Haywire

USA 2011 · 93 min. · FSK: ab 16
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch:
Kamera: Peter Andrews
Darsteller: Gina Carano, Ewan McGregor, Michael Fassbender, Michael Douglas, Channing Tatum u.a.
Richtig gut oder ein bisschen schlecht?

Bis dass die Knochen knacken

Er will doch nur spielen: Steven Soder­bergh erweist sich wieder einmal als der Dandy des gegen­wär­tigen Auto­ren­kinos

Filme, in denen die Zuschauer nichts durch­schauen und sich bis zum Ende irgendwie fragen, worum es hier eigent­lich geht, sind entweder ein bisschen schlecht oder richtig gut, und zu welcher Gruppe Haywire gehört, das fragt man sich eine ganze Weile in diesem neuesten Werk von Steven Soder­bergh. Nicht gleich sofort, dafür geht es zu gut los, als ob es sich um einen Tarantino-Film handelte: Eine junge, gutge­baute Frau kommt in einen ameri­ka­ni­schen Diner irgendwo im Nowhere-County, sucht sich einen Platz in der Ecke, mit Rücken zur Wand und beob­achtet ihre Umgebung. Sofort nehmen wir selber auch ihre latent paranoide Perspek­tive an, blicken miss­trau­isch auf das Paar am Tisch gegenüber und auf den Mann, der den Boden wischt. Dann kommt ein junger Typ rein, setzt sich zu der Frau und Sekunden später liegen beide am Boden, gefangen in einem tödlichen Ringkampf, bei dem eine geladene Pistole auch noch mit im Spiel ist.

Dann beginnt ein Rückblick, der Aufklä­rung über die Hinter­gründe verspricht, aber zunächst mal ist es viel wichtiger, dass Ewan McGregor mitspielt, Antonio Banderas und vor allem Michael Douglas. Dessen Auftritt, als bein­harter, schil­lernder Mann, der im Hinter­grund die Fäden zieht, und dem man bis zum Schluss alles zutraut, genügt, um für diesen Film einzu­nehmen. Man denkt nie an Douglas' Alter, nicht an seine Krebs­er­kran­kung, man denkt nur an seine großen Film­auf­tritte bei Oliver Stone, David Fincher, oder in Soder­berghs Traffic – Die Macht des Kartells, wo er in einer Neben­rolle ganz beiläufig zum emotio­nalen Zentrum des Episo­den­films wurde.

Irgend­wann aber genügt es nicht mehr, immer nur gute schöne Darsteller zu betrachten, zumal die ebensoft wechseln, wie die Schau­plätze dieses globalen Agenten-Kampf­kunst-Thillers, der in Upstate New York, San Diego und Washington spielt, in Barcelona und Dublin, überall, wo man schöne Schau­plätze zeigen und dabei mit einem ameri­ka­ni­schen Film noch europäi­sche Förder­gelder kassieren kann. Das passt in diesem Fall aber gut, denn Haywire ist reines Bewe­gungs­kino, das, etwa in einer einfach nur großar­tigen Verfol­gungs­jagd über den Dächern von Dublin, mehr oder weniger völlig losgelöst Körper durch den Raum befördert.
Schnell steigert sich die Verwir­rung, und wer den Fein­heiten der Story wirklich folgen will, muss schon sehr konzen­triert zugucken. Irgendwie geht es um die Dame in der Auftakt­szene, eine Spezi­al­agentin des US-Geheim­dienstes namens Mallory Kane. Sie ist so geheim und speziell unterwegs, das sie auch mit ihren eigenen Leuten Probleme bekommt, bald über­la­gern sich die Verrats­sze­na­rien, lassen sich Freund und Feind nicht mehr unter­scheiden. Jeder steht hier für sich.

Man fragt sich manchmal, und erst recht nach solchen Filmen, ob sich Steven Soder­bergh eigent­lich mit sich selber langweilt, oder ob er einfach gerne spielt. Viel­leicht sind das ja auch keine Gegen­sätze. Die Zeiten sind in jedem Fall längst vorbei, in denen man von einem Soder­bergh-Film so etwas wie Ernst erwartet hätte, wie welt­an­schau­liche Ansichten, oder einen Beitrag zu poli­ti­schen Fragen – auch wenn sich Einzelnes, etwa sein letzter Film, der Seuchen­thriller Contagion durchaus so inter­pre­tieren lassen. Man hat längst nicht mehr den Eindruck, diesem Regisseur gehe es tatsäch­lich um irgend­etwas, außer um die Liebe zu seinen Figuren und Geschichten – was ja schon eine Menge wert ist –, und darum, seinen nächsten Film zu machen, und das möglichst gut, und ohne sich mit Produ­zenten, Studio­bossen oder Geld­ge­bern herum­zu­är­gern. Während man bei einem Film von Scorsese oder Malick weiß, dass es den Regis­seuren mit dem was sie erzählen am Ende immer ernst ist, selbst da, wo sie reines Genrekino machen, taucht im Falle Soder­berghs doch in den letzten Jahren verstärkt die Frage auf, was dieser Regisseur eigent­lich will? Auf alle Fälle geht es Soder­bergh aber darum, nicht immer dasselbe zu tun, und das ist schon eine ganze Menge in einem Betrieb, in dem Sequels und Remakes boomen, wie selten zuvor in der Film­ge­schichte, und der gerade in Amerika von Furcht und Risi­ko­scheu beherrscht ist. So ist Soder­bergh auch weiterhin nicht nur selbst­be­wusst und hand­werk­lich ungemein souverän, sondern auch jederzeit bereit, etwas zu riskieren.

Haywire ist wie die Haus­ar­beit zu einem Seminar über »Starkino im Action­film« – er will cool sein, und ist das auch irgendwie, will ernst genommen werden, und als Genres­tück funk­tio­nieren, aber gleich­zeitig doch reflek­tiert sein und alle möglichen Vorgänger mitdenken und gewis­ser­maßen »aufheben.« Das gibt dem Film manchmal etwas Akade­mi­sches, Blut­leeres, lässt ihn wie Zitat und Geste wirken, nicht mehr wie das Eigent­liche. Hinzu kommt, dass Soder­bergh in letzter Zeit eine Neigung zu einer Art Natu­ra­lismus 2.0. entwi­ckelt: Mit der Porno­dar­stel­lerin Sascha Grey drehte er The Girl­friend Expe­ri­ence, jetzt mit der Kamp­sport­lerin und Mixed-Martial-Arts-Meisterin Gina Carano einen Agen­ten­thriller, in der sie vor allem ihre Kampf­kunst vorführen darf, und mit einem wie Michael Fass­bender quasi in den Ring steigt bis dass die Knochen knacken. Das sagt uns nicht so sehr, dass der Regisseur die Künste profes­sio­neller Schau­spieler gering schätzen würde, sondern es zeigt, dass er immer noch auf der Suche ist: Auf der Suche nach mehr, nach etwas anderem jenseits des »Spiels«, nach einer vermissten Authen­ti­zität.

Das Verfahren mit Laien zu arbeiten, die zugleich Profis in irgend­einem Handwerk sind, oder wenigs­tens im Show­ge­schäft, ist natürlich seinen Vorbil­dern im europäi­schen Auto­ren­kino abge­schaut. Und viel­leicht kann man vieles in Soder­berghs umfang­rei­chem Werk auch am besten damit erklären, dass er Godard im Zwei­fels­fall wichtiger findet, als Scorsese, Lars von Trier inter­es­santer, als Clint Eastwood. Soder­bergh ist selbst­be­wusst und hat zum Handwerk ein gesundes, also nüch­ternes Verhältnis. Darum probiert er Genres aus, wie andere Leute Krawatten oder Jacketts.
Der Agenten-Kampf­kunst-Film passt ihm nicht ganz so ange­gossen, wie das Drogen­pan­ora­ma­melo Traffic oder der Seuchen­thriller Contagion, dafür nimmt er das Ganze dann wieder nicht ernst genug. Aber es steht ihm doch gut, gibt die Möglich­keit zu wunder­baren Momenten und zu mehr Witz, als norma­ler­weise in einem Soder­bergh-Film, von den Ocean’s-Folgen mal abgesehen, zu finden ist, und man zwischen­durch ins Grübeln gerät, ob dieser Film nun insgesamt richtig gut ist, oder viel­leicht doch ein bisschen schlecht, dann freut man sich allemal an wunder­baren Momenten und mehr Witz, als norma­ler­weise in einem Soder­bergh-Film zu finden ist.