Frankreich 2002 · 99 min. · FSK: ab 18 Regie: Gaspar Noé Drehbuch: Gaspar Noé Kamera: Benoît Debie Darsteller: Monica Bellucci, Vincent Cassel, Albert Dupontel, Jo Prestia u.a. |
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Monica Belluci, von hinten erzählt |
Die Zeit, der große Alle-Wunden-Heiler. Ein Frauengesicht, fast bis zur Unkenntlichkeit zerschunden. Nur ein paar Szenen später: Monica Belucci in der Rolle der Alex schon wieder fröhlich und in ihrer bekannten Schönheit. Es ist der selbe Effekt wie bei der Kaffeetasse in A Brief History of Time, deren Scherben sich auf dem Boden sammeln, explosionsartig verbinden, die auf den Tisch hüpft: Alles wird gut – wenn wir nur gegen den unumkehrbaren, grausamen Zeitpfeil anfliegen. Ansonsten herrscht in Irréversible das zweite Gesetz einer Thermodynamik der Schmerzen: In einem System nimmt die Unordnung, nimmt das Leid auf Dauer zwangsläufig zu. »Die Zeit zerstört alles« ist der Leitsatz dieses Films.
15 Szenen, in genau so vielen Einstellungen (mit ein bisschen Computergeschummel an ein paar Übergängen). Aufeinanderfolgend entgegen dem Ticken der Uhr, aufgereiht vom Ende der Geschichte hin zu ihrem Beginn.
Das Prinzip erinnert an Memento, aber der war ein ausgetüfteltes, ungemein kontrolliertes Puzzlespiel. Irréversible hingegen brennt förmlich von
der Leinwand herab mit seinem Hass, seiner Wut, seiner Trauer, seinem Schmerz. Er ist im Endergebnis nicht weniger präzise, planvoll gearbeitet als Memento, aber man spürt ihm an, dass seine Entstehung weitgehend improvisatorisch war, dass der Verstand, der hinter ihm steckt, sich stets traute, einen Teil seiner Kontrolle an die Emotionen und die Zufälle zu verlieren.
Gleich Memento läuft die Sache freilich innerhalb der einzelnen Szenen nicht wie bei der oben erwähnten Kaffeetasse ab, nicht wie in dem berühmten Absatz in Kurt Vonneguts »Slaughterhouse 5«, nicht wie in Martin Amis' Roman »Time’s Arrow«, die den Zeitfluss komplett umkehren, den Bildsuchlauf Rückwärts betätigen: Wo Fliegerbomben das Feuer aus den Städten ziehen, verschließen, zum Abtransport in
Flugzeuge hochspringen; wo in Auschwitz aus Asche Abertausende Juden gemacht werden, mit denen man dann per Sonderzügen Europa bevölkert.
Innerhalb der einzelnen Szenen rattert bei Irréversible die Zeit vorwärts, und wir erleben mit äußerster Drastik, wie sie ihre Wunden schlägt. Berühmt-berüchtigt ist die 9-minütige Szene geworden, in der Alex in einer Fußgängerunterführung vergewaltigt wird. Ohnmachtsanfälle, Eklat, Skandal in Cannes 2002 –
eine dieser Szenen, deren Ruf droht, den ganzen Film aufzufressen, an deren Mythos man nicht mehr vorbeikommt, die es so schwer machen, noch Aufmerksamkeit zu bekommen für alles andere, was in dem filmischen Werk um sie herum zu finden ist.
Das ist traurig, aber nicht ganz unpassend: Denn auch die Szene selbst sprengt den gewohnten Rahmen des Kino-Erzählens. Ihr geht es nicht mehr um Vergabe von Informationen innerhalb eines Plots, nicht um Begründen oder Vorwärtstreiben einer
»Handlung«. Ihr Punkt ist nicht, uns mitzuteilen, dass Alex vergewaltigt wird und in der Art der Bebilderung nur noch etwas Gefühls-Konotation beizugeben, die unsere Bewertung der Sache lenkt. Diese Szene hebelt die üblichen Mechanismen der Erzähl- und Emotionsmaschine Kino aus: Sie wirft uns darauf zurück, den gezeigten Vorgang, die schreckliche Tat, mit zu durchleben. Da gibt es keine Abkürzungen und keine Beschönigungen, diese Szene doziert nicht von der Unerträglichkeit
des Gezeigten, sie macht es geradezu körperlich fühlbar.
Sie schafft dies gerade dadurch, dass sich die Kamera ein Stück weit zurückzieht und starr verharrt, in der rechten Hälfte des Breitwandbildes leeren Raum läßt. Sie mischt sich nicht ein, und gerade dadurch werden wir zu ohnmächtigen Zuschauern des Ganzen (der einzige Ausweg: wir verlassen den Kinosaal) – mit Alex bekommen wir sowohl die schier endlose Dauer als auch die Hilflosigkeit zu spüren, auch in uns steigt Hass
auf und Scham. Und wenn der Vergewaltiger am Ende auf Alex einschlägt und tritt, dann meint man, jedem dieser Schläge, Tritte am eigenen Leib zu spüren. Diese schonungslose Szene ist eine des großen Mit-Leids.
Die Distanz, die Kühle der Inszenierung, und die Entscheidung, Alex auf dem Bauch liegend, ihren Peiniger auf ihr zu positionieren, so dass wir wenig von den Körpern, aber stets die in Richtung Kamera schauenden Gesichter sehen, treibt der Szene auch jede Gefahr des
verstohlenen erotischen Kitzels aus. Und möglicherweise ist das sogar ihr größter Skandal: Dass sie so unerbittlich hinschaut, ohne im Geringsten voyeuristisch zu werden.
Seltsam ist, dass bei all der Druckerschwärze, die anläßlich dieser Szene verbraucht, all dem Gift, das ihrentwillen verspritzt wurde, so auffällig selten über ihren vielleicht schlimmsten, erschütterndsten Moment geredet wurde: Während die schreckliche Tat gerade in Gang ist, kommt im Hintergrund ein Passant
die Treppe hinab in die Unterführung, sieht, was vor sich geht – und macht sich schnellstens aus dem Staub. Kann es sein, dass da am lautesten geschwiegen wird über den Moment, in dem man sich am schlimmsten selbst ertappt fühlt?
Die Erzählweise des Films gegen die Chronologie ist freilich unübersehbar artifiziell, aber sie hat wirklich nichts mit einer bloßen Stilübung zu tun. Sie verändert ganz grundlegend die Art, wie wir diese Geschichte wahrnehmen, wie wir die Szenen sehen und bewerten. Weil wir das ausweglose Ende kennen, wirft die Zukunft ihre unbarmherzigen Schatten auch über alles, was in der Ereignisfolge vor der Katastrophe liegt.
»Unumkehrbar«, verlautet der Titel, und der Film läßt
keine Zweifel daran aufkommen, dass nichts von dem, was er zeigt, je wieder gutzumachen ist. Aber wie wir uns mit ihm in der Zeit zurückbohren, läßt er in uns doch nie die Frage ruhen: Wäre das nicht rückgängig zu machende Schicksal nicht wenigstens VERMEIDBAR gewesen? Unzählige Glieder in einer unglückseligen Kette von Zufällen und Absichten läßt er an uns vorbeistreifen, von denen vielleicht nur ein einziges hätte reißen müssen, um einen ganz anderen Weg für die Geschehnisse zu
öffnen. Um Alex nicht genau zum gleichen Zeitpunkt wie ihren Peiniger ohne Begleitung in diese Unterführung zu lotsen. Und ohnmächtig müssen wir zusehen, wie die Charaktere etlichen Kleinigkeiten keine weitere Bedeutung zumessen, von denen wir Wissenden genau sagen können, wie sie zum großen Unglück beitragen werden.
Und auch wenn der narrative Krebsgang den Abstieg in die Hölle, den die Figuren durchmachen, für uns in einen Aufstieg verkehren: Wir erreichen nie ein Paradies, nur
etwas weiter draußen angesiedelte Vorhöfe des Infernos.
Sowieso: Wo immer ein zartes Fetzchen Glück, ein Moment der Unversehrtheit auftaucht in diesem Film, ist uns auferlegt, sie mit dem Bewusstsein ihrer bevorstehenden Vernichtung zu sehen. Aber: Viele von diesen Fetzchen und Momenten gibt es ohnehin nicht.
Wohl der einzige Augenblick, den man als ungebrochen glücklich sehen könnte (und selbst da sind andere Lesarten möglich) ist, wenn Alex ganz am Ende/Anfang mit sich allein ist. (Aber auch dieser Moment desintegriert, im wahrsten Wortsinn; er wird zum Nullpunkt, den festzuhalten die Kinoapparatur unfähig zu sein scheint.) Alex ist die einzige Figur des Films, die etwas in sich Ruhendes hat, die selbstbestimmt scheint und bewusst.
Die Männer um sie, auch die »normalen«, sind
alle auf ihre Weise defizitäre Wesen, die manchmal wirken, als bräuchten sie Alex wie die Parasiten den Wirt.
(Man hat Irréversible teilweise vorgeworfen, schwulenfeindlich zu sein, weil die Spur zu Alex' Peiniger in den Schwulenclub »Rectum« führt und der sehr höllengleich inszeniert wird. Aber zum einen ist der Vergewaltiger La Tenia (Jo Prestia) ja ganz offensichtlich NICHT ein normaler Schwuler – wenn er in dem Club überhaupt etwas sucht außer
Abnehmer für Drogen; zum anderen ist das Brodeln von Hass und Hölle zu dem Zeitpunkt in den Köpfen von Marcus und Pierre, die den Club stürmen – der Film macht es sichtbar, aber sich deswegen nicht zugleich diese Sichtweise auch als verbindliche Wertung zu eigen. Vor allem aber ist dieser Ort – und das hat mit Homosexualität nichts zu tun – bewusst das extremste Gegenstück zu jenem halb-utopischen Bild von der einsamen Frau, das am anderen Ende des Films steht: Ein
Raum voller Männer.)
Alex' Mann Marcus (Beluccis realer Ehemann Vincent Cassel) ist unreif, will nicht erwachsen werden, will feiern, trinken, rumflirten wie ein Teenager, keine Verantwortung übernehmen, seiner Liebe zu Alex keine Opfer bringen. Und ihr nölender, intellektueller Ex-Freund Pierre (Albert Dupontel) will ihre Entscheidung zur Trennung von ihm nicht akzeptieren, versucht – verständnisvoll und vertraulich tuend – dauernd, mit Worten zu erreichen, was ihm
körperlich nicht mehr erlaubt ist: Alex intim nahe zu kommen. Wie er, wenn er schon selbst keine Chance darauf hat, dann wenigstens an Alex Liebesleben mit Marcus wenigstens über die Vermittlung durch Sprache teilnehmen will, wie er sich mit ewigen Fragen da reindrängt, selbst in aller Öffentlichkeit, in der U-Bahn, das hat auch durchaus eine Komponente der Selbstquälerei.
Ausgerechnet Pierre, der nach Alex' Vergewaltigung die ganze Zeit beschwichtigend und rational auf den
völlig ausrastenden Marcus einzuwirken versucht, Pierre, der sich auf Marcus' Rachefeldzug nur mitschleifen zu lassen scheint wie der Anker eines außer Kontrolle geratenen Boots – ausgerechnet Pierre, nicht Marcus, ist es am Anfang/Ende, der zum Mörder wird, der zum Feuerlöscher greift und auf das Gesicht seines Opfers eindrischt, bis dieses nur noch ein blutiges, klaffendes, ruiniertes Loch ist. Wenn seine Maske der Kultiviertheit, des Intellekts, der Vernunft fällt, wenn all
die verknoteten Energien aus diesem Körper herausplatzen, der sein verquastes Verhältnis zu sich selbst so sehr hinter Jargon und Verleugnung versteckt, dann geschieht dies umso explosionsartiger und brutaler.
Der Blick von Irréversible auf die Beziehungen dieser Männer zu Alex ist keinen Deut weniger schonungslos und unbarmherzig als der auf die Gewalt, und es verhält sich auch keineswegs so, dass wir vor/nach der Vergewaltigung Zeugen einer Idylle wären, die verbindungslos stünde zur infernalischen Welt nach der Katastrophe. Eher ist die unsägliche Tat das ins Monströse überzeichnete Zerrbild mancher Tendenzen, die sich in den »normalen« Beziehungen
schon finden, und sie ist der Katalysator dafür, dass das Bestialische in den »normalen« Männern ungeschminkt seine Fratze zeigen darf. Schon der Sex im Ehebett ist nicht frei von subtilen Keimen der Gewalt, beginnt mit einem »Ich will nicht«. Und die Rachegelüste von Marcus und Pierre wirken eigenartig uninteressiert an Alex und ihrem Leiden selbst – das ungute Gefühl ist stark, dass sie nicht befeuert werden vom nachempfundenen Schmerz der Geliebten, sondern von der Wut
darüber, dass man diesen Männern in Gestalt der Frau etwas weggenommen, kaputtgemacht hat, das sie brauchen.
Irréversible begnügt sich sich außerdem keineswegs damit, nur die von blinder Rache oder gewalttätiger Perversion Getriebenen als die Leidbringer zu zeigen in seiner Welt. Marcus' und Pierres »Rache« (zu der Notwendigkeit der Anführungszeichen später mehr) würde nie ihr Opfer finden, wenn ihr nicht zwei Typen gegen Bezahlung den Weg wiesen. Das
Gruseligste daran ist nicht einmal, dass sie dies von sich aus und in bewusster Inkaufnahme der Konsequenzen tun, sondern dass sich der Eindruck aufdrängt, dass diese Art von Betätigung ihre etablierte Haupteinnahmequelle ist – dass sie in ihrem Viertel darauf warten können, dass sich etwas Vergleichbares ereignet und sie dann mit ihrer Kenntnis der lokalen Unterwelt Rachedurstige, die nicht auf Polizei und Justiz vertrauen, für Geld auf die Spur der Täter setzen.
In ihrer kompromisslosen Düsterheit ist Gaspar Noés Weltsicht (die in seinem Hasstiraden-Erstling Seul contre tous schon keinen Deut rosiger war – dessen Hauptdarsteller hat übrigens am Anfang von Irréversible einen kurzen Auftritt) freilich nicht völlig frei von etwas Teenagerhaftem; vielleicht auch nur, weil sie noch so gänzlich unbefallen ist von jeder Altersmilde. Und seine Regie ist zugegebenermaßen nicht ohne
Arroganz, Prätention. Aber sie kann sich das leisten. Sie protzt mit ihrer Virtuosität, die jedoch auch einfach nicht zu leugnen ist. Sie hausiert mit unzähligen Filmzitaten, die aber auch ihren Sinn haben. Und sie erlaubt dem Publikum nicht die Rolle der kühlen, nüchternen Betrachter, aber der Film selbst scheint getrieben von einem heilg-zornig-trauernden Feuer.
Die Attitüde von Irréversible gleicht zu Anfang der eines Überfallkommandos. Die Kamera macht
uns unmissverständlich klar, dass wir in die Geschichte am Punkt der größten Entropie einsteigen; sie reißt uns mit in einen Taumel, der uns schon rein visuell jedes Gleichgewicht raubt. Wir werden in den tiefsten Punkt des Strudels geschmissen, und noch bevor wir uns ansatzweise freischwimmen könnten, wird uns der erste von zwei heftigen Magenschlägen verpasst, die dafür sorgen, dass uns die Luft noch immer wegbleibt, auch wenn wir in ruhigere Gewässer des Zeitstroms entlassen
werden.
Keine Frage: Irréversible ist ein Film, der seinem Publikum viel zumutet. Aber er ist auch ein Meisterwerk – das seinem Publikum ebenso etwas zutraut: Nämlich dass wir aufmerksam hinschauen, uns genau erinnern, und dem Mord am Anfang nicht einfach die bequemste, »sauberste«, vertrauteste Geschichte überstülpen. Eine Rache? So bestialisch sie ausfällt: Eine irgendwie doch »gerechte« Strafe für den Schuldigen? Ein Schließen des Kreises der Gewalt,
das Gleiches mit noch Schlimmeren vergilt? Ach, wenn dieser Film doch nur so optimistisch wäre...
»Die Zeit zerstört alles« ist die Losung des Films, die mehrfach wiederholt wird. Die Zeit schreitet unerbittlich voran, aber der Film versucht nach Kräften ihren Strom umzukehren. So fängt er mit dem Ende des Abspanns an. Blutrote Buchstaben rollen über die schwarze Leinwand, einige spiegelverkehrt. Man merkt, hier stimmt etwas nicht. Aber das Unbehagen setzt erst ein, als der Strom der Credits zunächst langsam, dann immer schneller zur Seite wegkippt und in einen Strudel mündet, der zur ersten – chronologisch letzten – Szene übergeht. Wie Memento wird auch Irreversibel entgegen der zeitlichen Abfolge erzählt. Am Ende einer Szene springt die Handlung an den Anfang der vorhergehenden Szene. Der ganze Film wirkt dabei wie eine einzige lange Kamerafahrt ohne Schnitt. Jede Szene endet mit einem Schwenk Richtung Himmel oder Seite, der in immer schnellere, verwischte Drehbewegungen übergeht. Lichter flackern über die Leinwand, bevor die Bewegung für die nächste Szene abbremst. Ganz ruht die Kamera nie. Meist kreist sie um die Protagonisten oder schwebt über der Szene. Die Kamerabewegungen erinnern an Unterwasseraufnahmen über die Wunder des Meeres, nur daß hier nicht in der Tiefen des Ozeans sondern in den Abgründen menschlichen Schicksals getaucht und geforscht wird.
Der Film fängt dabei ganz unten, in der dunkelsten Ecke an. Mitten in der Nacht, in den katakombenhaften Darkrooms einer Schwulendisko mit dem »einladenden« Namen Rectum wird einem Mann in blind rasendem Haß der Schädel eingeschlagen, so daß sein Gehirn herausspritzt. Nach diesem düsteren Schockeffekt zu Beginn wird der Film von Szene zu Szene heller. Er taucht langsam aus den Tiefen der menschlichen Nacht auf und endet in einer heiteren Szene in gleißender Mittagssonne. Dies bedeutet aber auch, daß die Handlung mit fortschreitender Zeit in einer gnadenlosen Abwärtsspirale immer tiefer Richtung Katastrophe gleitet.
Pierre, der schließlich ausrastet und den Mann erschlägt, war eigentlich der Besonnene. Er hat seinen Freund Marcus die ganze Nacht nur begleitet, um ihn zu beruhigen und vom Schlimmsten abzuhalten. Marcus war auf einem Rachefeldzug nach einem Zuhälter. Passanten, die auf einen schnellen Euro hofften, hatten ihn mit dumpfen Machosprüchen zur Rache angestachelt nachdem seine Freundin Alex vergewaltigt und so brutal zusammengeschlagen worden war, daß Marcus und Pierre sie zunächst nicht wiedererkannten. Sie war auf dem Weg zum Taxi, nachdem sie aus Verärgerung über Marcus eine Party alleine verlassen hatte. Marcus hatte dort zuviele Drogen genommen und andere Mädchen angebaggert. Dabei hatte der Abend gut begonnen. Bester Laune waren Alex, Marcus und Pierre zur Party gefahren. Nachmittags hatten sich Alex und Marcus noch geliebt und sie hatte ihm berichtet, daß sie vermutlich schwanger ist. Sobald das Sonnenlicht ungehindert auf die Szene fällt, die Kamera quasi aus den Tiefen des Ozeans über der Wasseoberfläche auftaucht, setzt die Handlung aus. Die letzten Szenen liefern nur noch die Impression einer besseren, heilen Welt. Aber wir wissen, die Zeit schreitet unumkehrbar voran und zerstört alles...
Irreversibel eilt der Ruf eines Skandalfilms vorraus. Insbesondere die Vergewaltigungsszene in der Mitte des Films muß bei der Uraufführung 2002 in Cannes zu großem Unmut und wilden Angriffen auf den Regisseur und Autor Noé geführt haben. Dabei wurde immer die Schonungslosigkeit und die Gesamtlänge der Szene von neun Minuten betont. Diese Kritik ist nicht nachzuvollziehen. Natürlich ist diese Szene grausam. Hätte Noé die Vergewaltigung etwa unterhaltsam und kurzweilig darstellen sollen? Aber den Schock und die Brutalität, die dem Zuschauer am Anfang des Films in der Schwulendisko entgegenschlägt, kann auch die Vergewaltigungsszene nicht übertreffen, zumal die Kamera sich hier ungewohnt zurückhält. Sonst immer dicht dran, um die »Action« kreisend, weicht sie hier zurück und bleibt am Boden liegen. Sie konzentriert sich auf das Gesicht und den linken Arm des Opfers. In einem verzweifelt-absurden Kampf bemüht sich Alex immer wieder den Arm nach vorne zu bewegen. Doch der Vergewaltiger reißt ihn wieder zurück. Dem Zuschauer bleibt nichts übrig, als 2-3 endlos wirkende Minuten hilflos zuzusehen. Vielleicht ist die Wut, die Noé und dem Film entgegenschlug, ein Ausdruck dieser Hilflosigkeit. Gaspar Noé ist jedenfalls ein eindrucksvoller und mitreißender Film gelungen, der niemanden kalt läßt.