Inu-Oh

Japan 2021 · 98 min. · FSK: ab 16
Regie: Masaaki Yuasa
Drehbuchvorlage: Hideo Furukawa
Drehbuch:
Musik: Yoshihide Otomo
Filmszene »Inu-Oh«
Die butternutkürbisförmige Maske verbirgt das Monster
(Foto: Rapid Eye Movies)

Rock im Ring

Masaaki Yuasas Inu-Oh ist ein visionäres Anime über die magischen Kräfte ungewöhnlicher Körperlichkeit

Er ist ein Superstar seiner Zeit: Inu-Oh. Im Japan des 14. Jahr­hun­derts als unan­sehn­li­ches Geschöpf mit einem über­na­tür­lich langen Arm geboren, wächst er ohne Namen auf und erfreut sich vor allem daran, den Menschen einen ordent­li­chen Schrecken einzu­jagen. Hinter einer butter­nut­kür­bis­för­migen Maske verbirgt er zwei über­ein­ander ange­ord­nete Augen, ein Horror für jene, die in seine Fratze sehen müssen. Er ist für alle nur ein Monster. Das ändert sich, als er auf Tomona, einen blinden Musiker, trifft, der sein Augen­licht bei einem mythi­schen Unfall verloren hat, als er zusammen mit seinem Vater ein verzau­bertes Schwert aus den Tiefen des Pazi­fi­schen Ozeans barg. Beide, Inu-Oh und Tomona, sind durch das Schicksal der Heike-Clans mitein­ander verbunden, der mitt­ler­weile ausgelöscht ist und nur noch als Geister herum­spukt, denen sie immer wieder begegnen und die ihnen die Geschichten vom Heike-Clan zuflüs­tern. Die Heike-Geschichten sind histo­risch über­lie­fert: das Heike Mono­ga­tari oder Heike-Epos gilt als lite­ra­ri­scher Schlüssel zur japa­ni­schen Kultur und erzählt von der ursprüng­lich harmo­ni­schen Einheit und dem Ausein­an­der­driften von Shin­to­ismus, Konfu­zia­nismus und dem Buddhismus, den drei großen reli­giösen Strö­mungen Asiens.

Aber das ist nur der mythische, ahnungs­volle Hinter­grund des teilweise Verwir­rung hervor­ru­fenden Anime-Films von Yuasa Masaaki. Yuasa ist ein gefei­erter Zeichen­trick-Star aus Japan, der, wie die meisten seiner Zunft, die tradi­tio­nellen, ohne Computer reali­sierten Techniken prak­ti­ziert. Dass er sich nun der epischen Vorzeit Japans zuwendet, scheint der Kultur­ge­schichte der japa­ni­schen Medien geschuldet: Fest­ge­halten wurden die mündlich gesam­melten Epen in langen Bilder-Rollen, die aus heutiger Sicht selbst wie eine Urform des Films erscheinen, da sie sukzes­sive aufge­rollt und betrachtet werden müssen, um die Geschichte zu »lesen«. Wir erinnern uns an Haneda Sumikos Into the Picture Scroll – The Tale of Yamanka Tokiwa von 2004 (Vorfüh­rungen im Berliner Arsenal Institut und beim Festival Underdox), in dem eine Kamera die Zeich­nungen der histo­ri­schen Bilder­rolle »Yamanaka Tokiwa« entlang­fährt und die darge­stellte Welt, begleitet von neu kompo­nierten Joruri-Balladen und drei­sai­tigen Shamisen-Lauten, neu aufleben oder animieren lässt – eben: als Anime abspult. Damit erscheint auch das eigent­liche Anime, der gezeich­nete Zeichen­trick­film, in ganz beson­derer Weise dazu geeignet, von den Ursprüngen der japa­ni­schen Kultur, den Künsten – und der No-Tradition zu erzählen. Das entfaltet sich jetzt in Inu-Oh.

Die Geschichte des Heike-Clans ist hier bereits in seiner media­ti­sierten Variante als Vortrags­wett­be­werb unter den japa­ni­schen Barden des 14. Jahr­hun­derts perspek­ti­viert – abge­halten wird in mehreren Wochen eine Art Poetry Slam. Der blinde Tomona an der Biwa, einer tradi­tio­nellen Laute, dazu eine Taiko-Trommel und vor allem Inu-Oh, der die Vocals in einer extra­va­ganten, hallu­zi­nie­renden Bühnen­show zum Besten gibt, geben den Zuschauern alles. Die singen und toben, klatschen und stampfen, und ahmen die eigen­ar­tigen Limbo-Tänze der Bühnen­zau­berer nach, als wären diese eine Art früh­zeit­liche Rolling Stones. »Bei dieser Musik bewegt man sich von ganz allein, bei dieser Biwa und dieser Taiko ist alles möglich!« werden markt­schreie­risch die Auftritte ange­kün­digt, »hier gibt es nichts, was es nicht gibt!«

Und es gibt sogar das, was es nicht gibt: Höhepunkt der Show ist, wenn Inu-Oh seinen gigan­tisch langen Arm ausfaltet, dann toben die Fans. Oder sich auf ihm in die Luft schraubt, bis hinein in die Sterne. Betörend monoton, wie in Trance verset­zend, erklingen dazu die Balladen, die von einem verfluchten Kind erzählen – Inu-Oh verar­beitet in ihnen auch seine eigene Ungestalt, sein Aufwachsen fern der Zivi­li­sa­tion. Wenn es richtig ist, dass dieses Rock-Musical auch von den Ursprüngen des No-Theaters erzählt – Masken und Laute sind in ihm wesent­lich für die Darbie­tung, ebenso das Vortragen von mythi­schen Geschichten – dann schafft Masaakis Inu-Oh, dies als unauf­dring­lich inklu­die­rendes Spektakel zu visio­nieren. Körper­liche »Beson­der­heiten« werden bei ihm zu magischen Super­kräften umge­deutet, und er könnte so auch auf neuere inklu­die­rende Strö­mungen in der Kunst (man denke beispiels­weise an die Insze­nie­rungen der Münchner Kammer­spiele) inspi­rie­rend wirken. Das ist allemal betörend, musi­ka­lisch wie auch optisch, ist Pop und ist Rock, auf der Höhe der Zeit und dennoch Historie. Mit der psyche­de­li­schen Kraft eines gezeich­neten Fantasy, in dem alles möglich ist.