USA/F/B/CH 2016 · 93 min. · FSK: ab 12 Regie: Raoul Peck Drehbuch: James Baldwin Kamera: Henry Adebonojo, Bill Ross, Turner Ross Schnitt: Alexandra Strauss |
||
Richtet sich auch an das zukünftige Amerika und seine gedanklose weiße Mehrheit |
Stehende Ovationen auf der Berlinale: Für den Geist von James Baldwin. Den schwarzen Schuhputzer aus Harlem, der die ganze Welt durchschaut hatte: die Kirche als Opium der weißen Herrscher, ebenso wie die Black Panthers, für die er zu sensibel war, er, der offen mit all seinen Gefühlen umging, mit seiner Bisexualität und seinem Glauben an die Emanzipation der Beherrschten. Den gefeierten Romancier, der aus dem Ghetto kam und in Paris Giovannis Room erfand, seinen Welterfolg über eine Liebe zwischen zwei Männern, schwarz und weiß. Den blitzgescheiten Redner, der von einem Kennedy-Meeting kommen konnte, um zu verkünden, dass die Politiker die Welt nicht verstünden, derweil als Humanist in Oxford bejubelt wurde, sich selber aber einfach als Mensch sah. Einer, der nicht an Coolness interessiert war, sondern daran, seine Geschichte mit der Geschichte seiner Generation zu verknüpfen, und darin ungemein cool war. Er war lange weg, dreissig Jahre hat er gefehlt wie ein wichtiger Verwandter. Viele haben auf ihn gewartet, ohne es zu wissen. Nun also, Lazarus, erwache!
Das lange Warten begann im Juli 1979: James Baldwin kassierte von dem Verlagshaus McGraw-Hill einen sechsstelligen Vorschuss dafür, seine drei ermordeten Weggefährten Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King Jr. zu einer Erzählung verpackt, und diese mit seiner Version der Geschichte der USA verknüpft, abzuliefern. Baldwin ließ das Projekt schleifen, beantragte immer wieder Aufschub, beließ es bei dreißig Manuskriptseiten unter dem Titel »Remember This House« – bis er vor dreißig Jahren ins Jenseits entschwand. Auf das Buch hatte man bei McGraw-Hill vergeblich gewartet. Man versuchte noch, seine Familie auf die Vorschuss–Dollar zu verklagen, ließ es dann aber gut sein. Es geht ja auch anders: Der Film, den Raoul Peck nun vorlegt, erklärt sich als eine Weiterführung des Projektes – mit anderen Mitteln. Jede Zeile des Drehbuchs stammt aus Baldwins Manuskript, angereichert mit Passagen aus seinem Cross-Genre-Essay »The Devil Finds Work« von 1976. Tatsächlich erschien dann im Februar sogar ein Buch, eben unter dem Filmtitel.
Der Titel: Er ist so bold. Er ist nicht in der Sprache von Baldwin. Dessen Buchtitel viel tiefgründiger, vielschichtiger, geschmackvoller zu sein pflegten. »The Fire Next Time« etwa. Oder eben »Remember This House«. So bezieht sich »The Fire Next Time« einerseits auf die Sintflut–Episode aus der Bibel, gleichzeitig aber auch auf das Negro–Spiritual »Mary Don’t You Weep« mit dem darin auftauchenden Couplet »God gave Noah the rainbow sign / No more water but fire next time«. »Mary Don’t You Weep« geht noch auf die Zeit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg zurück, die erste Aufnahme entstand dann während dem Ersten Weltkrieg in der Fisk University, der ersten Afro–Amerikanischen Universität überhaupt. Im selben Jahr übrigens, wie aus Hollywood die rassistische Geschichtsverfälschung Birth of a Nation kam. Viele Türen, knock knock.
In den Händen des haitianischen Regisseurs bekommt das »House« also einen neuen Namen und noch mehr Etagen, in manchen Zimmern werden wir Zeuge einer zauberhaften Hauntologie, in anderen wäre es schön, wenn jemand einziehen würde, und zwischen Tür und Angel klebt ein bisschen Fensterkitt. Als von draußen Blaulicht reinflackert und die ersten Leichen aus dem Keller getragen kommen, scheint der Fall klar: Erstklassiger Stoff, übel verstreckt. Aber ja, zum Glück kein Biopic. Peck wäre dazu in der Lage gewesen, aber sein Respekt vor Baldwin muss uns vor etwas in der Art von Der junge Karl Marx bewahrt haben. Dennoch, es ist nicht ganz richtig, wenn die Losung ausgegeben wird, man habe sich zurückgehalten, um des Respekts vor Worten und Aura Willen, allenfalls in Baldwins Sinne die Arbeit vollendet. Beides ist nicht richtig und auch nicht der Fall. Dieses House hätte nie fertig gebaut werden dürfen. James Baldwin hatte kein Interesse daran, und er hatte seine Gründe.
Der Auftrag lautete: Drei Ikonen, drei Morde. Baldwin hatte sich Ihnen schon einmal schriftlich gewidmet, 1972, in »No Name In The Street«. Medgar, Malcolm, Martin, auf und nieder, immer wieder. Keiner von ihnen war älter als Vierzig geworden. Und Baldwin musste immer davon ausgehen, der Nächste zu sein. Er hatte Angst. Die Erinnerungen machten sie nicht besser, nicht für die Vergangenheit und nicht für die Gegenwart. Es ging in diesen Kämpfen schließlich nicht um Begrifflichkeiten, nicht um political correctness. Peck zeigt uns die traurige Kontinuität: Baltimore, Baton Rouge, Falcon Heights, Ferguson... Wir müssen uns den Schrecken, den Baldwin beschreibt, als permanente Rostock–Lichtenhagen–Situation vorstellen. Baldwin hatte Angst um sein Leben. Und tat weiterhin alles, um in die Schusslinie zu geraten. Er hatte auf den Auftrag einfach keine Lust mehr.
Was ist das nur für ein Land, fragt James Baldwin, das sein Leben in eine Mordserie und in einen endlosen Film noir verwandelt? Auch, weil das Morden nie aufhörte, schien es Baldwin unmöglich, diesen Text für beendet zu erklären und zu Lebzeiten abzuliefern. Kurze Zeit, nachdem er mit »Remember This House« begonnen hatte, begann in Atlanta ein Serienmörder damit, Kindern und Jugendlichen das Leben zu nehmen, im Lauf von zwei Jahren wurden es achtundzwanzig, allesamt schwarz. Nun fielen die Verbrechen in eine politisch nie dagewesene Phase, in die Amtszeit von Bürgermeister Maynard Jackson, dem ersten Schwarzen, der ein solches Amt bekleidete. Ein Täter war gefunden worden, ein Schwarzer. Wayne Williams beteuert bis heute seine Unschuld. Baldwin hatte auch seine Zweifel, reiste nach Atlanta, redete mit Leuten aus dem Viertel und schrieb ein Buch. Der Titel, »The Evidence of Things Not Seen«, spielt auf den neutestamentarischen Hebräerbrief und die darin gestellte Glaubensfrage an: Glaube richtet sich auf das Erhoffte – und damit auf das Nichtsichtbare.
Im Film ist von der Atlanta–Geschichte nichts zu sehen. Vielleicht, weil gerade an einem Biopic zu Maynard Jackson gearbeitet wird. Pecks Kameramann Henry Adebonojo hält in dem Projekt unter der Regie von Samuel D. Pollard sein Auge drauf. Man darf also gespannt sein, auf Maynard, anno 2018. Aber gehen wir erstmal hier, mitten im Film, ins Kino: Am besten ist I Am Not Your Negro dann, wenn Peck das House verlässt, und in einen anderen Text springt: In »The Devil Finds Work«. Darin erweist sich Baldwin als Cineast der ersten Stunde. Mittels zwanzig Hollywood–Filmen erklärt er seine ganz persönliche amerikanische Identitätsfindung. Eine Filmgeschichte, die ein bisschen auch was von Godards Histoire(s) du Cinéma hat.
Im Kino erlebt Jimmy seinen ersten Realitätsschock: Die Helden, soweit das Auge im Kino reicht, sind weiß. Sie sind auch Jimmys Helden. Aber als er im Kindesalter sein Idol Gary Cooper die Indianer abknallen sieht, wird ihm schlagartig klar, was er von den Weißen zu erwarten hat – Kugeln im Bauch (Stagecoach, 1937). Dabei scheint zunächst noch die Welt in Ordnung, Joan Crawford erinnert ihn an die schwarze Verkäuferin vom Kiosk, und die Kioskverkäuferin erinnert ihn an Joan Crawford (Dance, Fools, Dance, 1931). Aber mit der weißen Frau, die sich in den Fängen von King Kong verliert, mit der stimmt irgendwas nicht, und in Jimmy regt sich der Verdacht, dass mit der Welt der Weißen ganz generell was nicht stimmt (King Kong, 1933). Die wenigen Schwarzen, die es zu sehen gibt, sind auch anders als die, die es in echt gibt. Sie wirken wie auf Drogen, wie Gehirnamputiert (Richard’s Answer, 1945). Jimmy hofft, dass das seltsame Benehmen einer Realität entspringt, deren Schrecken nicht echt sein können (The Monster Walks, 1932). Aber sind sie nicht echt, die Angst und der Schrecken in den Augen des Mannes, als er, der Vergewaltigung einer Weißen bezichtigt, in die Augen der Justiz blickt? (They Won’t Forget, 1937). Kein schwarzer Held in Sicht: Tom hält seinen Kopf für den weißen Master hin (Uncle Tom’s Cabin, 1927). Es gibt Schwarze, die weiß werden und das Schwarzsein verleugnen. Der New Deal ist nur zum weiß werden da (Imitation of Life, 1934). Aber auch Weiße leiden unter einem Minderwertigkeitskomplex. Der sich in Hass gegen Schwarze entlädt (No Way Out, 1950).
Zurück im »House«. Die Kamera zoomt auf Pressefotos herum. Da ist dieses eine Bild, das sich einprägt, ein Bild, das Baldwin damals, 1957 dazu bewog, seinem Pariser Exil den Rücken zu kehren, und nach Hause zu kommen. Es ist das Bild einer Teenagerin, Dorothy Counts, die wie ein Zootier inmitten einer wild johlenden Masse Spalier laufen muss, bespuckt wird, und schlimmeres. Ihre Eltern versuchten sie in einer High–School in Charlotte, North Carolina, einzuschulen. Sie wäre das erste schwarze Mädchen dort gewesen. Nach vier Tagen mussten sie den Versuch abbrechen und die Stadt verlassen. Baldwin klingt niedergeschlagen, in »Remember This House«. Eine Abgeschlagenheit, die nochmal erklärt, weshalb er den Text nicht zu einem Ende bringen konnte. Oder wollte. Es gab soviele Gründe. Baldwins bester Freund hatte sich gerade das Leben genommen, von der George–Washington–Brücke gesprungen war er. Und das Morden. Einen Ex-Beatle, ein paar Jahre zuvor hatte er »Woman Is The Nigger of The World« gesungen, hatte es erwischt.
Bob Dylan sagt, er habe »Strawberry Fields Forever« von den Beatles immer so verstanden, dass John Lennon das baumlose Feld darin als Chance auf einen Anti-Horror forever abfeiert: Wenn er die Worte »nothing to get hung about« eben nicht nur mit der geläufigen Bedeutung (nichts, worüber man sich aufregen könnte) auflud, sondern damit literally meinte, dass sich in eben so einem Feld kein Baum findet, an dem man aufgehängt werden könnte. Dylan sagt das im »Rolling Stone«, nicht in diesem Film. Hier wird er mit drei Zeilen seines »Only A Pawn In Their Game« eingeblendet, jener Moritat für Medgar Evers, die er am 28. August 1963 auf dem »March on Washington For Jobs And Freedom« vortrug, kurz bevor Martin Luther King Jr auf derselben Veranstaltung einen Traum vor 200.000 anwesenden, und einigen vor dem Fernseher versammelten, Menschen haben sollte. John Lennon war den Lynchbäumen entkommen, dank seiner Phantasie, aber er sollte ganz ähnlich zu Tode kommen wie Medgar Evers: Vor seiner Haustür, mit Pistolenschüssen im Rücken, gut ein Jahr nachdem Baldwin den Auftrag zu »Remember This House« erhalten hatte.
Dieses Haus, Evers Haus, liess Baldwin nicht los und der Film zeigt es: Ein Flachbau in Jackson, Mississippi, an ein japanisches Teehaus erinnernd. Von dem anderen Haus, dem Weißen Haus, wie auch allen Häusern der Weißen, sprach Baldwin nur als dem brennenden Haus. Baldwins Antwort auf die Frage nach Integration lautete: Nur ein Verrückter würde sich in ein brennendes Haus integrieren wollen. Baldwin beneidete die Weißen um nichts. Er hatte die große Hoffnung, dass die amerikanische Unterschicht eines Tages ihr weißes Bewusstsein verlieren und geschlossen gegen die Mächtigen des Landes vorgehen würde. Und Dylans »Only A Pawn« in »Their Game« war die synergetisch passende Underclass–Perspektive in Weiß: Der Killer sei nicht zu bestrafen, hart genug strafe ihn schon das Leben, ihn, den gekauften Handlanger der Mächtigen. Tatsächlich, als hätte das rein weiße Geschworenengericht Dylan gehört, wurde der Täter auf freien Fuß gesetzt. Byron De La Beckwith wurde erst dreißig Jahre später, in einer Neuaufnahme des Prozesses, der gemischt besetzt war, verurteilt. Baldwin hatte er überlebt.
An Bäumen aufgehängte Menschen zeigt der Film ganz en passant, im Bildarchiv hängen sie noch immer, und Raoul Peck mag sich daran anknüpfend und nicht von ungefähr für mehr als eine Kamerafahrt über Baumwipfel an Baumreihen entlang als Atmo-Bilder zum Luftholen entschieden haben. Als die Kamera einmal tief eindringt in einen Südstaatenwald und dort auf einem trüben Teich dahingleitet, schwankungsfrei wie ein Totenschiff, ist es dann Louisianamoos, das von den Bäumen hängt wie eine unheimliche Vergangenheit. Das mag sich auch Beyoncé gedacht haben, und hat das, ebenfalls 2016, schon viel besser gemacht, besser gesagt Melina Matsoukas, oder wer auch immer für die Sequenz mit den Bäumen in Beyoncés »Lemonade« am Drücker war. Unheimlich sind die Bäume auch dort, aber Beyoncé und ihre Frauen beleben diesen unheilschwangeren Garten neu mit Blicken, die zu sagen scheinen …nothing is real. Spanish moss forever! Der Garten bietet in jedem Falle mehr Schutz als die Häuser, die in Lemonade so glühen, als könnten sie jeden Augenblick Feuer fangen, oder sie sind gleich komplett von Wasser geflutet. Das Louisianamoos bei Peck fungiert nur als Kulisse einer Geisterbahn, in der die Geister voller Angst zittern und sich kaum mehr aus der Kiste wagen. Jimmy, wo steckst du nur?
Auch Lemonade baut auf die Kraft der Poesie als Trägersubstanz: Sämtliche Texte zwischen den Musikstücken stammen von der somalisch-britischen Schriftstellerin Warsan Shire. Und Baldwins Sprache würde ein künstlerisch kraftvolles zeitgenössisches Gewand besser stehen, als der Pecksche Leichenschmaus. Und vielleicht genügt es ja auch, in diesem Zusammenhang festzustellen, dass Baldwins Gedankenspuren sowieso in Bildern von Lemonade zu wohnen scheinen. Wenn Beyoncé im Monstertruck alle Autos am Filmset plattmacht, dann hätte James Baldwin darüber gesagt, dass es der Autobesitzer absurdes Beharren auf die eigene Unschuld war, was dieses Monster hervorbringen musste, und die Flucht in die weiße Sicherheit einer vermeintlichen Unschuld sich in Form von Gewalt gegen sie, die Autobesitzer, selbst richten musste. Malcolm X darf sogar wörtlich zitiert auftauchen, in Lemonade, aber mit dem nötigen feminist turn, der im schwergewichtigen Blick von Peck und seinen großen Civil-Right–Ikonen nicht auszumachen ist. Beyoncé macht unmissverständlich klar, dass sie Malcolms Rede von wegen »The most disrespected person in America is the black woman. The most unprotected person in America is the black woman. The most neglected person in America is the black woman« zwar süß findet, aber von ihrem Husband sicher keine protection nötig hat.
Wenn Lemonade ein nahezu perfekter wichtiger Film ist, dann ist I Am Not Your Negro ein verpeckter wichtiger Film. Eine Gegenüberstellung kurz vor Schluss macht das deutlich: Beyoncé widmet ein paar Sekunden den Müttern von Michael Brown, Eric Garner und Trayvon Martin, also den Müttern von Jugendlichen, die durch Polizeiwillkür ums Leben kamen. Die Kamera fängt verzweifelt blickende Augen in würdevoll arrangierten Porträt–Einstellungen auf, die gleichzeitig etwas surrealistisch wirken, als ginge es um Hochzeitsfotos zwischen Mutter und Sohn. Das Ganze ist künstlerisch in Ordnung. Peck konfrontiert unsere Blicke am Ende ebenfalls mit Porträt–Einstellungen, aber es geht nur um die Hautfarbe. Ausstellungen sind das. Ja, »I am not your negro«, schon klar, aber was sind das für Geister.
Apropos Geisterbahn: Oft bemühtes Motiv der Peckschen Atmo-Sequenzen sind die Hochtrassenbahnstrecke, ohne oder mit Bahn, oder auch mal die einfahrende Undergroundbahn. Bilder, die für die Railroadwork stehen mögen, also dafür, dass Reichtum und Infrastruktur der USA auf völliger Ausbeutung nicht-weißer Arbeitskräfte errichtet wurden. Ein Hauptanliegen der weißen Macht besteht ja darin, das schwarze Leben unsichtbar zu halten. Dieser sehr wichtige Aspekt, den James Baldwin immer wieder zur Sprache brachte, bleibt in Bildern, die Auslassungszeichen gleich kommen, merkwürdig phantomisiert. Der Film fließt und rollt darüber aber in einem Rhythmus hinweg, ohne den Ball zu verlieren, was zum großen Teil der Arbeit von Alexandra Strauss geschuldet ist: Sichtung, Selektion und Schere. Schnipp Schnapp.
Oder auch an der wohltuend ruhigen Sprechstimme von Samuel L. Jackson. Auch Jackson ist unsichtbar, natürlich, und sagt, er las die Passagen in Bulgarien, während er dort mit einem anderen Dreh beschäftigt war. Die Aufnahmen klingen tatsächlich wie heimlich in der Teeküche eingesprochen. Vorsichtig, mit dem Blick die Tür fixierend. Durch die immer wer hereinplatzen und ihn bei seinem Nebenjob erwischen könnte. Samy Deluxe tat es ihm dann nach, deutsch und depri, in der Teeküche der Synchro. James Baldwin hatte anders geklungen: keck, forsch, fragend, suchend, erschrocken, bestürzt, selten: niedergeschlagen, niemals: abgeklärt. James Baldwins Stimme war in Bulgarien verändert worden.
Es ist nicht so, dass mich dieser Film verändert hätte, aber er hat mich immerhin beschäftigt und an etwas erinnert. An etwas, das fast verloren schien, weil es seit James Baldwin keine vergleichbar relevante Stimme mehr auf der Leinwand, auf den Titelseiten der Medien, in Talkshows, in Rundfunkbeiträgen, auf den großen Kanälen dieser Welt gab, die so klipp und klar die Stimme der Unterschicht war, ob schwarz oder noch nicht-weiß, die Stimme der Unterprivilegierten, der Unterdrückten, der Habenichtse und der Außenseiter, und diese Stimme eine war, die verkündete, sich nicht unterwerfen zu wollen, nicht den Weg zu wählen, der von Verbrechen vorgezeichnet und in Finsternis liegt, und dieser Weg nur bedeuten könne: Nicht weiß werden zu wollen. Und unter Wolkengrollen und Donnerbruch wird mir und wird jedem noch nicht ganz zu weißer Asche verkohlten Menschen klar, was Shakespeares Lady Macbeth wirklich gemeint haben muss, als sie sprach: »Meine Hände sind blutig, wie die deinen; doch ich schäme mich, daß mein Herz so weiß ist.« Das Haus brennt, und es bedarf einer ganzen Sintflut aus Tränen der Scham, um es zu löschen. Entweder dieser Film ist mit den Credits nicht zu Ende, oder dieser Text. In sich abgeschlossen muss beides als Fehler betrachtet werden.
Im Kino geht es weiter in Get Out (04. Mai 2017, Regie: Jordan Peele), oder eben in Birth Of A Nation (13. April, Regie: Nate Parker). Der siebenstündige O.J. Made In America von Ezra Edelman, der statt I Am Not Your Negro den Oscar für die beste Doku bekam, ist in Deutschland noch ohne Starttermin.