Deutschland 2008 · 99 min. · FSK: ab 12 Regie: Felix Moeller Drehbuch: Felix Moeller Kamera: Ludolph Weyer Schnitt: Anette Fleming |
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Veit Harlan, in den 60er Jahren |
Faschistische Ästhetik – da denkt man an den Olympiafilm von Leni Riefenstahl, an ihre Bilder der von Albert Speer choreographierten Reichsparteitage. Man denkt an Lichtdome und Wochenschauen, vielleicht denkt man auch an eher plumpe Propagandafilme wie Der Ewige Jude, oder Hitlerjunge Quex, die ihre Botschaft so deutlich verbreiten, dass sie selbst Überzeugte langweilen. Man denkt wohl auch an die Ufa-Stars der NS-Zeit, an Zahra Leander und Marika Rökk, an Gustav Gründgens, Heinz Rühmann und Hans Albers. Auch, aber viel zu wenig denkt man an Veit Harlan.
Wieviel Riefenstahl in unserer populären Kultur herumspuke, von der Werbung über Spielfilme und Musikclips (nicht nur von Rammstein) bis hin zu den Inszenierungen der Sport-Stadien hat vor Jahren einmal der Filmkritiker Georg Seeßlen gefragt. Vielleicht muss man einmal fragen, wieviel Harlan in ihr vertreten ist, in den Daily-Soaps und Schmonzetten über Adel, Förster und Landärzte, in den Fantasy-Blockbustern Hollywoods, in den, sich harmlos auf Fassbinder und Douglas Sirk beziehenden Autorenfilmen europäischer, sich als links verstehender Regisseure, überhaupt in der Renaissance des Melodramatischen im Kino. Harlan wirkt im Vergleich zu Riefenstahl harmlos. Aber sieht man die Filme genau an, ist jeder von ihnen schauriger, als alles von Riefenstahl zusammen.
»Ich habe soviel Liebe zu einem Künstler noch nie gesehen, wie die zu meinem Vater nach dem Krieg. Das kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Das war eine Seelenwelt in der sie sich trafen. Das ist einmalig, dass einer den Publikumsnerv so perfekt trifft.«
Thomas Harlan, der inzwischen 80-jährige Sohn von Veit Harlan, und selbst Filmemacher und Schriftsteller, bringt in Felix Moellers Film Harlan – Im Schatten von Jud Süß auf den
Punkt, was Harlans Werk bis heute faszinierend macht, und gerade darum auch abstoßend, was die Auseinandersetzung mit Harlans Schaffen erzwingt: Veit Harlan, geboren 1899, war nicht nur der künstlerisch Verantwortliche für zwei der übelsten Propagandafilme der Nazi-Zeit, für den antisemitischen Jud Süß (1939) und für das von Durchhaltemoral und Volkssturm-Ästhetik getränkte,
sich offen aufs US-Vorbild Vom Winde verweht beziehende Kriegsdrama Kolberg (1945). Er war auch der Regisseur von Melodramen wie Die goldene Stadt (1942), Immensee (1943) oder Opfergang (1944) die so schwerblütig wie verführerisch, so betäubend wie verklärend wirkten, und noch in den späten 70er Jahren des Faschismus unverdächtige deutsche Autorenfilmer wie Rainer Werner Fassbinder faszinierten. Gerade diese Verbindung von Propaganda und Eskapismus, von unbestreitbarer Filmkunst und platter Amoral machte
Harlan, mehr als die ungleich primitivere Leni Riefenstahl zu »Des Teufels Regisseur«.
Was bei der Betrachtung von Harlans Werk oft übersehen wird: Der Regisseur Veit Harlan war überhaupt erst ein Geschöpf des Dritten Reichs. Zuvor war der 1899 geborene Harlan Schauspieler, er hatte keinen einzigen Film gedreht. Gleich nach der Machtübernahme der der Nationalsozialisten 1933 bekannte sich Harlan in einem Interview mit dem Völkischen Beobachter zu deren Politik. Er biederte sich den Machthabern an, und legte so den Grundstein zu seiner Karriere als Regisseur. In den 13 Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft drehte er 20 Spielfilme, also nahezu zwei pro Jahr. Zu fast allen von ihnen schrieb er auch das Drehbuch, war also einer der ersten deutschen Autorenfilmer. Seit Die goldene Stadt war er auch der Produzent seiner Filme. »Diese Filme sind sehr hermetisch, und spiegeln von Anfang bis Ende in seinem Filmschaffen ein ganz bestimmtes Weltbild. In einer Konsequenz wie man dass bei einigen großen Autoren hat: ein Entwurf der Welt, den sie allen ihren Filmen aufdrücken. Das kann man über Harlan mit Sicherheit sagen.« (Stefan Drössler, Filmwissenschaftler)
Die wichtigsten Filme Harlans entstanden in den knapp sechs Jahren des Zweiten Weltkriegs. Ausnahme: Der Film Der Herrscher von 1937, ein im Stil subtiles, aber ideologisch plumpes Propagandawerk, das vage auf nach Gerhard Hauptmanns Vor Sonnenuntergang basiert, und der NS-Führerideologie huldigt: »Denn wer zum Führer geboren ist, braucht keinen Lehrer als sein eigenes Genie« heißt ein entscheidender Dialogsatz. Der Freibrief zur Willkürherrschaft. Dieser Film wurde zu Harlans Ticket an die Spitze des NS-Films.
Von Beginn hat hatte Harlan den Hang zum großen »Illusionskino« zum »Spiel mit Emotionen« sich perfekt mit den Vorgaben des Reichspropagandaministeriums deckte. Und politisch war Harlan »erzkonservativ und deutschnational – das ging gut zusammen.« Auch was die scheinbar unpolitischen Melodramen wie Immensee für Goebbels so »staatspolitisch wertvoll« machte, wird von Stefan Drössler treffend erklärt: »In der Zeit des Krieges, wo so viele sterben, und man sich die Sinnfrage stellt, war es wichtig, dass das Sterben etwas Bedeutsames wird, dass es nachwirkt, das Leute trauern, das man FÜR etwas gestorben ist. Das drücken diese Filme aus.« Wenn man in dieser Zeit ein Melodram sah, und irgendwen verloren hatte, dann funktionierten diese Filme also als Sinnangebote: Das Sterben ist nicht nur Sterben.
Dem Bayerischen Rundfunk (Online) gilt Harlan noch heute »als einer der meisterhaftesten Regisseure der Filmgeschichte.« und die Autorin wünscht sich, »die umstrittene künstlerische Leistung und filmhistorische Bedeutung Veit Harlans« mehr zu diskutieren. Der Punkt des Filmemachers ist aber nun gerade, dass die vom Politischen nicht zu trennen ist.
Die Familie hat das besser erkannt. In Harlans sentimentalen und schwerblütigen Dramen nach Vorlagen von Storm und Rudolf Binding, findet man überspitzte Konstellationen, kitschige Melodramatik, die chemische Herstellung, und das Hochzüchten und Glaubhaft-machen von sehr falschen Gefühlen. Wenn Harlan Erfolg hatte, dann ging es um Unschuld und Verderben, Eros und Natur. »Das Perfide ist diese Schicksalsgläubigkeit« beschreibt seine Enkelin: »Das Unausweichliche, Ausweglose wird da inszeniert. Und das ist natürlich etwas zutiefst Reaktionäres.«
Es beginnt mit sichtbar privaten Bildern: Super-8-Aufnahmen, man erkennt an der Mode dass es sich um die späten 50er, frühen 60er-Jahre handeln muss. Man erkennt Capri, die Blaue Grotte, einen älteren Mann und seine jüngere Frau. Man sieht Zärtlichkeit und Glück. Als diese Bilder entstehen, liegt der deutsche Völkermord an den Juden schon über 15 Jahre zurück. Welchen Anteil Veit Harlan an ihm hat, ob und wie der Hetzfilm Jud Süß noch einmal fünf Jahre früher entstanden, überhaupt Harlans Film war, welchen Anteil dieser Film letztlich an der Vorbereitung des Völkermords hatte, das ist die Frage gewesen, die sich wie ein Schatten über Harlans Leben nach 1945 gelegt hat. Es ist nur die eine zentrale Frage dieses Films. Die zweite Frage ist die, wie Harlans Familie mit dessen Erbe umgeht.
Harlan, Sohn des Bühnendramatikers Walter Harlan, und Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, war dreimal verheiratet. Seine erste Frau, die deutsch-jüdische Schauspielerin Dora Gerson ließ sich 1925 von ihm scheiden, und wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Mit seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Hilde Körber, hatte er drei Kinder: Thomas (*1929), Maria und Susanne, die sich 1989 das Leben nahm. »Es war uns Kindern vollkommen klar, das unsere Eltern eigentlich gar nicht zusammenpassten. Mein Vater war oft laut und grob und sie war unheimlich zart besaitet. Eine Harfe und eine Pauke.« (Maria Körber, Tochter).
Nach zehn Jahren ließ er sich scheiden, und heiratete die 13 Jahre jüngere Kristina Söderbaum. In Schweden geboren, 1934 nach Berlin gekommen, hatte Söderbaum nach zwei Kurzauftritten in schwedischen Filmen danach bis 1958 immer nur unter ihrem Mann gespielt. Hier wurde sie berühmt für ihre zahlreichen Filmtode: Die »Reichswasserleiche« Söderbaum verkörperte einen Idealtypus des NS-Kinos: Die naive Kindfrau, natürlich, blond und »arisch«, die Naturromantik, Reinheit, und Unverdorbenheit ausstrahlte und so zu einem der bestbezahlten Stars des NS-Films und Idol von Millionen wurde. Harlan nutzt Söderbaums Ausstrahlung als Projektionsfläche für seine bevorzugt schicksalhaften Stoffe.
»Die Stärke meiner Mutter war ja nun nicht ihr Intellekt und ihre analytischen Fähigkeiten, da ist es nicht so weit her mit gewesen... Die hat nicht überblickt, was sie da gemacht hat. Ihr da einen Vorwurf zu machen, ist wirklich albern.« (Kaspar Harlan)
Mit Söderbaum hatte Harlan zwei weitere Kinder. Alle noch lebenden Kinder und Susannes Tochter Jessica kommen in Felix Moellers Film ausgiebig zu Wort, auch die weiteren Enkel, zum Teil erst knapp zwanzig Jahre alt, und Harlans Nichte Christiane Kubrick, die Frau des verstorbenen Stanley Kubrick. Ihre Äußerungen zeichnen ein facettenreiches Bild von Harlans persönlicher Wirkung, seiner Arbeit, und von einer möglichen Interpretation seines Verhaltens im NS-Staat und danach.
Im Zentrum steht Jud Süß. In Prag gedreht sollte der Film als großes Melodram und Unterhaltungsspektakel verkauft werden. Jüdische Komparsen wurden aus den Ghettos Prag und Lublin herantransportiert, eine Statistenrolle als Zwischenstation auf dem Weg in die Mordfabriken. Bizarres Detail: An seinen ältesten Sohn Thomas hatte der Vater während der Dreharbeiten eine Ansichtskarte
geschickt: »Du weißt gar nicht, wie gern die Juden hier mit mir arbeiten.« In Deutschland haben den Film etwa 20 Millionen Zuschauer gesehen, in Europa noch einmal weitere 20 Millionen. Während des Films, so wird berichtet, habe es häufig Rufe gegeben: »Juden raus!« Der Film sollte im Auftrag von Propagandaminister Goebbels allen SS- und Polizeieinheiten gezeigt werden, um sie psychologisch auf den Massenmord einzustimmen.
Sie habe den Film »wahnsinnig schlecht« gefunden,
Werner Krauss habe übertrieben, und »absichtlich schmierig« gespielt, berichtet Tochter Maria Körber. Nichte Christiane Kubrick fand ihn nur »entsetzlich, auch Kristinas Rolle entsetzlich. Mein Vater war sehr traurig darüber.«
»Ich war furchtbar betroffen davon, ob das jetzt gut gespielt war und die Regie gut oder nicht, das war mir egal, ich war betroffen von dem Geist, der dahinter steckt, und den man offensichtlich gar nicht erkannt hat 1940. Sonst wäre der nicht so erfolgreich
gewesen.« So Jan Harlan, der Neffe des Regisseurs. Und Enkelin Jessica Jacoby ergänzt:
»Ich glaube, dass er sehr wohl mit der jüdischen Kultur und der jüdischen Religion ein massives Problem hatte. Er war zwar mit einer Jüdin verheiratet, die aber später ihn verlassen hat und einen jüdischen Mann hatte – eine unglaubliche narzisstische Kränkung! Und außerdem schöpft er aus dem Vollen, was diese ganze antijüdische Bilderwelt der letzten Jahrhunderte angeht. Da kommt genau
das an Ressentiments auch an Abneigung gegen die Kultur zum Ausdruck.«
Thomas Harlan weist den Hinweis auf die narzisstische Kränkung dagegen als oberflächlich zurück. Er spricht den Verstandesmenschen an und nimmt ihn auch moralisch für voll: »Ich glaube er hätte wissen müssen, dass er Unrecht tut. Ganz einfach. Und vor allem sich verbieten müssen, das gern zu tun. Es ist ganz schrecklich, dass man spürt, da macht jemand sowas gerne.«
Und er fing überhaupt erst richtig an, und machte weiter bis zum bittren Ende, bis 1945. Da kam Kolberg in die Kinos, die teuerste und langwierigste Produktion des Dritten Reiches, deren Filmrollen noch über dem längst eingekesselten La Rochelle abgeworfen wurden, um die dortigen deutschen Truppen zum Durchhalten zu ermuntern. Der Film, dem fast unbegrenzte Mittel zur Verfügung standen, ist ein weiterer Hetzfilm, er zeigt eine Goebbels-gleiche Gneisenau-Figur, der einen antinapoleonischen Volkssturm bildet, der aus 1000 Kehlen schreit »Und Volk steh auf und Sturm brich los.« – wie einst im Berliner Sportpalast. Der Film ruft auch die Zivilbevölkerung zu unbedingtem Durchhalten auf, zu Opfertod und kollektivem Untergang – passend zur Politik des totalen Krieges.
In einem Interview 1963 erklärte Veit Harlan dazu: »Als Goebbels den Film zum ersten Mal sag, bekam er einen Tobsuchtsanfall. Er schrie: Das ist ein pazifistischer Film. Er befahl alle Grauen-Szenen herauszuschneiden ... Er nannte das sadistisch. ich sagte: Ja ich kann ja das Heldentum nicht darstellen Herr Minister, wenn ich nicht zeige WIE heldenhaft die Menschen sind, ... Kurzum: Für zwei Millionen Mark Grauen wurde herausgeschnitten und dadurch wurde der Film natürlich in seiner Gestalt wesentlich verändert.«
Bereits wenige Monate später, im Mai 1945 verfasste Veit Harlan eine Erklärung mit dem Titel: »Wie ich zum Nationalsozialismus stand« und berief sich hierin, wie später so mancher auf »Befehlsnotstand«. Nicht allen in der neuen Bundesrepublik wollte das einleuchten oder genügen. Berichtet wird in Moellers Film von einem Theaterabend in Hamburg. Zweimal sei da Ida Ehre vor der Vorstellung auf die Bühne gegangen und habe vor dem Publikum gesagt, sie bitte Veit Harlan und Kristina
Söderbaum, die Vorstellung zu verlassen, vorher fange es nicht an.
Aber zu keinem Zeitpunkt hat Harlan Verantwortung übernommen, sich distanziert, kein Wort der Selbstkritik geäußert, nur Schuld und Verantwortung abgewiesen.
Dafür drehte er später wieder Filme. Filme, in denen er bewies, dass er wirklich nichts gelernt hatte, oder nichts lernen wollte. Filme, die die Ästhetik der NS-Zeit nahtlos in die Fünfziger übertrugen.
Thomas Harlan versuchte es. Er drehte einen Film gemeinsam mit dem Vater: »Verrat an Deutschland« über Richard Sorge. Beide schrieben das Drehbuch gemeinsam. Dies ist, interessanterweise, einer der ganz wenigen westdeutschen Filme der 50er Jahre, in dem von Verbrechen der
Wehrmacht – kurz – die Rede ist, und in dem die Truppen der Roten Armee nicht völlig propagandistisch verzerrt werden. Nun wurde Veit Harlan noch einmal kritisiert – weil dies angeblich ein prokommunistischer Film sei.
Thomas Harlan nahm die Schuld stellvertretend für den Vater an: »Ich war nicht gegen meinen Vater sein Sohn. Ich war mit meinem Vater sein Sohn. Und so weit, dass ich mit ihm all die schändlichen Dinge, die mit seinem Zutun entstanden sind,
dafür die Verantwortung getragen habe. Das finde ich ganz selbstverständlich.« Er arbeitete als Nazi-Jäger, recherchierte über die Vernichtungslager Kulmhof, Sobibór, Belzec und Treblinka. Er schreibt Romane, Theaterstücke, Drehbücher. »Es ist, auch mit 79, noch immer eine offene Wunde, ein Trauma«, sagt seine Tochter Alice. Und seine Nichte Jessica urteilt über die Folgen in der Familie: »Thomas' Leistung wird immer noch unterschätzt.«
Eine letzte Anekdote des Films ist noch die von Stanley Kubricks Besuch bei Veit Harlan. Kubricks Eltern kamen aus Kiev und Rumänien. Und auf beiden Seiten der Eltern gab es Juden. Seine Frau Christiane erzählt: »Stanley war in München, wir hatten uns entschlossen zu heiraten, er wollte mich mitnehmen nach Amerika, und Veit sagte: 'Du gehst nach Amerika, ist ja furchtbar', er wollte nicht, dass ich weggehe, meine Eltern waren da, Veit und Kristina waren da, noch ein paar andere. Ich hab' Stanley gesagt: jetzt triffst Du die alle, ich hatte längst alles gebeichtet, meine fürchterliche Herkunft. Und er hat ein großes Zahnputzglas Wodka getrunken, und hat sie dann getroffen ... Es war für meinen Mann erschütternd, diese höflichen und lustigen Menschen zu treffen. Er hat gesagt 'I am standing here like Woody Allen. Looking like ten jews'«
Regisseur Felix Moeller ist ein ausgewiesener Experte für das Kino des Dritten Reichs und der Nachkriegszeit. Er hat ein Buch über Joseph Goebbels und das Kino geschrieben (»Der Filmminister«), und Dokumentationen über die Familie Verhoeven, über Marlene Dietrich und Hildegard Knef gedreht. Harlan – Im Schatten von Jud Süß erscheint in den ersten Minuten wie ein konventionell erzählter Fernsehfilm, doch schnell entwickelt er Intensität, und entfaltet – ohne platte Psychologie – aus den Äußerungen der vier überlebenden Harlan-Kinder und mehrerer Enkel und anderer Verwandter ein intensives Familiendrama.
Die gegeneinander geschnitten Äußerungen lassen den Film mehr und mehr wie ein Familiengespräch in Kino-Dimension wirken, zugleich wie einen Mikrokosmos der widerstreitenden Ansichten zu Harlan:
»Der Film ist ein Mordinstrument geworden ... da kommt auch meine gnadenlose Ungerechtigkeit gegen meinen Vater her.« (Thomas Harlan)
»Film wird ja immer missbraucht als Propaganda.« (Kristian Harlan)
»Im Grunde seines Herzens ist mein Vater sicherlich ein relativ unpolitischer Mensch gewesen. Er war halt ein Künstler und es ist mit ihm durchgegangen, und das ist so nicht recht verzeihlich, wie es gelaufen ist. ... Er ist garantiert kein Anti-Semit
gewesen und garantiert kein Nazi gewesen. Er hat so abfällig über Nazis gesprochen. Die Filme ...wollte er ja auch nicht machen. Aber warum er die dann so toll macht, so einen richtig schönen Film daraus macht, das kann ich nicht nachvollziehen. Das ist für mich der Vorwurf, der bleibt.« (Kaspar Harlan)
»Es gab nur seinen Beruf. Nur was er sich da vorgenommen hatte. Alles andere war egal. Das wollte er durchsetzen.« (Maria Körber, geb. Harlan)
»Ich glaube er war ein
Mitläufer. Er war ein ehrgeiziger Filmemacher, der Karriere machen wollte und Karriere gemacht hat.« (Jan Harlan, Neffe)
Die Gesamtschau der Äußerungen zeichnet ein facettenreiches Bild von Harlans persönlicher Wirkung, seiner Arbeit, und von einer möglichen Interpretation seines Verhaltens im NS-Staat und danach. Bei aller Kritik entsteht doch auch ein einfühlsames Portrait, von Familienseite aus oft verstehen wollend, manchmal liebevoll.
In Erinnerung von diesem wichtigen Kapitel deutscher Filmgeschichte bleibt in der Zusammenschau der Aussagen aber vor allem das Bild eines Opportunisten, der »die« Spielfilme des Dritten Reiches gedreht hat, der vom System profitierte wie man von ihm nur profitieren konnte, und dessen Taten im Ergebnis schlimmer wirkten, als die vieler Überzeugter. Oder mit den Worten des Sohnes Thomas: »Das wirklich Interessante ist, dass der Nicht-Antisemit der beste Wetzer des Messers war. Das ist das Infame.«
Aber trotz aller Eindeutigkeit bleiben Rätsel und ungeklärte Fragen. Vor allem Thomas Harlans von Hass-Liebe-Beziehung zu seinem Vater ist eindringlich erkennbar. Der älteste Sohn stellt in Moellers Film die präzisesten Fragen, ist bereit, erstaunlich viel zu erklären und zu verzeihen, und öffnet so gerade den Blick in die tiefsten Abgründe: Die Behauptung, Harlan sei gezwungen worden, Jud
Süß zu drehen, will er dem Vater sogar abnehmen. Aber gerade, wenn das stimmt, wieso verpflichtete er dann seine Frau Kristina Söderbaum für die Hauptrolle?
»Ich sag mal so. Seine Behauptung, er sei gezwungen worden, die nimmt man ihm ab. Aus lauter lauter Gründen. Und auch weil genug Zeugen da sind. Und dann kommt doch die Frage: Wieso zwinge ich meine Frau? Wieso biete ich meiner Frau eine Lage an, in der sie etwas Verwerfliches tun muss, was ich doch eigentlich gar nicht
tun wollte. Ich würde sagen: Der Umstand, das sie spielt, ist fast der Beweis dafür, dass er sich nicht große Sorgen gemacht hat. So einfach ist die Erklärung, und die erschreckt mich sehr.«
Literatur:
Veit Harlan: Im Schatten meiner Filme; BRD 1966
Anne von der Heiden: Der Jude als Medium. »Jud Süß«; diaphanes 2005
Dorothea Hollstein: Jud Süß und die Deutschen; Ullstein 1986
Georg Seeßlen: Leni Riefenstahl wird 100. Kann ein Korallenriff faschistisch sein? In: Konkret, Heft 8.
Susan Sontag: Faszinierender Faschismus; In: dies.: »Im Zeichen des Saturn« Frankfurt/M.
Film:
Christoph Hübner: Wandersplitter; BRD 2007