»Es ist nicht schlimm, wenn ich am Rand stehe – Hauptsache ich fall' nicht runter« |
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Barbara Sukowa ist Hannah Arendt | ||
(Foto: NFP/Filmwelt) |
Margarethe von Trotta (geb.1942 in Berlin) ist eine der politisch engagiertesten deutschen Filmemacherinnen. Seit 1977 – Debüt mit Das zweite Erwachen der Christa Klages – hat sie mit Filmen wie Rosa Luxemburg, Rosenstraße, historische Frauenfiguren im Kampf gegen Widerstände und für Freiheit und Selbstbestimmung portraitiert. Am 18. Januar 2013 bekommt Trotta den Ehrenpreis des Bayerischen Filmpreises.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Als junge Frau haben Sie in New York gelebt – sind Sie als junge Frau Hannah Arendt noch persönlich begegnet, oder haben Sie sie erlebt bei öffentlichen Auftritten?
Margarethe von Trotta: Nee, das wär' schön gewesen – obwohl ich sogar die Möglichkeit gehabt hätte. Arendt ist 1975 gestorben, mein erster Aufenthalt in New York war 1971. Aber nein – sie ist mir nie begegnet. Dafür habe ich aber mit meiner Co-Autorin Pam Katz noch mehrere Personen aufgesucht, die Arendt persönlich kannten, und viele viele Fragen gestellt. Ihre erste große Biographin Elisabeth Young-Bruehl, die noch selber Studentin bei ihr war. Die ist leider vor zwei Jahren gestorben. Und dann noch ihre letzte Freundin, die auch als Figur im Film vorkommt, Lotte Köhler – die hat uns viel erzählt, über die hab' ich auch so Gossip gehört, zum Beispiel, dass der Heinrich Brücher ein Womanizer war und kaum war Hannah Arendt mal weg, erschien Charlotte Beradt in der Wohnung, oder er ging zu ihr. All solche Sachen, die man natürlich aus Briefen oder Biographien nicht so entnehmen kann, die aber für die Darstellung einer Person oder einer Zweierbeziehung dann doch wichtig sind. Allmählich hat sie Zutrauen zu uns gefasst. Das ist dann die Figur, die Julia Jentsch spielt.
artechock: Wann haben Sie Hannah Arendt überhaupt für sich als Thema entdeckt?
Von Trotta: Als ich die Rosenstraße vorbereitet habe, da habe ich die ganze jüdische Geschichte gelesen. Was mich damals interessiert hat, war noch nicht mal ihre These zur Banalität des Bösen, als das, was sie über Europa geschrieben hat – wie die einzelnen Länder sich verhalten haben ihren Juden gegenüber. Bulgarien zum Beispiel und Dänemark und Belgien haben ihre Juden nicht ausgeliefert. Das war das erste mal, dass ich etwas von ihr gelesen hatte. Nach Rosenstraße hat mir ein Freund dann gesagt: »Es wäre schön, wenn Du einen Film über Hannah Arendt machen würdest.« Worüber ich zunächst etwas erschrocken war, weil ich mir gar nicht vorstellen konnte: Wie kann man überhaupt so eine Denkerin und Philosophin... wie kann man das beschreiben? Aber wenn einem einmal so ein Gedanke ins Hirn gemeißelt wird, dann kommt man nicht so leicht davon los. Und dann bin ich so allmählich... habe ich mich ihr angenähert – aber das war kein Coup de Foudre, das war 'ne langsame Annäherung.
artechock: Ihre Hannah Arendt und ihre Freunde sprechen einen deutsch-englischen Mischmasch. Mir hat das sehr gut gefallen – mussten sie das durchkämpfen bei den Produzenten?
Von Trotta: Das fand ich ganz wichtig, um ihr Leben darzustellen – und es war ja nicht nur ihr Leben, sondern dass vieler Emigranten. Sprache erzählt viel: Die Fremdheit des Ausdrucks war ja das Leben der Emigranten. Die kamen rüber und konnten zwar Altgriechisch und Latein, und Arendt konnte auch gut Französisch – sie hatte immerhin von »33 bis ‘41 im französischen Exil gelebt, aber dann das Englische... Die kamen ja wirklich an, wie die Schülerein. Sie musste dann mit über 30 als Au-Pair-Mädchen Englisch lernen. Deswegen haben sie den Akzent nie wirklich verloren. Sie kennen ja sicher die Reden von Thomas Mann. Der hat ja einen Akzent- da zieht«s einem die Schuhe aus! Und Hannah Arendts Mann, wenn man den sich auf YouTube anguckt, dann hört man auch noch diesen Berliner Einschlag. Das war sehr komisch zum Teil. Die Barbara Sukowa hat das sehr gut hinbekommen – obwohl sie seit 20 Jahren in New York lebt und ein hervorragendes Englisch spricht. Sie musste sich das regelrecht aneignen. Und hat es abgeschwächt. Denn wenn sie so gesprochen hätte, wie Hannah Arendt – das wäre dann eine Karikatur geworden. Sie hat sich damit geholfen, dass sie bevor es losging, mit diesem Akzent drei Monate gesprochen hat. Ihre Familie und ihre Freunde sind regelrecht wahnsinnig geworden.
artechock: Was Sie da erzählen über das offene Liebesleben des Ehepaares Arendt-Blücher, das deuten Sie dezent an, auch die Liebesaffaire zwischen Hannah Arendt und Heidegger – das wird dezent dargestellt. Welche Bedeutung hat für sie das Private?
Von Trotta: Naja, zu Beginn sind sehr viele drauf angesprungen, weil sie dachten, wir machen die Liebesgeschichte zwischen Heidegger und ihr. Das hat uns nun gar nicht interessiert! Auch weil wir dachten: Das war nicht ihre größte Liebe – das war zwar eine große Liebe oder Leidenschaft, aber der Heinrich Blücher war ihr Mann! Das war ihre Heimat oder ihr Zuhause. Die waren 36 Jahre zusammen. Die sind zusammen aus Frankreich geflohen. Das war 'ne ganz andere, starke Verbindung als diese romantische Verbindung zu Heidegger. Warum ich den Heidegger begrenzt reingebracht habe, war, weil er heimliche König des Denkens war. Da sind sie alle als junge Leute hingeströmt. Er hat ihr tatsächlich das Denken beigebracht. Sie sagt ja am Schluss ihres Lebens: Das Denken kann einen retten vor falschen Entscheidungen oder auch vor den Katastrophen. Dazwischen ist aber Heidegger, den das nicht gerettet hat. Der in die NSDAP eingetreten ist, und nie wieder aus.
artechock: Nun hat Hannah Arendt auch viele verstört. sie galt als kalt und arrogant. Was war Hannah Arendt so ein Mensch?
Von Trotta: Sie war nicht kalt. Sie hat sich da – würde man heute sagen – nicht eingebracht. Sie hat ihren Schmerz nicht selber ausgestellt. Das hat man nicht verstanden, dass das für sie schamlos gewesen wäre. Es hat mir auch die Lotte Köhler bestätigt: Sie war natürlich total in Verzweiflung und Schmerz involviert. Aber sie fand es unwürdig, das dann so auszustellen. Sie ging ja auch als Reporterin nach Jerusalem. Sie sagte immer wieder »Ich war Reporterin, ich war Berichterstatterin.« Das hat man nicht verstanden. In der Debatte hat sie sich dann gewehrt, und da war sie dann oft kalt und da konnte sie rechthaberisch werden. Sie sagte: Ihr redet über ein Buch, dass nie geschrieben wurde. Sie hat dann gesagt: Das sind alles Dummköpfe und ich werde mich nicht mit Dummköpfen auseinandersetzen.
artechock: Sie hatte auch ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem eigenen Jüdisch-sein. Das steht aber bei Ihnen nicht im Zentrum. Was war dafür Ihre Motivation?
Von Trotta: Für mich war wichtig die Gegenüberstellung Eichmann und sie. ... Eichmann der Gedankenlose, wie sie ihn dann beschreibt, er ist nicht dumm, aber er ist gedankenlos, er bedient sich nicht der eigenen Gabe, denken zu können. Das gibt er einfach auf, das gibt er an eine Ideologie ab, an den Nationalsozialismus ab – und sie die denkt. Und dazwischen dann Heidegger, der auch denkt, aber sich verführen lässt. Das waren für mich die drei Figuren. Dass sie Jüdin ist, war für sie eine Selbstverständlichkeit. Deswegen war sie trotzdem kritisch. Sie kommt auch aus einem intellektuellen Kreis, wo man sich gegenseitig beschimpft und streitet, und trotzdem gut miteinander auskommt. Das war ein ganz bewegter Kreis, in dem sie sich befunden hat, die sich auch ganz schön angegriffen haben. Polemik gehörte einfach dazu.
artechock: Was war Hannah Arendts prägnantester Charakterzug?
Von Trotta: Sie muss wohl doch sehr warmherzig gewesen sein – genau im Gegensatz zu dem, was man so sagt: Sie hat dem Jaspers sofort Care-Pakete geschickt, sie hat dem Sohn ihrer Zugehfrau die Schule finanziert. Sie hat sich wirklich gekümmert. Sie war – wie die Lotte Köhler mir sagte – ein Genie der Freundschaft. Und dann dieses Bemühen zu verstehen. Ich will verstehen, sagte sie immer wieder. Das ist ja auch noch so ein Zitat, das ich liebe: »Denken ohne Geländer«.
artechock: Wenn ich mir die Frauenfiguren ihrer Filme so ansehe – Rosa Luxemburg, Gudrun Ensslin, Hannah Arendt – Hildegard von Bingen passt da jetzt nicht so gut...
Von Trotta: Die passt schon gut, denn die hat auch...
artechock: Nein, nein, Sie wissen nicht, was ich jetzt fragen will: Dann sind das Frauen, die stark angefeindet worden sind. Die sich rechtfertigen mussten, die von der Mehrheit der Gesellschaft ausgegrenzt worden sind. Sie haben diese Figuren benutzt, um etwas über deutsche Geschichte zu erzählen. Was steckt dahinter? Aufarbeitung von Geschichte? Und würden Sie diese früheren Filme genauso machen?
Von Trotta: Na das hoffe ich doch, dass ich nicht stehengeblieben bin, sondern dass sich was verändert hat! Der Brecht hat ja mal gesagt: »Die lobe ich mir, die ihre Meinungen ändern, um sie selbst zu bleiben.« Das finde ich auch 'ne Kraft: Zugeben zu können, dass man sich in gewissen Momenten vielleicht geirrt hat. Ich glaube heute nicht mehr, dass die [in Stammheim] umgebracht worden sind. Das war nicht meine eigene These, sondern die von der Schwester Christiane Ensslin, mit der ich ja zusammengearbeitet habe – die hat das damals geglaubt. Die glaubt das heute auch nicht mehr. Da hat sich natürlich durch immer mehr Wissen..., durch Öffnung von Archiven – wissen wir eben mehr. Bei der Rosa Luxemburg – wissen wir mehr, dass ihre Utopie nicht aufgegangen ist. Bei der Luxemburg fabd ich es immer so rührend, dass die mit so einem Weltvertrauen in die Zukunft geblickt hat. Die hat immer gesagt: »Die Geschichte weiß es besser, als wir«, »Die Geschichte wird uns unsere Utopie erfüllen.« Und der Bebel hat 1900 bei der Sylvesterfeier eine Rede gehalten, in der vorkommt: »Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Hoffnung. Das 20. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Erfüllung sein.« Das hat sie auch geglaubt. Noch zum Schluss, als sie im »Hotel Eden« ist, und die Mörder unten vor der Tür warten, fragt sie noch: »In welches Gefängnis werde ich gebracht?« Sie konnte es gar nicht voraus sehen. Dann habe ich Rosenstraße gemacht über die Frauen, die schon voll in den finsteren Zeiten leben. Und dann kommt Hannah Arendt und blickt zurück und sieht auf dieses Jahrhundert gar nicht mehr mit einem utopischen Blick oder einem hoffnungsvollen..., die sieht, was in der Zwischenzeit und mit dem Totalitarismus und dem Nationalsozialismus geschehen ist. Wie er die Menschen verdorben hat. Dieser ganze Kollaps der Moral im 20. Jahrhundert – das beschreibt sie ja. Das finde ich grandios an ihr, dass sie sagt: Es waren eben nicht nur die Täter, es waren auch die Opfer, die unter dieser Macht des Totalitarismus zusammengebrochen sind, moralisch zusammengebrochen sind. Trotzdem glaubt sie ja noch ans Denken. Sie hat auch irgendwo noch eine Utopie, und das ist die, dass man durch Denken Katastrophen verhindern kann.
artechock: Sie haben darauf verzichtet, Eichmann von einem Schauspieler spielen zu lassen...
Von Trotta: Ich kenne die Eichmann-Dokumentation Ein Spezialist von Eyal Sivan. Der hat mich unendlich beeindruckt. Dadurch dass ich den Film gesehen habe, war mir klar, dass ich den nie von einem Schauspieler spielen lassen würde. Ich habe mir sogar den Thomas Kretschmann als Eichmann angeschaut. Das hat der großartig gemacht, mit allen Zuckungen und so... Aber man sieht eben immer den Schauspieler. Ich wollte, indem ich den Eichmann selbst zeige, dass der Zuschauer die Möglichkeit hat, durch das Zusehen zur selben Einstellung zu kommen, zu der Hannah Arendt kam. Und das kann man nur anhand des echten Eichmann. Beim Schauspieler sagt man immer: Hm, großartig, das kann er gut. Aber man sieht immer den Schauspieler. Masn sieht immer auf die Brillanz des Spielenden.
artechock: Haben Sie dadurch, dass sie in Paris leben, vorher in Rom, vielleicht ähnlich wie Hannah Arendt einen anderen Blick auf Deutschland?
Von Trotta: Ich war ja sehr lange staatenlos – bis zu meiner ersten Ehe. Dieses heimatlose Gefühl, dass man fremd ust im eigenen Land – Ich bin in Berlin geboren und habe trotzdem den Fremdenpass gehabt – das hat mich doch sehr mir ihr verbunden. Auch dieses Gefühl, überall hingehen zu können. Sie hat ja an dem Land gehangen, an der Kultur und an der Sprache, an den Menschen natürlich nach ‘33 nicht mehr. Aber das stimmt schon, da ist irgendwo ein Widerspruch, dass ich mich nicht zugehörig fühle und dann trotzdem das verstehen will. Ich erinnere mich noch: Als ich in Paris studiert habe, Anfang der 60er, hat man mich immer als Deutsche gesehen. Ich sagte immer: »Ich bin doch staatenlos«, aber das hat niemanden interessiert: »Du bist Deutsche, antworte!« Aber ich konnte eigentlich nicht antworten, weil ich nicht genug wusste. So allmählich habe ich dann wissen wollen: Was ist da geschehen, und wie konnte es geschehen? All die Fragen, die sich ja unsere Generation gestellt und an die Eltern gerichtet hat: Wie haben die diesen Menschen auf den Leim gehen können? Das war ja der Impetus meiner Generation um 1968. Das hat sich jetzt ein bisschen verflüchtigt. Aber wenn man erlebt, wie jetzt die Neonazis wieder hochkommen, dann sieht man: Da ist ja noch eine Saat. Das ist erschreckend.
artechock: Hannah Arendt war der Prototyp einer politischen Intellektuellen. Was glauben Sie ist die öffentliche und politische Rolle von Intellektuellen?
Von Trotta: Die Rolle von Intellektuellen ist immer besonders hinzuschauen und auch besonders aufmerksam darüber zu befinden. Man kann natürlich nicht dauernd den Zeigefinger... und den Oberlehrer spielen, wie der Grass das manchmal macht. Aber trotzdem: das was man wahrnimmt, muss man auch beschreiben – und auch warnen! Gut, man kann natürlich sagen: Es hat ja eh keinen Sinn, wir haben es oft genug versucht, und es hat ja eh keinen Sinn, und es ist einfach total sinnlos. Aber da redet man ja schon wieder wie der Eichmann im Prozess: Ein Einzelner kann nichts tun. Also hat man auch nichts getan.
artechock: Wie kann sich eine Filmemacherin und das Kino in der heutigen Öffentlichkeit, die von medialer Ausdifferenzierung, und von der »Tyrannei der Intimität« wie Richard Sennett das nennt, von Talk Shows und sozialen Netzwerken, geprägt ist, behaupten?
Von Trotta: Ich weiß es nicht... Ich weiß ja gar nicht, ob man sich behaupten kann. Man versuchts. Ich versuch' ja auch mit meinen Themen und dem was ich beschreibe oder mache... Es ist nicht schlimm, wenn ich am Rand stehe. Hauptsache ich fall' nicht ganz runter. Also am Rand zu stehen, macht mir nichts aus. Und Talkshows lieb ich überhaupt nicht – da gehe ich nur hin, wenn ich einen Film habe, den ich dann verteidigen muss. Sonst gehe ich niemals in Talkshows. Ich find' auch nicht, dass man zu allem eine Meinung haben muss.