Deutschland/L 2018 · 95 min. · FSK: ab 6 Regie: Markus Dietrich Drehbuch: Markus Dietrich Kamera: Ralf Noack Darsteller: Ruby M. Lichtenberg, Anna Shirin Habedank, Lui Eckardt, Victoria Mayer, Luc Schiltz u.a. |
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Nicht nur intellektuell, auch körperlich eine unvorhersehbare Wucht... |
Wenn ein neuer Film der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ erscheint, kann man sich als Familie eigentlich getrost zurücklehnen und auf pädagogischen Autopilot schalten. Denn dann ist von vorneherein klar, dass man sich nicht ärgern wird: weder darüber, dass jetzt schon wieder ein Kinderbuchklassiker neu oder überhaupt zum ersten Mal verfilmt werden musste (Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt) oder das jetzt schon wieder eine Franchise-Fortsetzung startet, die so vorhersehbar ist, wie das Amen in der Kirche (Fünf Freunde und das Tal der Dinosaurier). Nein, die Filme dieser lobenswerten Initiative kann man sich stattdessen wie Perlen an ein Gebetskettchen knüpfen und sie dort genussvoll durch die Finger streichen lassen, sei es Auf Augenhöhe, Ente gut! Mädchen allein zu Haus oder erst im Frühjahr dieses Jahres Marcus H. Rosenmüllers Unheimlich perfekte Freunde. Alles tolle Filme.
Auch Invisible Sue – Plötzlich unsichtbar, der nun vierte Film der Initiative, ist eine angenehme Überraschung in der doch arg versehrten deutschen Kinderfilmlandschaft. Zum einen ist da das Drehbuch und die Regie von Markus Dietrich, der bereits mit seinem Debütkinderfilm Sputnik 2013 zeigte, dass – so wie das jetzt erst kürzlich auch mit Fritzi – Eine Wendewundergeschichte wieder gezeigt wurde – auch politische Ambitionen in Kinderfilmen Platz haben dürfen, ja sogar müssen.
In Invisible Sue ist Politik allerdings nur ein verdecktes Thema, wird wie in dem vor zwei Jahren erschienenen, sehr guten Die Pfefferkörner und der Fluch des Schwarzen Königs viel mehr eine korrupte Wirtschaftselite porträtiert, die vor nichts zurückschreckt. Und in diesem Fall sogar bereit ist, die 12-jährige Sue zu jagen, die durch einen Betriebsunfall im Labor ihrer Mutter mit einer geheimnisvollen Flüssigkeit in Berührung gekommen ist, die ihr die Gabe verleiht, unsichtbar zu werden. Sue muss sich nicht nur sich, ihre Freunde und vor allem ihre Mutter schützen, sondern ihre neuen Superheldinnen-Kräfte vor allem kontrollieren lernen.
Diese Hinführung zur Superheldin ist zwar nicht sonderlich originell, ist er doch bereits seit Spider-Man fest verankertes Kulturgut und in Kindersuperheldenfilmauskoppelungen wie etwa dem dänischen Antboy – Der Biss der Ameise immer wieder ventiliert worden. Und auch eine der originellsten Netflix-Kinderserien – RAISING DION – variiert diese verunfallte Heldenmutierung auf originellere Weise als Invisible Sue, gelingt es DION doch nicht nur akrobatisch mit Zeitebenen zu jonglieren, die Misere von Alleinerziehenden greifbar zu machen, sondern auch endlich einmal, so wie in dem großartigen Spider-Man-Anime des letzten Jahres, afroamerikanischen Lebensalltag in das Superhelden-Genre zu platzieren.
Doch was Dion für afroamerikanische Identität tut, das tut Markus Dietrich mit seiner vielleicht nicht originellen, aber umso leidenschaftlicheren Invisible Sue für unsere ja immer noch verkorksten Gender-Rollenmodelle, in denen es Filme wie die Die Pfefferkörner und der Fluch des Schwarzen Königs und die Königin von Niendorf mit starken Mädchen, die nicht nur 5-Freunde-artige Helferlein darstellen, sondern auch moderne Rollenvorbilder für Mädchen bieten, die es auch mit Mathe und Naturwissenschaften haben, und sich auch sonst körperlich wehren können, immer noch schwer haben.
Nach einem solch verkorkst langen Satz über die inneren Werte dieses lobenswerten Kinderfilms, sollen es die äußeren Werte, so wie im echten Leben, einfacher haben: die in jedem SuperheldInnen Film wichtigen Tricks sind gekonnt unauffällig eingebettet und sollten Kindern ab acht Jahren keine Albträume bescheren. Und auch schauspielerisch ist alles gut. Denn es wird nicht mit dem in vielen deutschen Kinderfilmen so unerträglichem Overacting gerade von Elternrollen auch die letzte Glaubwürdigkeit verspielt und spielen auch die KinderdarstellerInnen, angefangen von der tollen Ruby M. Lichtenberg als Invisible Sue ihre Rollen so, wie es sich für einen guten Kinder-Action-Film gehört – unaufdringlich authentisch.