Frankreich/B 2021 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Carine Tardieu Drehbuch: Carine Tardieu, Agnès de Sacy, Sólveig Anspach Kamera: Elin Kirschfink Darsteller: Fanny Ardant, Melvil Poupaud, Cécile de France, Florence Loiret-Caille, Sharif Andoura u.a. |
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Zwischen Angst und Begierde... | ||
(Foto: Alamode Film/Filmagentinnen) |
Der Titel dieses Films hört sich auch im französischen Original nicht viel besser an: Les Jeunes amants. Dass es sich hier allerdings nicht um die übliche Rosamunde Pilcher-Story handelt, in der sich die Liebe trotz aller Widrigkeiten doch noch erfüllt, wird jedoch recht schnell klar.
Das liegt nicht nur an Fanny Ardant, einer der großen Schauspielerinnen des französischen Kinos, die seit 1976 vor der Kamera steht und von Truffaut (Auf Liebe und Tod) über Ozon (8 Frauen) oder Sorrentino (La grande bellezza) sich so ziemlich alle Richtungen und Stoffe angeeignet hat, die es im europäischen Autorenkino gibt.
Bei Tardieu ist sie Shauna Loszinsky, eine 70-jährige, unabhängige und an kulturellem Leben interessierte Frau, die eine erwachsene Tochter hat, aber keinen Mann mehr und mit der Liebe eigentlich abgeschlossen hat. Bis sie den 45-jährigen Pierre (Melvil Poupaud) wiedertrifft, mit dem sie ein traumatisches Erlebnis in ferner Vergangenheit verbindet. Mit diesem Wiedersehen beginnt sowohl ihres wie auch das Leben von Pierre sich mehr und mehr zu ändern, je mehr sich beide ihre Liebe zueinander eingestehen.
Von diesem Eingestehen ihrer Liebe handelt der erste Teil von Im Herzen jung. Sehr präzise fächert Tardieu hier die Ängste und auch die Scham der beiden Beteiligten auf, die ja nicht nur einen ungewöhnlichen Altersunterschied überbrücken müssen – und da ganz beim Alte-Frau-junger-Mann-Klassiker Harold und Maude von Hal Ashby aus dem Jahr 1971 sind –, sondern sie müssen auch ihre Vergangenheit hinter sich lassen. Shauna die Erwartungshaltungen ihrer Tochter und ihrer Freunde vergessen und Pierre seine Familie und vor allem seine Frau Jeanne (Cécile de France), die von dieser sie demütigenden Beziehung nichts wissen will und Pierre anfleht, sie lieber zu betrügen und zu lügen, statt darüber reden zu wollen.
Tardieu gelingt es in diesen Momenten, die Zufälligkeit und Alltäglichkeit von Beziehungsleben intensiv darzustellen, auch der nebenher erzählte Arbeitsalltag ihrer Protagonisten ist so banal wie subtil, da sowohl Jeanne als auch Pierre als Ärzte arbeiten und Pierres Spezialisierung auf Onkologie einen wichtigen Subplot darstellt, in dem auch darüber verhandelt wird, ob eine Frau mit 70 noch eine schöne Brust benötigt. Gleichzeitig wird diese Frage auf der Beziehungsebene zwischen Pierre und Shauna und ihrer Sexualität praktisch erprobt, ohne dass dabei die üblichen Altersbereinigungen und -Beschönigungen angewandt werden, so wie etwa in The Lost City mit Sandra Bullock, deren Haut in jeder Einstellung wirkt, als wäre sie mit dem Balsam ewiger Jugend versehen worden.
Und dann nimmt sich Tardieu immer wieder auch Zeit für die leider viel zu oft links liegengelassenen profanen Dinge des Alltags. Der Weg in ein Café, die Fahrt mit dem Zug oder die Wohnverhältnisse, die vor allem den deutschen Zuschauer verblüffen dürften. Denn dass ein Ärzteehepaar in beengten Verhältnissen in einem französischen Hochhausviertel lebt, ist in Deutschland eigentlich undenkbar.
Handelt der erste Teil vom Eingestehen der Liebe, fokussiert der zweite Teil auf das Annehmen des Anderen, selbst wenn er von Krankheit und Tod gezeichnet ist. Auch hier finden sich vertraute Anleihen aus Hal Ashbys Klassiker, doch ohne die Leichtigkeit, die Groteske, die Ashby so konsequent beschwört. War schon im ersten Teil des Films die Angst präsent, so ist sie es nun einmal mehr, geht es nun aber darum, die Angst schon im Vorfeld zu besiegen, die Angst vor der Angst. Auch das überzeugt mit Tardieus hervorragendem Ensemble erneut durch starke Alltagsszenen, Dialoge und Streits, die gerade durch ihre von Ängsten auf beiden Seiten gezeichnete Zurückgenommenheit berühren und fast schon unerträglich realistisch wirken und schließlich zu einer Selbstermächtigung von Shauna führen, die an die überragende Schlusseinstellung von Emma Thompson in Meine Stunden mit Leo erinnert.
Am Ende darf man dann auch hier dankbar sein, dass es einen weiteren überzeugenden Film gibt, der den Fokus auf Frauen über 50, deren Beziehungsleben und Sexualität richtet, und der Vielfalt dieses neuen »Genres« mit so unterschiedlichen Ansätzen wie der israelischen Serie Hamishim, Terminator: Dark Fate, Matrix Resurrections, Nicolette Krebitz’ A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe oder erst kürzlich Brady’s Ladies einen weiteren, wichtigen filmischen Baustein hinzufügt.