USA 2010 · 107 min. · FSK: ab 16 Regie: Casey Affleck Drehbuch: Casey Affleck, Joaquin Phoenix Kamera: Casey Affleck, Magdalena Gorka Darsteller: Joaquin Phoenix, Antony Langdon, Carey Perloff, Larry McHale, Casey Affleck u.a. |
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Hier wird eine Kamera belogen |
Üblicherweise fangen Filme mit einer kleinen Revue von Trailern der beteiligten Produktionsfirmen an. Das beginnt bei den ganz großen Studios wie Dreamworks oder Universal, dann kommen die mittelgroßen Firmen die Dimenson Films oder Focus Features und schließlich folgen noch die Kleinen, die eigentlich keiner kennt und die oft sonderliche Namen wie 40 Acres and a Mule Filmworks tragen. Manche dieser Firmen gehören Filmemachern (hinter 40 Acres... etwa steckt Spike Lee) und dienen dazu, an der Produktion eigener und fremder Filme beteiligt zu sein, wobei ein Teil der Firmen dauerhaft bestehen, während andere nur für einen einzigen Film gegründet werden. Für solche Firmen werden gerne bedeutungsvolle bzw. sprechende Namen ausgewählt, um bereits auf diesem Weg ein Statement zu den von ihnen (ko)produzierten Filmen abzugeben. Was will uns unter diesen Vorzeichen der Name der Firma They Are Going to Kill Us Productions, die die Mockumentary über den Joaquin-Phoenix-beendet-seine-Schauspielkarriere-Hoax produziert hat, sagen?
Man muss sich dazu wohl folgende Situation vorstellen: Joaquin Phoenix und sein Schwager / Kumpel / Kollege Casey Affleck, beides gleichermaßen erfolgreiche, anerkannte und anspruchsvolle Schauspieler aus der Gus-Van-Sant-Schule, hocken beisammen, trinken was und reden über den Irrsinn des Showbusiness', mit dem sie täglich konfrontiert werden. Sie spinnen ein wenig rum und malen sich aus wie es wäre, einfach alles hinzuschmeißen, sich dem ganzen Medienrummel zu verweigern, dem Betrieb im übertragenen wie auch wörtlichen Sinn den Mittelfinger entgegenzustrecken. Die Gedanken schaukeln sich hoch, die Idee scheint immer verführerischer, immer plastischer werden die Vorstellungen davon, wie es wäre, Hollywood, die Medien und die sensationshungrigen Zuschauer vorzuführen, zu entblößen, den ganzen Affenzirkus einmal auffliegen zu lassen. Schnell findet sich auch ein Weg, wie das gelingen könnte. Der Doppel-Oscar-Gewinner Joaquin tut so, als ob er auf der Spitze seines Ruhms seine Schauspielkarriere hin- und wegschmeißt, um dafür eine Karriere als Folkmusiker, nein, das ist zu nahe an der Johnny-Cash-Sache dran, um dafür eine Karriere als Rap-Musiker – ja das ist genial – zu starten. Casey macht darüber eine Fake-Doku, die ins Kino kommen soll, um der Welt ihre eigene lächerliche Reaktion auf diesen Hoax vorzuführen. Kurz wird abgewogen, ob ein solches Projekt auch machbar wäre, man spricht über technische Aspekte, über Problem bei der Umsetzung und schließlich versucht man sich die Reaktion der derart bloßgestellten Menschen vorzustellen. An diesem Punkt, zu später Stunde, nachdem man sich euphorisch in dieses Projekt hineingeredet hat, sagt einer von beiden mit getragener Stimme den Satz: »Man, they are going to kill us (for this)«, womit der Name der zu gründenden Produktionsfirma auch schon gefunden wäre.
Wie wir heute wissen, trat diese Befürchtung nicht ein, obwohl sich die beiden redlich Mühe gegeben haben, Ablehnung und Kritik auf sich zu ziehen. Der aus diesem Experiment entstandene Film I’m still here ist durchaus kontrovers, strotzt vor Szenen, die Amerikas Medien üblicherweise zum Kochen bringen (Sex, Drogen, Obszönität), gibt einige Personen des öffentlichen Lebens der Lächerlichkeit preis, zeichnet ein beschämendes Bild von der Welt der Stars und des Glamours und bietet dem Zuschauer alles andere als einen leicht konsumierbaren Filmspaß.
Dass die Pistolen trotzdem im Halfter bleiben und selbst ein medialer Tod (wie ihn im Film ein Internetkritiker Joaquin Phoenix vorhersagt) nicht eintreten wird, wohl eher mit dem Gegenteil zu rechnen ist, liegt zum einen an der Funktionsweise des kritisierten Systems, das alles toleriert und absorbiert, solange dadurch nur der lebenswichtigen Treibstoff der Aufmerksamkeit erzeugt wird.
Zum anderen zeigt sich die Aufweichung der Grenzen zwischen Realität und Inszenierung
eben nicht nur in den Medien (im Kino geschieht das auf viele verschiedene Weisen, siehe etwa Michael Moore, Borat und Brüno, Rumor Has It... oder My Winnipeg), sondern auch auf der anderen Seite, im Alltag, in dem immer mehr Schein als Sein herrscht. Wer nach I’m still here wirklich glaubt, dass hier etwa P. Diddy als ignoranter und überheblicher Schnösel entlarvt wird, der ist um seine unbedarfte Naivität zu beneiden.
Eine massiv inszenierte Wirklichkeit, wie sie Film- und Musikindustrie täglich vermitteln, mit einer ebenfalls inszenierten
Realitätsparodie wie in I’m still here zu entlarven, klingt in der Theorie schlüssig und konsequent, verfängt sich in der Praxis aber im diffusen Geflecht der Unklarheit und Unverbindlichkeit.
Auch wenn I’m still here das Hollywood-Babylon nicht zum Einsturz bringen wird, ist er doch ein sehenswerter Film. So ist er etwa ein weiterer, durchaus originärer Beitrag zum Subgenre der falschen Dokumentationen und echten Fiktionen. Auch als (zugegeben stellenweise etwas derbe) Komödie funktioniert er ganz gut und manche ironische Spitze gegen die verrückte Medienwelt trifft – trotz aller Verwirrung – schließlich doch ihr Ziel.
Über all dem echten und falschen Skandal und dem Gewese um Joaquin Phoenix sollte man nicht übersehen, dass der Film überaus gekonnt inszeniert ist, ein Verdienst von Casey Affleck. Ein schönes Beispiel für die feine Inszenierung ist etwa der Schluss, der sich unverhofft als geschickte Reminiszenz an bzw. Parodie auf Gus Van Sant herausstellt.
Vorhalten kann man dem Film jedoch eine gewisse Redundanz, die sich durch die etwas einfallslose Wiederholung der immer gleichen Motive
und Szenen (J.P. lamentiert und streitet mit seinen Mitarbeitern, J.P. auf der Jagd nach P. Diddy) ergibt.
Schwierig zu bewerten ist die darstellerische Leistung von Joaquin Phoenix. Eine Rolle auch in der Realität (etwa bei David Letterman) zu spielen ist in erster Linie mutig, stellt aber grundsätzlich noch kein qualitatives Merkmal dar. Schlüssig ist die neue Rolle von Joaquin Phoenix durchaus angelegt, ein wenig eindimensional aber auch.
Etwas verwirrend ist dabei, dass diese Rolle nicht nur äußerlich frappant an die Darstellungen von Zach Galifianakis in den Hangover-Filmen und in Stichtag erinnert. Ob sich Galifianakis bzw. die Macher der Filme von dem im Oktober 2008 präsentierten neuen Image von Joaquin Phoenix haben inspirieren lassen, bleibt wohl für immer im undurchschaubaren Nebel von sich gegenseitig imitierender Realität und Kunst verborgen.