Harriet – Der Weg in die Freiheit

Harriet

USA 2019 · 126 min. · FSK: ab 12
Regie: Kasi Lemmons
Drehbuch: ,
Kamera: John Toll
Darsteller: Cynthia Erivo, Janelle Monáe, Leslie Odom jr., Joe Alwyn, Clarke Peters u.a.
Filmszene »Harriet - Der Weg in die Freiheit«
Ein wichtiger Blick in die Vergangenheit, ein beunruhigender in die Gegenwart
(Foto: Universal)

Im Land der stillen Angst

Kasi Lemmons Filmbiografie über Harriet Tubman ist ein weiterer wichtiger filmischer Mosaikstein zum Thema Rassismus gegenüber Schwarzen in den USA

„Slavery is the next thing to hell.“ – Harriet Tubman im Gespräch mit Benjamin Drew, St. Catha­rines, Ontario, Canada, 1855.

Die gegen­wär­tigen »BLM«-Aktionen in den USA, verstärkt durch den Tod George Floyds, halten unver­min­dert an, auch wenn sie von Präsident Trump zunehmend als linker Terror diffa­miert werden. Anders als bei ähnlichen Anlässen in der Vergan­gen­heit scheint dieses Mal eine Grenze über­schritten worden zu sein, die das ganze Ausmaß der ange­spannten Lage klarer und uner­bitt­li­cher als je zuvor aufzeigt. Beigetragen zu diesem Lage­be­richt des Grauens hat auch der ameri­ka­ni­sche Film der letzten Jahre. Eine fast alle Genres bedie­nende Welle von Filmen entstand, die afro-ameri­ka­ni­sche Selbst­er­mäch­ti­gung thema­ti­sieren und sich kritisch mit Geschichte und Gegenwart von Rassismus in Amerika ausein­an­der­setzen. Von Moonlight (2016) über I Am Not Your Negro (2016), Get Out (2017), Black Panther (2018), BlacK­kKlansman (2018), Green Book (2018), If Beale Street Could Talk (2018), den wichtigen Jugend­film The Hate U Give (2018), Serien wie THIS IS US und LITTLE FIRES EVERYWHERE oder jüngsten Sundance-Erfolgen wie Always In Season (2019) von Jacque­line Olive über eine bis in die Gegenwart reichende Lynch­justiz gegenüber Afro-Ameri­ka­nern und Rashid Johnsons Native Son (2019) ist so ziemlich alles dabei, was man sich nur wünschen kann, um die Komple­xität von histo­risch tradiertem Rassismus zu verstehen.

Einen weiteren wichtigen Mosa­ik­stein dieser filmi­schen Aufar­bei­tung der afro-ameri­ka­ni­sche Misere legt Kasi Lemmons in ihrem Histo­ri­en­film Harriet – Der Weg in die Freiheit. Lemmons, die auch das Drehbuch geschrieben hat und mit ihrer Film­bio­grafie über den afro-ameri­ka­ni­schen Radio­mo­de­rator Ralph Waldo Green, Talk to Me, bekannt wurde, porträ­tiert in Harriet die jungen Jahre der afro-ameri­ka­ni­sche Flucht­hel­ferin Harriet Tubman, die, selbst der Sklaverei entflohen, zur bekann­testen Flucht­hel­ferin der Under­ground Railroad wurde, die von etwa 1849 bis zum Ende des Sezes­si­ons­krieges entlau­fenen Sklaven half, aus den Südstaaten in die Nord­staaten der USA oder nach Kanada zu fliehen. Tubman zählt zu den bekann­testen Persön­lich­keiten der US-ameri­ka­ni­schen Geschichte, umso verwun­der­li­cher ist diese späte Verfil­mung, die aber immerhin als Schlag ins Gesicht der Trump-Regierung verstanden werden kann. Denn war unter Barack Obama noch geplant gewesen, den neuen 20-Dollar-Schein mit einem Porträt von Tubman zu versehen, stellte Trumps Finanz­mi­nister Steven Mnuchin die Ankün­di­gung seines Vorgän­gers im August 2017 zurück, nachdem Donald Trump das Vorhaben als »pure political correct­ness« verspottet hatte. Statt einer Banknote gibt es nun also immerhin eine Film­bio­grafie über Harriet Tubman.

Man kann sich nur wünschen, dass diese Biografie nicht nur Eingang in das filmische Curri­culum der zahl­rei­chen Harriet-Tubman-Schulen in den USA findet, sondern auch seinen Weg in jene Schulen des Landes, in denen White-Supremacy-Kulturgut dominiert. Denn Lemmons zeigt in ihrer Biografie ja nicht nur den span­nungs­ge­la­denen, mit immer wieder melo­dra­ma­ti­schen Momenten und als »Western« aufbe­rei­teten frühen Lebensweg von Tubman aus der Sklaverei und ihre frühen Aktionen entlang der Under­ground Railroad, sondern bietet auch einen Einblick in ein schon damals genau wie heute zerris­senes Amerika.

Denn so wie heute gab es auch damals weiße Akti­visten aus den unter­schied­lichsten Gesell­schafts­schichten, und genau wie heute gab es auch ihre Gegner. Anders als Quentin Tarantino in Django Unchained, im Kern eine ähnliche Geschiche, inter­es­siert Lemmons in ihrer histo­ri­schen Perspek­ti­vie­rung anders als Tarantino mit seinem Blax­plo­ita­tion-Ausflug und anderen Genre-Verweisen weniger die physische Gewalt der Sklaverei als die psychi­schen Verwer­fungen auf afro-ameri­ka­ni­scher Seite, vor allem die stille Angst vor möglicher Gewalt und Rache, eine Angst, die Lemmons in ruhigen, fast dialog­freien Sequenzen atem­be­rau­bend und ernüch­ternd zugleich fixiert.

Damit verzichtet Lemmons zwar auf die Möglich­keit, auch Tubmans wichtiges, späteres Leben als Akti­vistin zu porträ­tieren, dafür gelingt ihr umso mehr ein beun­ru­hi­gender Brücken­schlag in die Gegenwart afro-ameri­ka­ni­scher Realität. Denn das von Lemmons in inten­siven Bildern geschil­derte afro-ameri­ka­ni­sche Leben (und die Versuche daraus zu entfliehen) mit den (all-)täglichen Ängsten unter­scheidet sich zur Gegenwart nur durch Kleidung und tech­ni­sche Attribute. Die grund­le­gende Stimmung, die etwa die Stadt-Ethno­login Alice Goffman in ihrer so bahn­bre­chend wie umstrit­tenen Feld­studie »On the Run – Fugitive Life in an American City« (2014) für die »Nord­staaten«-Stadt Phil­adel­phia aufge­spürt hat, könnte so genau auch in Lemmons Film ausge­spro­chen werden: »A climate of fear and suspicion pervades everyday life, and many residents live with daily concern that the autho­ri­ties will seize them and take them away ... Still, neigh­bor­hood residents are carving out a meaningful life for them­selves betwixt and between the police stops and probation meetings.«