischen – Szenen, wie auch dann im intensiven Teil des Films, in welchem es um den Prozess geht, Arendts facettenreiches Persönlichkeitsprofil zum Schillern zu bringen.
Die historischen Filmmitschnitte des Prozesses, die in und zwischen die gespielten Gerichtsszenen montiert sind, überraschen dabei und wirken zuerst befremdlich isoliert, doch meistert Trotta diesen Spagat, indem sie Sukowa zu einem faszinierenden schauspielerischen Dialog mit dem historischen Material animiert, der zuerst fesselt und dann zutiefst berührt. Denn erst aus diesem Blickwinkel erschließt sich der Skandal, den die zwei Jahre später erschienenen Texte im »New Yorker« auslösten, der nicht nur um die inzwischen fast schon sprichwörtliche »Banalität des Bösen« kulminierte, sondern auch um die von Arendt in den Raum gestellte Mitschuld der Judenräte. Dass Arendt die Massenmord-Thematik zudem mit Ironie versuchte zu bändigen und u.a. anmerkte, dass das Grauen manchmal nur mit einem Lachen zu bewältigen sei, mochten bzw. konnten die wenigsten Leser und noch weniger die Betroffenen nachvollziehen.
Der daraus resultierende Bruch von Freundschaften, die Angriffe der Medien, Leser, Holocoust-Betroffenen und aus dem eigenen universitären Umfeld nehmen den letzten Teil von Trottas Biopic ein. Auch hier gelingt es ihr, aus historisch scheinbar staubtrockenem Material eine völlig überwältigende Dramatik zu erzeugen. Allein den über den Film verstreuten filmischen »Poesiealbumeinträgen« (Klaus Pohl) zum Thema Heidegger und seiner langjährigen Beziehung zu Arendt, kann, weil zu erratisch angelegt, nur mit Hintergrundwissen gefolgt werden. Doch das ist schnell vergessen. In dem fulminanten Ende lässt Sukowa Hannah Arendt mit einer grandiosen Verteidigungsrede fast gespenstisch wiederauferstehen – und beschwört dabei nicht nur die brillante, große Theoretikerin und Rhetorikerin in fast erotischer Intensität, sondern auch einen Menschen mit der nur allzu selten verteilten Gabe von schlichtweg atemberaubender Zivilcourage.
Kann das Böse banal sein – wenn es um Genozid geht? Diese provozierende und verstörende Frage bildet 'Herz und Hirn' des neuen Films Margarethe von Trottas. Im Jahr 1961 ging die jüdische Philosophin Hannah Arendt, die nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland in New York eine neue Heimat gefunden hatte, im Auftrag des legendären Magazins The New Yorker nach Jerusalem, um dem Prozess gegen Adolf Eichmann, einen der Chef-Organisatoren der 'Endlösung', beizuwohnen. Heraus kam eine Artikelreihe (1963 als Buch erschienen), die eine neue Dimension der Ausschwitz-Debatte einläutete.
Nach Die bleierne Zeit (über die Schwestern Christiane und Gudrun Ensslin), Rosa Luxemburg und Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen setzt von Trotta ein weiteres Mal auf das bewährte Sujet 'Große Frauen der Geschichte'. Diesmal funktioniert es, entgeht die Regisseurin der Gefahr, einen allzu eindimensionalen Heldinnenmythos (Vision) zu basteln, was nicht zuletzt der überzeugenden Leistung Barbara Sukowas zu verdanken ist.
Die Entscheidung, nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben der Philosophin zu zeigen, nämlich die Zeit des Eichmann-Prozesses und der ersten Rezeptionsphase der Artikelreihe, macht Sinn. Der Wert des Films liegt darin, dass Arendts These von der Banalität des Bösen – Eichmann als ein Mensch, der unfähig war, eigenständig zu denken, zwischen gut und böse im ethischen Sinne zu entscheiden – aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird: Aus der Perspektive einer unerbittlichen Denkerin, deren absolutes Primat »Verstehen!« heißt, einerseits und aus der Perspektive der jüdischen Opfer, die Empathie und Gerechtigkeit vor den Augen der Weltöffentlichkeit verlangen, andererseits. Die Tragik der Figur, so macht der Film deutlich, resultiert daraus, dass Arendt beides war und doch nicht sein konnte.
Dass der Film trotz des abstrakten Kerns zugleich unterhaltsam ist, liegt daran, dass der New Yorker Kreis um Arendt und Blücher ungeheuer lebendig und mitreißend gezeigt wird. Fast neidvoll sehen wir zu, wie die Intellektuellen der 60er Jahre sich rauchend und trinkend um Kopf und Kragen reden. Eine Intelligenz, die Theorie lebt – mit jedem nikotingetränkten Atemzug. Fast neidvoll werden wir auch Zeugen einer Ehe, die, so behauptet der Film, über kleinliches Misstrauen, Eifersucht und die Banalitäten eines langjährigen Beziehungsalltags absolut erhaben ist. Hier hätte man sich vielleicht doch ein paar Redundanzen sparen können. Spätestens nach 20 Filmminuten hat man verstanden, dass die seit über 20 Jahren andauernde Beziehung zwischen Hannah Arendt und dem »Womanizer« Heinrich Blücher (Zitat M. von Trotta) mit den üblichen Kategorien nicht zu messen ist. Und doch wird von Trotta nicht müde, uns dieses Ideal einer 'wahren Liebe' mit gleich bleibenden Bildern und Sätzen immer wieder vorzuführen. Das schmälert den Wert des Films jedoch nur unwesentlich – ein Film, der übrigens intelligenter ist als manche Äußerung der Regisseurin (mit Pamela Katz auch Drehbuch), etwa die, alles im Film sei wahr (nur habe die 'wahre' Arendt noch mehr geraucht).