Baustelle Leben |
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Neuland unterm Pflug: Ilanit Ben-Yaakov als Alona in Hamishim – Fünfzig | ||
(Foto: arte.tv) |
Von Axel Timo Purr
Über Serien, in denen selbstbewusste, ungewöhnlich unabhängige Frauen im Alltagsmittelpunkt stehen, konnte man sich in den letzten Jahren nicht beklagen. Angefangen von der dänischen, von Christian Torpe konzipierten Serie Rita (2012-2020) über eine Lehrerin und ihren Lebenskampf bis zu Lisa Langseths Liebe und Anarchie (2020), die eine Beraterin in einem Stockholmer Verlag und ihre Mühsal mit Sex, Kindern, Beruf und einem psychisch labilen Vater kongenial porträtierte, wurden wohltuend alte Rollenmodelle dekonstruiert und neue geschaffen.
Eine markante erzählerische Leerstelle blieben allerdings jene Geschichten über Frauen, die sich jenseits der Mittvierziger mit ihren Menopause-bedingten hormonellen Kreuzfeuern auf die Suche nach neuen Lebensmodellen, Konzepten und Beziehungen machen. Diese Lücke wird nun glücklicherweise durch eine Miniserie geschlossen, die genauso glücklicherweise auch noch aus Israel kommt. Denn seit israelischen Serien-Export-Schlagern wie Homeland, Fauda, Our Boys oder In Therapie kann man fast blind darauf vertrauen, dass das Neuland, das israelische Serien immer wieder konsequent betreten, äußerst innovativ unter den Pflug kommt.
So ist es auch mit Hamishim – Fünfzig.
Die Miniserie mit ihren im knappen Sitcom-Format gehaltenen acht Episoden folgt der 49-jährigen Drehbuchautorin Alona (Ilanit Ben-Yaakov) zu den „Baustellen“ ihres Lebens: vom Pitchen ihres neuen Drehbuchs bei einem Produzenten über Besuche bei einer Freundin, Elternabenden, der Steuer und im Altenheim, wo ihr an Demenz leidender Vater untergebracht ist, bis zu skurrilen Tinder- und Normalo-Dates und natürlich dem Alltag mit ihrer an kleinen Ticks leidenden 11-jährigen
Tochter Shira, ihrem schnell aufbrausenden ADHS-diagnostizierten 17-jährigen Sohn Yali und ihrer ältesten Tochter Carmel, die mit ihren 20 Jahren den Unfalltod des Vaters vor sieben Jahren psychisch am besten weggesteckt zu haben scheint.
Diese Melange aus Alltagsfallen reicht natürlich bei weitem noch nicht aus, um eine gute Serie zu etablieren, aber die Drehbuchautorin und Schriftstellerin Yael Hedaya, die bereits an dem israelischen „Rohling“ von In Therapie mitgearbeitet hat, wirft mit der ebenfalls in Therapie-erfahrenen Autorin, Produzentin und Regisseurin Daphna Levin nicht nur eigene Lebenserfahrungen in ihr
erzählerisches Konzept, sondern schafft über so bitterböse wie groteske und vor allem messerscharfe Dialoge sowohl eine aufregende Bestandsaufnahme einer 49-jährigen Frau als auch eine gnadenlose Vivisektion der israelischen Gesellschaft.
Ähnlich wie in dem gerade angelaufenen palästinensischen Film Gaza mon amour, in dem der Konflikt mit Israel einmal (fast) dankbar ausgespart wird und stattdessen einer aufrichtigen Introspektion der eigenen Befindlichkeit Raum gegeben wird, so erzählt auch Hedaya vordergründig über einen Alltag, der den größten Konflikt Israels vielleicht ausspart, aber
untergründig eine Gesellschaft zeigt, die mit ihrer Vergangenheit genauso am Hadern ist wie mit der Gegenwart. Ein Ringen, das Hedaya über einen schwarzen Humor illustriert, der deutsche Zuschauer überraschen dürfte. Etwa als Alona von einem Produzenten erklärt bekommt, wie Tinder funktioniert:
- Man wischt drüber?
- Ja, wer dir gefällt, nach rechts. Und nach links die...
- Wie beim Holocaust.
- Ganz genau.
Oder als Alona feststellen muss, dass eine Freundin aus der
Schulklasse ihrer jüngsten Tochter nicht weiß, wer Hitler ist, da ihre Eltern ihr eine möglicherweise traumatisierende Geschichtsstunde ersparen wollten, es gleichzeitig aber weiterhin die jährlichen, für viele Schüler nur schwer finanzierbaren „Opfer-Touren“ nach Auschwitz geben soll, gegen die Alona dann auch dementsprechend heftig opponiert.
Doch neben diesen kulturspezifischen Alltagsdissonanzen zeigt Hamishim – Fünfzig vor allem universelle Beziehungsprobleme einer Frau und Mutter, die so wenig an Woody Allen erinnert wie Danielle in Emma Seligmans Shiva Baby. Und doch in ihrer Sehnsucht nach Wahrheit, erfülltem Sex (oder vielmehr: überhaupt Sex) und kreuzfeuerartigen Dialogen dann doch ganz (und überhaupt nicht) Woody Allen ist. Weniger allerdings durch das, was sie sagt als vor allem durch die bei Allen ebenfalls immer wieder durchdringende Reflexivität des Autors, des Filmemachers. Denn über immer wieder neue Gespräche mit Produzenten – die von jedem Drehbuchautor so ersehnten wie gefürchteten Pitchings – bringt die Drehbuchautorin Yael Hedaya in ihrer Serie auch ihr eigenes Ringen um diese Serie mit ins Spiel, die Ignoranz, Zweifel und Doppelmoral (gerade) auch bei gleichaltrigen Frauen und Männern sowieso, die sich beim besten Willen nicht vorstellen können, das irgendjemand einer Frau in diesem Altern bei ihrem Leben zusehen will.
Dass sie es mit dieser Serie widerlegt, widerlegen darf, ist so überraschend wie dann auch selbstverständlich, denn spätestens nach der letzten Folge will man eigentlich gar nicht mehr aufhören, die Alona verkörpernde Ilanit Ben-Yaakov bei ihrem wilden Ritt durch den Herbst des Lebens zuzusehen, ein Herbst, der eigentlich ein Frühling ist.