Österreich 2007 · 88 min. Regie: Antonin Svoboda Drehbuch: Christoph Grissemann, Dirk Stermann, Heinz Strunk, Antonin Svoboda, Jörg Kalt Kamera: Martin Gschlacht Darsteller: Christoph Grissemann, Dirk Stermann, Heinz Strunk u.a. |
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Zwei Männer in Not |
Meist sagt man das als Trost, mit einem Hauch von Bewunderung, oder in der Überzeugung, dass ein noch so kleiner Ausweg doch eben immer noch ein Ausweg wäre: »Die Hoffnung stirbt zuletzt!« Weil Hoffnung gemeinhin als etwas Wunderbares gilt.
Aber es gibt Arten der Hoffnung, die sind nur Selbstbetrug unter anderem Namen, falscher Flagge. Die trügen und täuschen und, vor allem, lähmen, weil sie die Erkenntnis, auf verlorenem Posten zu sein, erst zulassen, wenn es zum radikalen Gegen- und Befreiungsschlag dann endgültig zu spät ist.
Die Figuren in Immer nie am Meer, dem Kino-Debut der österreichischen Kabarettisten Stermann & Grissemann – die, vor allem dank ihrer Radiosendungen, in ihrer Heimat Starruhm genießen – sind solche unentwegt Hoffenden.
Da ist der Archäologieprofessor Baisch (Stermann), Spezialgebiet Knickrandschalen, der nicht wahrhaben will, dass seine Frau sich wirklich mit voller Absicht, guten Gründen und ohne Reue hat von ihm scheiden lassen. Da ist sein Schwager Anzengruber (Grissemann), der so viel lebenshungriger, weltgewandter, unverklemmter tut, der seine Tablettensucht ja aber auch nicht einem Übermaß an Lebenstauglichkeit verdankt. Und dann ist da noch der befremdliche deutsche Alleinunterhalter Schwanenmeister (Heinz »Fleisch ist mein Gemüse« Strunk) – dessen sexuellem Notstand die beiden anderen letztlich verdanken, dass sie ihn eines Nachts nach einem Unfall auf der österreichischen Landstraße auflesen. Um dann prompt in eine weitere Beinahe-Karambolage verwickelt zu werden, eine Waldböschung hinabzurauschen – und an entlegenem Fleck zwischen einem Baumstamm und einem Baumstumpf eingekeilt havariert liegen zu bleiben. Flucht aus dem Wagen unmöglich, denn der ist gepanzert: Es ist eine Ex-Limousine von Kurt Waldheim, günstig im Internet ersteigert...
Und da sitzen sie also, mit von einer Feier übriggebliebenem Heringssalat und ein paar Flaschen Prosecco als einziger Zehrung (und Möglichkeit, das Getrunkene später wieder halbwegs sanitär abzuschlagen...) – und machen, nach ein paar halbherzigen selbsttätigen Fluchtversuchen, das, was sie wohl ihr ganzes Leben lang schon machen: Warten und hoffen.
Denn es muss ja bald Hilfe kommen. Es kommt der Morgen, es kommt die nächste Nacht. Was nicht kommt ist Rettung. Und als
sie dann zu nahen scheint, wird alles nur noch viel, viel schlimmer.
Anfangs vermutet man noch, dass Immer nie am Meer sich zu einem jener Filme entwickeln würde, in dem die äußere Katastrophe zur inneren Läuterung der Figuren führt. Wo sich alle einander öffnen, um schließlich in der Krise über sich selbst hinauszuwachsen und langgehegtes seelisches Trauma und akut lebensbedrohliche Situation sich gegenseitig ausräumen, beseitigen, überwinden zu lassen.
Nichts davon aber geschieht. In die Biografien und psychischen
Abgründe der Figuren werden gerade genug kurze Blicke gewährt, dass sie einem noch armseliger, unangenehmer und beschädigter erscheinen, aber nichts wird in Katastrophenfilm-Manier ausgebreitet, vorerklärt und durchgearbeitet.
Das ist das Groß- wie Abartige an Immer nie am Meer: Dass er konsequent bei der Überzeugung bleibt, dass Menschen sich nicht gleich ändern, nur weil sie mit ein bisschen Lebensgefahr konfrontiert werden. Sagen wir so: Gehörten
Baisch, Anzengruber oder Schwanenmeister zu den Leuten, denen Tyler Durden in Fight Club die Knarre an den Kopf setzt, damit sie endlich ihren Lebenstraum verwirklichen – sie hätten spätestens am nächsten Morgen schon wieder einen Grund gefunden, erstmal zur Routine zurückzukehren.
Ja, es gibt Lacher in Immer nie am Meer, aber der Film ist bestenfalls noch in den Randbereichen der Komödie angesiedelt; »Psycho-Groteske« benennen die Macher selbst das Genre. Von solchen Etiketten-Fragen abgesehen ist es jedenfalls ein sehr existenzieller Humor, der den Film durchzieht: Es ist jener – seit langem schon insbesondere von österreichischen Künstlern einzigartig beherrschter – Tonfall, der anerkennt, dass jede Hysterie, jede aufbegehrende Zurschaustellung des Grauens den Schrecken nur mindert, weil billig und effekthascherisch macht. Dass DAFÜR alles eigentlich viel zu schlimm ist.
Und so zieht der Film – der sich an der Oberfläche bewusst klein und reduziert hält, der schauspielerisch eine charmante Amateur-Note besitzt –, so zieht er also sein Vergnügen daraus zuzuschauen, wie diese drei Männer (nicht zum ersten Mal in ihrem Leben, muss man vermuten) zu wenig und zu spät aufbegehren. Wie sie jede Illusion so lange aufrechterhalten wie irgend möglich, um sie dann achselzuckend fahren zu lassen und sich an die nächste zu klammern.
Es ist, von
einem Minimum nur an Ausbrüchen und internen Grabenkämpfen unterbrochen, der wohl höflichste Überlebenskampf, den die Leinwand je gesehen hat.
Aber andererseits: Man kann sie irgendwie verstehen als Zuschauer. Denn mit ihnen glaubt man eigentlich auch die ganze Zeit, dass es SO schlimm ja wohl nicht kommen wird, nicht kommen kann. So wie die drei die Gnadenlosigkeit des Schicksals unterschätzen, traut man als Publikum auch lang dem Film seine erbarmungslose Konsequenz nicht
zu. Man macht es sich, in Erwartung einiger hübscher Pointen, von etwas Satire und Charakterkomik, anfangs mit ihnen in den gepolsterten Sitzen bequem – und schluckt irgendwann heftig, wenn man realisiert, auf welch finsteres Terrain einen Regisseur Svoboda und seine Schauspieler/Autoren geführt haben.
Wobei das Böseste, das Allerböseste nicht die bloße Sinnlosigkeit der Hoffnung ist. Sondern das kosmische »Ällerbätsch«, mit der sie den Figuren genommen wird.
P.S.: Eins nur müssen wir an diesem wunderbaren Film bemängeln: Wie nur konnte er es wagen, ganz ohne den gleichnamigen (weil vom identischen Titel eines allerdings mit dem Film inhaltlich in keiner Beziehung stehenden Buchs von Stermann & Grissemann inspirierten), ganz und gar großartigen Song der Moulinettes auf dem Soundtrack auszukommen?