USA/GB 2014 · 169 min. · FSK: ab 12 Regie: Christopher Nolan Drehbuch: Jonathan Nolan, Christopher Nolan Kamera: Hoyte van Hoytema Darsteller: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jessica Chastain, Ellen Burstyn, Michael Caine u.a. |
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Ein zukünftiger Klassiker |
Ein erstaunlicher Film: klug, bewegend, sinnlich. Ein romantisches Werk, und das ausgerechnet von dem eiskühlen Briten Christopher Nolan, dessen Filme immer überaus clever sind, aber eben auch etwas schockgefrostet. Und jetzt das: Nolans bester Film. Ich wage es zu sagen: ein zukünftiger Klassiker. Der Film ist derart reich, dass dieser Text nicht mehr sein kann, als ein erster Blick. Und eine Aufforderung an alle: Reingehen! Sich nicht beeinflussen lassen von der Geschmackspolizei, die hierzulande schon wieder ihre Mäkelphrasendreschmaschine angeschmissen hat. Siehe »Spiegel« zu Wochenanfang. Einfach reingehen und hingucken! Erst dann kann man auch über den Film streiten.
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Irgendwann in einer nahen Zukunft: Sandstürme toben über die Erde, ihr Staub bedeckt wie Mehltau die Äcker, dringt in die Häuser ein, liegt über Büchern, dem Essen, auf den Lungen der Menschen. Bauern-Not ist Dauerzustand. Die ganze Welt befindet sich aber auch in einem geistig-sozialen Sinkflug. Zwar sind Armeen abgeschafft, die Universitäten aber auch. Wissenschaftsfeindschaft und Paranoia dominieren – was von der Gesellschaft übrig blieb, ist eine ökologisch-korrekte,
innerlich verängstigte, erzkonservative Gemeinschaft, in der man an der Schule lehrt, dass die Mondlandung nicht mehr war, als pure Propaganda, eine amerikanische Erfindung, um die Sowjetunion in den Bankrott zu treiben.
Das alles kann Cooper nicht passen. Er, der Held dieses Films, ist ein Ex-Astronaut und Witwer. Seine zwei Kinder ernährt er als Farmer, zugleich aber erzieht er sie zu Wissenschaftlern. In der letzten Zeit kommt es allerdings zu Merkwürdigkeiten in seinem
Haus, die wissenschaftlich schwer zu erklären sind – offenbar handelt es sich um magnetische Felder. Bald darauf wird Cooper von seinen alten Arbeitgebern, der NASA rekrutiert. Der einst beste Astronaut soll wieder in den Weltraum fliegen, um dort nach einer Ersatz-Erde zu suchen, auf der die Menschheit Zuflucht finden kann. Den Klimawandel und Umweltkatastrophen sind derart eskaliert, dass die Rettung der Erde keine Option mehr ist: »Es geht darum, die Erde hinter uns zu
lassen«, erklärt der weise Professor Brand, Coopers Mentor, den Michael Caine mit charmanter Würde idealtypisch verkörpert.
Dieser auf den ersten Blick krude und zugleich konventionelle Plot ist zwar das in aller Kürze zusammengefasste Szenario von Interstellar – es gibt aber nur eine überaus lose Ahnung von Christopher Nolans neuem Film. Denn tatsächlich ist Interstellar so sensibel wie klug, so anspruchsvoll wie unterhaltsam; dies ist Kino, wie es sein soll, und wahrscheinlich der beste, jedenfalls der interessanteste
Science-Fiction-Film seit Matrix – und der liegt schon 16 Jahre zurück.
Episch im Grundton, ist der knapp dreistündige Film in drei auf einander aufbauende Teile unterteilt: Der erste spielt auf der Erde, irgendwo im Mittleren Westen, wo Amerika noch so aussieht, wie es sich selbst sehen will. Aber diese Welt ist eben dem Untergang geweiht. Der zweite Akt zeigt den
Aufbruch einer Expedition ins All, eine Reise voller Gefahren, aber auch der letzten Chance für die Menschen. Dies ist auch eine Zeitreise durch fünf Dimensionen. An ihrem Ende wird Cooper zwar immer noch aussehen wie der Mit-Vierziger Matthew MacCaunughey, aber er wird 124 Jahre alt sein.
Der dritte Teil zeigt, wie es zu dieser Zeitverschiebung kommt, zeigt einen Flug in ein Schwarzes Loch, irgendwo hinterm Saturn, wo der Horizont gekrümmt ist, und man durch Zeit, Raum und
Schwerkraft reist. Dazwischen fliegt der Film mit seinem Publikum auf Planeten, in denen die Tage 67 Stunden haben, oder in einer Stunde sieben Erdjahre vergehen, auf denen Tsunamis 80 Meter hochsteigen.
Das ist alles extrem einfallsreich, aber nie albern, stilistisch ist es großartig gemacht: Es fängt ganz zurückhaltend an, wird dann visuell immer überbordender – in Berlin kann man die visuelle Pracht des Films sogar im IMAX-Kino bewundern. Der beste Kinowerk, den Nolan bisher gemacht hat. Und es ist hochpoetisch, nicht nur wenn Michael Caine ein wunderschönes Dylan-Thomas-Gedicht spricht über eine lange Reise in die Nacht: »Do not go gentle into that good night, all days you should burn and rave at close of day. Rage, rage, against the dying of the light.«
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Christopher Nolan hat einen sehr nüchternen, philosophischen, dabei gleichwohl leidenschaftlichen und emotionalen Film gedreht. Dessen Handlung darauf hinausläuft, dass es für alles, auch für übernatürliche, scheinbar irrationale Phänomene, am Ende eine natürliche, rationale Erklärung gibt. Ein Film, der sich deutlich auf den Spuren von Stanley Kubricks 2001 bewegt, der aber in aller Nüchternheit und Pessimismus, eine weniger resignative Botschaft präsentiert. Wir können uns retten, sagt Interstellar, aber wir müssen es schon selber tun. Ein Gott kann es nicht, sondern nur Neugier, Wissenschaft und Selbstvertrauen.
Als ich das Kino nach dem Film Interstellar verließ, hatte ich ein ähnliches Gefühl, wie ich es manchmal nach dem Besuch eines Restaurants habe, ich war zwar satt aber nicht wirklich befriedigt. Wie bei einer derart ambivalenten kulinarischen Erfahrung hatte auch hier scheinbar alles gepasst; der Film ist reichhaltig, seine Zutaten sind von guter Qualität, die Zubereitung ist fehlerfrei. Und doch blieb so ein diffuses Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt, auch wenn ich im ersten Moment mein Unbehagen nicht begründen bzw. benennen konnte. Da mir der Film schwer im Magen lag, dachte ich im Nachgang immer mal wieder darüber nach und so langsam stiegen aus dem undefinierten Gefühl der Unzufriedenheit konkrete Punkte des Missfallens auf.
Das größte Problem von Interstellar ist genau das, worum er so ausführlich kreist, nämlich die Zeit. Bereits in meiner Kritik zu 127 Hours habe ich auf die Schwierigkeiten des richtigen Umgangs mit der Zeit im Film hingewiesen (und festgestellt, dass 127 Hours, der die Zeit ebenfalls als zentrales Thema hat, daran scheitert), Interstellar ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn die fundamental wichtige Zeitökonomie nicht stimmt. Läppische Dinge dauern ewig, wichtige werden brutal verkürzt, eine profane Autofahrt auf der Erde bekommt mehr Zeit zugeteilt als ein interstellarer Raumflug, Lebenszeit der Filmfiguren wird mit Gewalt so hingebogen, wie es die Handlung gerade braucht, die extremen Unterschiede und Verwerfungen in Raum und Zeit führen zu lächerlich geringen Konsequenzen. Dass Zeit relativ ist, beweist auch das Kino, in dem vollkommen selbstverständlich ein anderes Zeitgefüge als in der realen Welt herrscht. Damit ein Film funktioniert, muss er sich dieser cineastischen Zeit aber fügen, sonst hat er keinen Rhythmus und keinen vernünftigen Ablauf und das gilt auch bzw. besonders dann, wenn man so mit der Zeit herumspielt, wie es Interstellar tut.
Ein nur wenig kleineres Problem als die Zeit, ist die unglaubliche Geschwätzigkeit von Interstellar. In 2001 – Odyssee im Weltraum wird im ganzen Film vermutlich genauso viel geredet wie in 20 Minuten Interstellar. Fehlt einem bei 2001 –
Odyssee im Weltraum deshalb etwas? Vermisst man wirklich, dass einem der kryptische Schluss von 2001 nicht erklärt wird? Eher nicht.
Aber was heißt bei Interstellar schon erklärt? Das, was in Interstellar (wie zuvor bereits in Nolans Inception) als fürchterlich wichtig klingende Erklärungen kübelweise über einem ausgeschüttet wird, ist nichts anderes als halbwissenschaftlich angehauchter, letztlich aber inhaltsloser Bullshit. Doch nicht nur auf wissenschaftlicher Ebene bleibt hier nichts unausgesprochen, sondern auch auf menschlich emotioneller, wo keiner still denken oder fühlen kann, sondern alles laut und deutlich aussprechen muss. Ein wirklich guter Film muss nicht immer alles aussprechen,
weil einerseits das Kino eben ein visuelles Medium ist, also ein Bild, eine Szene immer noch mehr sagen kann als tausend Worte und weil andererseits ein interessanter Film sich und seinen Figuren gerne auch mal das eine oder andere Geheimnis lässt.
Mein nächstes Problem mit Interstellar ist seine fehlende Eindeutigkeit. Was will dieser Film sein? Ein tiefgründiger Science Fiction Film wie 2001 oder Solaris? Ein wildes Weltraum-Action-Getümmel? Eine anrührende Familien- und Beziehungsgeschichte? Eine
wissenschaftlich-philosophische Reflektion über die Zeit und das Leben? Natürlich kann man (wer das entsprechende Können hat!) einzelne dieser Aspekte miteinander verbinden. Alles zusammen und dann auch noch unausgeglichen vermischt ergibt jedoch eine krude Mischung.
Dieser Kritik einer fehlenden, eindeutigen Zugehörigkeit entgegenzuhalten, dass man sich doch endlich von diesem ignoranten Schubladendenken lösen muss, halte ich entgegen, dass diese Schubladen leider
unvermeidlich sind. Solaris funktioniert unter anderen Prämissen als Alien, der wieder anders funktioniert als Gravity. Beachtet man die jeweiligen Prämissen nicht, entstehen Schieflagen und
Dissonanzen, wie etwa in Interstellar, der sich einerseits fürchterlich realistisch und nachdenklich gibt, in dem die Hauptfigur aber vollkommen unpassend ein kerniger Haudegen ist, der seine Raumschiffe grobschlächtig fliegt, wie er seine Autos auf Erden fährt.
Apropos Hauptfigur. Bei der Figurenzeichnung hat sich Christopher Nolan auch nicht wirklich Mühe gegeben, da stammt vieles aus dem Standard-Bausatz, einen wirklich spannenden, ungewöhnlichen, glaubwürdigen Charakter habe ich darin nicht gefunden.
Wie bei der Zeit (s.o.) herrscht auch eine eigene Logik im Kino. Abhängig von der Art des Films ist man als Zuschauer bereit, viele Dinge anstandslos zu akzeptieren, für die man in der Realität nur ein müdes Lächeln übrig hätte. Wie die filmische Zeit mag auch die filmische Logik anders sein als in der Realität, jedoch hat auch sie eine eigene, verbindliche Logik. Es ist eben auch im Kino nicht alles möglich, irgendwann wird der Schmarrn zu groß und als Zuschauer fühlt man sich auf den Arm genommen. Bei Interstellar, der auch noch auf seinen (pseudo)logischen Erklärungen herumreitet, hatte ich dieses Gefühl des auf den Arm genommen Seins laufend.
Was mich auch nicht mehr los lässt, ist der Eindruck, dass Interstellar eigentlich ein dickes Stück Trash bzw. Camp ist. Dieser Eindruck speist sich zum Teil aus den oben genannten Aspekten, zum Teil aber auch aus kleinen Details wie der Gestaltung der Roboter oder den wiederkehrenden Einstellungen, in denen die Kamera an der Außenhaut des Raumschiffs festgeklebt scheint.
Heute mag Interstellar für viele ernsthaft und
anspruchsvoll wirken (und ist wohl so auch von den Machern gemeint), in 20 oder 30 Jahren wird er dagegen im Werkstattkino laufen und die Leute werden sich wundern, wie das alles jemals ernstgemeint und ernstgenommen werden konnte. Wer nicht versteht, was ich meine, der schaue sich bitte den thematischen verwandten Film Das schwarze Loch von 1979 an. Damit kann man sich heute auch noch ganz gut amüsieren, nur eben unter gänzlich anderen Vorzeichen als vor 35
Jahren.
Das Vorstehende überblickend, wundere ich mich, dass ich nach dem Kinobesuch sogar noch halbwegs zufrieden damit war. Aber vermutlich ist es wie beim eingangs erwähnten Essen; im unmittelbaren Anschluss daran ist man erst einmal satt, träge und ruhig gestellt. Die Unverträglichkeit, die Verdauungsstörungen und das saure Aufstoßen kommen erst hinterher.